Kunstrückblick 05 – Bieler Jahrbuch 2005

Der Lauf der Dinge oder Die Lust auf Erinnerung

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Jahrbuch 2005, erschienen im Juni 2006

Die interne „Blattkritik“ bewertet die täglichen Ausgaben des Bieler Tagblatts als „ausserordentlich“, „gut“, „solid“ oder auch nur „durchschnittlich“. Dem Bieler Kunstjahr 2005 könnte man analog das Prädikat „reich“ zusprechen. Aufsehen erregend Neues gab es zwar nicht, aber einiges aus dem Lauf der Dinge auf gutem Niveau weckt, wie in  früheren Jahren, die Lust auf Erinnerung.

Wenn wir versuchen, mit der jedem Schreiben eigenen Subjektivität, fünf Highlights herauszuschälen, so taucht vor dem inneren Auge ganz Unterschiedliches auf: Einmal die Ausstellung „Das neue Biel – La nouvelle Bienne“ im Museum Neuhaus, welche anhand reicher Dokumentarfotografien Biels architektonische Substanz aus den 1920er-Jahren bewusst machte, die im Jahr zuvor  zur die Verleihung des Wackerpreises an die Stadt Biel führte.

Dann die im Rahmen von Science et Cité stattfindende Ausstellung mit Bildern,  Büchern, Präparaten, Filmen, Vorträgen, Führungen und Web-Cam-Projektionen der Stiftung Sammlung Robert, ebenfalls im Museum Neuhaus. Hier konnte in erneuerter Form erlebt werden, welch ungewöhnlichen, Kunst in verschiedenste Richtung vernetzenden Schatz die Stadt Biel in Form des Nachlasses der  Maler- und Naturwissenschafter-Familie Robert besitzt. Ergänzend dazu sei die Ausstellung „Die religiöse Malerei“ der Roberts in der Pasquart-Kirche erwähnt, womit vor allem die Zusammenführung eines 1928 für die Kirche von Môtier (Vully) geschaffenen, sechs-teiligen Zyklus mit biblischen Themen von Philippe Robert gemeint ist. Wie sich in diesen Bildern Symbolismus und Jugendstil vereinen ist trotz kunstgeschichtlicher Verspätung ausserordentlich.

Schüpfen zu Biel zu zählen ist vermessen. Aber die Freilicht-Ausstellung, welche die soziale GAD-Stiftung im Sommer dank ihrem Leiter Rolf Zumstein (ehemals „Jetzt Kunst“/Biel) mit 45 Schweizer Künstlerinnen und Künstlern – auch aus der engeren Region – veranstaltete, hatte klar überregionalen Charakter und war qualitativ von überraschender Qualität.

Was die letztgenannten zwei Highlights unabhängig von ihren Inhalten miteinander verbindet, ist hingegen wenig erfreulich. Aufgrund schmaler Budgets mit viel Benevol-Arbeit reichte die Kraft (und das Know-How?) weder hier noch dort für ausreichende Öffentlichkeitsarbeit, was heisst, dass die Ausstrahlung über die Region hinaus nur sehr bedingt stattfand. Ein Theoretiker sagte einmal sehr radikal: „Kunst, die keiner kennt, ist keine Kunst“. Nun ist es angesichts der enormen Produktivität von Kultur in unserem Lande einerseits und schwindender Bereitschaft der Medien über anspruchsvolle Kultur zu berichten andererseits, tatsächlich schwierig geworden, sich Gehör zu verschaffen. Man überlege sich einmal, wie oft bildende Kunst am Fernsehen ein Thema ist! Gerade deshalb müssen aber Veranstaltungen, die Sponsorengelder in Anspruch nehmen, zwingend von professioneller (sprich: hartnäckiger) Öffentlichkeitsarbeit begleitet sein. Das war hier nicht der Fall.

Dass es regelmässig an die Öffentlichkeit tretende Institutionen tendenziell einfacher haben, zeigt zum Beispiel das Medien-Echo, welche die – hier als viertes Highlight erwähnte – Herbst-Ausstellung „Helden heute“ im Centre PasquArt zu evozieren vermochte. Die Internationalität der 50 künstlerische Positionen umfassenden Schau zu einem Thema, das vielgestaltig „in der Luft liegt“, traf den Zeitgeist und damit das Interesse der auf ein breites Publikum ausgerichteten Kulturberichterstattung. Nicht zu unrecht, auch wenn die sehr offen gehaltene Plattform „heldischer“ Kunstäusserungen auch kritische Kommentare auf den Plan rief.

Last but not least seien als fünftes Highlight die Bieler Fototage erwähnt, die unter dem Motto „…on the road again“ eine ebenso faszinierende wie überraschende Vielfalt von Foto-Essays umfasste und auch bezüglich Publikumsinteresse ein Erfolg war. Besonders angemerkt sei der gelungene Brückenschlag zwischen deutsch und welsch (eine Seltenheit!).

Die Highlights benennen alle grössere Ausstellungen und Veranstaltungen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber was wäre ein Kunstjahr ohne persönliche Entdeckungen und Erlebnisse. Eines war im Jahr 2005 zum Beispiel die Begegnung mit der Amerika-Schweizerin Francesa Gabbiani, die im Frühjahr im Centre PasquArt ihre erste Museumsausstellung in der Schweiz bestritt. War die Erinnerung an ihre „leeren“ Bilder der frühen 1990er-Jahre eher zwiespältig, entpuppte sich die Weiterentwicklung im filmgeprägten Los Angeles als ausgesprochen spannend: Szenen aus bekannten Horror-Filmen (von Pasolini zum Beispiel), verwandelte sie in farbige Scherenschnitte, die einzig die Orte, die Intérieurs der Geschehnisse zeigen und alles andere der Fantasie überlassen. 


Auch ein anderes Erlebnis hat mit künstlerischer Entwicklung zu tun. Grenchen ist nicht Biel gewiss, aber wenn der gerade mal 41-jährige Bieler M.S. Bastian seine erste 20-Jahr-Retrospektive im kleinen Museum der Stadt Grenchen zeigt, pilgert „tout Bienne“ ins nahe Solothurnische. Der Rückblick des Hauptvertreters der Bieler Comic-Kunst bestätigte in dichter Art und Weise, welch persönliche Lebenser-fahrung er in die Welt des Comic  zu übersetzen weiss und zwar mit fraglos künstlerischen Mitteln, sei es im Objekt oder in der Malerei.

Wenn hier als drittes eine meilenweit von Gabbiani und Bastian entfernte Ausstellung erwähnt sei, so nicht ohne Absicht.  Es ist die Retrospektive von Fernand Giauque (1895-1973) im Museum Neuhaus. Man hätte sie zwar gerne etwas experimenteller gestaltet und in einen Bezug zur Gegenwart gestellt gesehen, doch ist das Verdienst des Stadt-Museums, die ältere Seeländer (Landschafts-)Malerei nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, bedeutend. Schade ist hingegen, dass weder die Ausstellung Bastian in Grenchen noch Giauque in Biel von einem Katalog begleitet waren. Vor allem in letzterem Fall muss von einem echten Versäumnis die Rede sein, gibt es doch keine einzige Monographie zu Fernand Giauque. Kein Geld zu haben, ist manchmal eine Entschuldigung, die keinen Batzen wert ist.

Immer noch war ausschliesslich von Ausstellungen in öffentlichen Instituten die Rede. Es gibt aber auch eine Galerien-Szene; der Kalender des Kunstjahres 2005 zeigt es. Wenn nun dazu, scheinbar paradoxerweise, eine Ausstellung im Kulturhaus Palazzo in Liestal erwähnt wird, so weil mit der Einladung an Silvia Steiner, ihre Galerie daselbst zu präsentieren, eine ausserordentliche Anerkennung von aussen manifest wurde. Das sollte nicht zuletzt die Bieler und Bielerinnen auf die Bedeutung dieser ältesten heute noch in derselben Form wie in den späten 1960er-Jahren bestehenden Schweizer Galerie aufmerksam machen. Silvia Steiner zeigte ein Panorama „ihrer“ und darum hierzulande bekannten Künstler; Werke von Alois Lichtsteiner über Uwe Wittwer und Christian Rothacher bis Pascal Danz und Marc Antoine Fehr (lauter Männer übrigens). Aus ihrem Bieler Jahresprogramm sei hier die Ausstellung von Ise Schwartz genannt, da sie die wichtige Bieler Malerin, die sich in komplexer Weise mit dem Thema Ornament befasst, wieder einmal vor Ort zeigte.

Die höchste Programmdichte wies 2005 ohne Zweifel Alfred Maurers als „gq3“ zeichnende Galerie an der Quellgasse 3 in Biel auf. Die Ausstellungen ob der Lindenegg waren durchwegs klein aber fein, lenkten den Blick von Spektakulären zum Intimen, vielleicht zu einer Art stillen Freude, zum Beispiel in Arbeiten von Jürg Robert Tanner, Heidi Künzler oder Verena Thürkauf. Schade, dass Biels Kunstinteressierte dieses engagiert geführte kleine Kunstzentrum noch zu wenig entdeckt haben.

Alles kann nicht erwähnt werden, doch auf Einiges muss noch hingewiesen werden. Zum Beispiel auf den Skulpturenweg Nidau-Port, den engagierte Kunst-Amateurinnen aus der Region realisierten. Im Vergleich mit den unzähligen Freilichtausstellungen der letzten 20 Jahre war die Veranstaltung zwar nicht herausragend und durch den überlangen Parcours von Nidau bis Port zu wenig kompakt, doch regional brachte die Veranstaltung Kunst ins Erlebnisfeld einer breiten Öffentlichkeit. Leider auch negativ, da Vandalen mehrere Arbeiten zerstörten.

Erstaunlich ist manchmal, wie weit ab der Zentren, plötzlich Juwele auftauchen; gemeint ist die Ausstellung von Franz Fedier in der Galerie von Regina Larsson in Siselen. Der schon von Krankheit gezeichnete Berner Maler von schweizerischem Renommée hatte zu einem letzten Höhenflug seines Werkes angesetzt und zeigte ie Bilder als letzten Auftritt vor seinem Tod in Siselen.

Zur Gedenkausstellung wurde hingegen die Ausstellung der in der Region mit zahlreichen Wandteppichen vertretenen Lissy Funk (1909-2005) im Aarbergerhus in Ligerz.  Zusammen mit Arbeiten von Maya Rikli und Liliana Gassiot wurde hier der künstlerische und gesellschaftliche Wandel der Kunst mit Stickerei im 20/21. Jahrhundert gezeigt.

Auch schon an ihren Alterswerken schaffen Martin Ziegelmüller, Danilo Wyss, Heinz  Peter Kohler und Toni Bögli. Alle vier  Bieler respektive Seeländer Maler wurde 2005 runde 70 Jahre alt. Während Bögli Arbeiten im Rebhaus in Wingreis zeigte, lud der Kunstverein die anderen drei zu einer Sonderschau im Rahmen der Weihnachtsausstellung ins PasquArt ein. Was auffiel: Keiner hatte Lust zurückzublicken, alle präsentierten sie ein Feuerwerk neuer Arbeiten, das sie auf der Höhe ihrer besten Werke zeigte. 


Zu guter Letzt sei nochmals auf die Fotografie zurückgekommen, die in Biel seit langem eine starke Position hat. Doch auch hier ist der alte „Streit“ zwischen angewandter Fotografie und freier Kunst immer noch nicht ganz ausgestanden. Das zeigt jeweils die Weihnachtsausstellung, bei welcher sich die „Künstler“ beim Kunstverein anmelden, die „Fotografen“ beim Photoforum; eine unbefriedigende Situation, die durch den strengeren Qualitätsmassstab bei der Kunstverein-Jury noch einmal verzerrt wird. Klarer ist die Betonung ausserordentlicher Fotografie im medienspezifischen Sinn im Jahresprogramm des Photoforums. Die Highlights? „Marylin and friends“ aus dem Fundus der Gebrüder Shaw und  die fotografische Biographie des Tschechen Bohdan Holomicek.


Dass noch so manches zum Kunstjahr 2005 gehört, etwa Christophe Lamberts Ausstellung in der Gewölbe-Galerie oder die Zusammenkunft der Künstler-Lehrer an der Schule für Gestaltung in Biel in Vinelz oder Eric Lanz’ Retrospektive respektive „Die Quittungen“ des Künstlerduos Chiarenza&Hauser im Centre PasquArt, bekräftigen das Adjektiv „reich“, mit dem das Bieler Kunstjahr 2005 am Anfang dieses Textes qualifiziert wurde.