Ich weiss nicht ob ich Künstlerin bin

Silly Mano – Preisträgerin der Ernst Anderfuhren-Stiftung 2006  Bieler Tagblatt vom 19. Dezember 2006

An der Vernissage der Weihnachtsausstellung im CentrePasquArt in Biel wurde Silly Mano (40) das Ernst Anderfuhren-Stipendium 2006 überreicht. Für ihr bisheriges Gesamtwerk.

Wut, Trauer, Angst, aber auch Sehnsucht, Liebe und Lust packt Silly Mano in ihre wesenhaften Kleinskulpturen, ihre figürlichen Radierungen und Zeichnungen, ihre aus Stoffpuppen oder Ästen und anderem Holz gefügten Installationen. Doch obwohl sie sich bereits mit 16 Jahren einen Künstlernamen zulegte und schon in den 1980er-Jahren zum Kreis der damals besonders aufmüpfigen jungen Bieler Kunstszene rund um M.S. Bastian, Le kou Meyr und Vaterfigur Urs Dickerhof zählte, sagt sie bis heute: „Ich weiss eigentlich nicht, ob ich Künstlerin bin“.

Nicht weil sie grundsätzlich an der kreativen Qualität ihrer Arbeiten zweifeln würde – die wurde ihr eben von der Anderfuhren-Stiftung einmal mehr attestiert – sondern weil „die Arbeiten so intim sind, weil gestalten für mich immer Persönliches verarbeiten heisst“. 1967 geboren, zählt sich Silly Mano zur „Gerda Conzetti-Generation“, das heisst unter dem Einfluss der TV-Bastel-Moderatorin wurde ihr Gestalten von Kindsbeinen an zur „Sprache“, um das Leben zu begreifen und daran habe sich, so Mano, nie etwas geändert.

Seit bald 20 Jahren wird Silly Mano zur Bieler Comic-Szene gezählt. Mit Comic-Geschichten haben ihre Arbeiten indes nur bedingt zu tun, es ist vielmehr die freie figürliche Formensprache des Comic (und auch der Art brut), die sie sich aneignete und zum Vehikel ihrer Phantasie und der darin enthaltenen Gefühle machte. Das zeigte sich schon 1990 in ihrer ersten Ausstellung im „Kunstmausoleum“ – dem damaligen Lokal der Bieler Off-Szene. Da entstiegen kleine bemalten Musikdosen winzige Figuren aus papier maché, eine Mickey Mouse, ein schwarzer Sonnenkönig, eine weisse Tänzerin, eine geflügelte „Nana“.

Bereits seit dem Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Biel (1988/89) liebt die gelernte Kindergärtnerin die Technik der Radierung. Das Kraft heischende Bearbeiten der Kupferplatte, das Ätzen, das Schwärzen, das Abdrucken der in den Kerben liegenden Farbe ermöglicht ihr inhaltlich Tiefe zu suchen. „Was niemals dein“ heisst eine Serie von 1991, „vom Schatten ans Licht“ eine andere von 1994. Es spiegelt sich darin, dass Silly Mano früh im Leben mit dem Tod konfrontiert und von diesen Erlebnissen mitgeprägt wurde.

Ihre „Getiere“, ihre erzählerischen Tuschzeichnungen können noch so „lustig“ sein, unterschwellig schwingt die Dimension des Existentiellen immer mit, knüpft an die Aussage an, dass gestalten immer ein Verarbeiten von Persönlichem ist (daher auch die zahlreichen Selbstporträts). Es bewahrt Silly Manos Schaffen trotz der Wechselwirkung mit der Trivialkultur davor je banal zu sein. Im Gegenteil, die Verbindung von Comic-Welt und emotionaler Befindlichkeit schafft eine bildliche Direktheit, die charakteristisch ist. Dem Genre entsprechend kann sie Diesseits und Jenseits spielend verknüpfen und dabei ohne Pathos auf mehr verweisen. „Wenn Du einen Riesen siehst, dann denke daran, vielleicht ist es nur der Schatten eines Zwerges“, steht in einer Radierung von 2001. Ihre „Geschichten“ sind ebenso liebevoll wie boshaft. Engel und Dämonen haben beide ihre Rolle. „Die Schiessbilder der jungen Niki de St.Phalle haben mich immer sehr beeindruckt“, sagt sie auf die Frage, inwieweit sie sich mit zeitgenössischer Kunst auseinandersetze.

Schon Mitte der 1990er-Jahre taucht immer wieder das Thema der Geburt auf. „Ich wusste, dass ich Kinder haben möchte, aber ich musste zuerst lernen, dass Licht und Schatten gleichermassen zum Leben gehören“, sagt die Partnerin des Grafikers Peter Lüthi („Kong“) und Mutter von Frank (*1999) und Mascha (*2002). Es gibt seit einiger Zeit wieder mehr Künstlerinnen, die ihre Mutterschaft in ihre Kunst einbeziehen (in den 1970er/80er-Jahren war das tabu), doch so direkt wie es Silly Mano tut, wie sie daraus ein Beziehungsgeflecht schafft, das ist ungewöhnlich und damit spezifisch.

Was damit gemeint ist, zeigt die kleine Anderfuhren-Ausstellung im Centre PasquArt. „Dass die Bettlaken, die ich für die Arbeit &Mac226;der Stoff, aus dem’ verwendete, einmal meiner Grossmutter gehörten, die Nähmaschine jene meiner Mutter ist, und ich meine Arbeiten im Haus der Familie schaffe, ist mir sehr wichtig, um diesen Lebensreigen, dieses Lieben, Leben, Kommen, Gehen, Tanzen und Sterben überhaupt zu spüren und dann zu gestalten“, sagt Silly Mano. Ähnlich wie bei den „Vergabelungen“ respektive dem „gescheiterten Haufen“, den Figuren aus Astgabeln („die habe ich mit den Kindern im Wald gesucht“) und kleinen Holzrondellen oder –bälkchen als Köpfen, ist es bereichernd, den feinen Bleistift- Gesichtszügen auf Holz oder Stoff in die Augen zu schauen und dabei eine Vielfalt von Charakteren und wachen Blicken in die Welt wahrzunehmen. Sie weist die Werke über ihre primäre Form und Alltags-Materialität hinaus.

Dennoch: „Manchmal sage ich mir, jetzt ist Schluss, es ist einfach zu viel, aber dann merke ich, ich kann nicht leben ohne kreatives Gestalten“. Das ist einerseits ein Kunst-Kriterium, spiegelt andererseits in realistischer Weise die Lebenssituation einer teilzeitlich berufstätigen Mutter, die viel Kraft aufwenden muss, um – der Mithilfe des Partners zum Trotz – allen Verpflichtungen nachzukommen. Es erklärt warum Silly Manos Werk relativ klein ist, sich in engen Bahnen bewegt und sie an eine Künstlerinnen-Karriere gar nicht denkt. Die Gesetze der Kunstszene sind so hart wie jene in anderen Wirtschaftszweigen. Freuen wir uns darum besser, dass es im Lokalen zuweilen Kostbarkeiten gibt, die sonst nirgends zu haben sind.

Info:
Das Anderfuhren-Stipendium nährt sich aus der von Ernst (Bubu) Anderfuhren gegründeten, gleichnamigen Stiftung. Es besteht seit 30 Jahren und vergibt jährlich ein oder mehrere Stipendien an Kunstschaffende unter 40 Jahren. Präsidentin des Stiftungsrates und der Jury ist zur Zeit die Bieler Kunsthistorikerin Betty Stocker. Ein Anderfuhren-Stipendium erhielten in den letzten Jahren u.a. Matthias Wyss, Le kou Meyr, Hannah Külling, Rudolf Steiner, M.S. Bastian, Mingjun Luo.