Erstmals zeigt Michael Biberstein in einer Einzelausstellung in der Schweiz primär Zeichnungen und widmet die Schau dem bisher wenig diskutierten, aber nicht minder spannenden Thema «Horizont».

Obwohl Michael Biberstein (*1948) seit 30 Jahren in Portugal lebt, wird der gebürtige Solothurner nach wie vor als Schweizer Künstler wahrgenommen, nicht zuletzt dank regelmässigen Ausstellungen, unter anderen bei Jamileh Weber, Maxe Sommer und, aktuell, bei Elisabeth Staffelbach in Aarau. International bekannt wurde der Künstler mit grossformatigen, sphärischen Bildern in Öl und Acryl, die rein fiktive Landschaften oder Blicke ins Universum suggerieren. Wie ein roter Faden ziehen sich Wahrnehmungsfragen durch sein Werk. Dabei geht es nicht um flüchtige Sehspiele, sondern um Kernthemen, welche den Menschen seit jeher beschäftigen: Die Frage nach Gott, nach der Existenz des Unfassbaren.

Dementsprechend ist mit dem Thema «Horizont», dem er sich seit rund 15 Jahren widmet, nicht einfach die Trennlinie zwischen Erde und Himmel gemeint, sondern der Wissenshorizont, die Grenzlinie, die uns in unserer materiellen Gebundenheit vom Erkennen des Göttlichen trennt.
Biberstein nähert sich dieser Grenze in einer Art west-östlichen Dialogs. So wie ihm für seine «immateriellen» Bilder naturwissenschaftliche Blicke ins All als Inspiration dienen, so lehnen sich auch seine in die Ferne weisenden Horizonte formal an mathematisch-naturwissenschaftliche Kurven an. Das Gegebene und das Erdachte, das Sichtbare und das fühlend Aufgeladene potenzieren sich zu einer Wahrnehmung, die greifbar scheint und unfassbar ist.

Bibersteins Zeichnungen zeigen, wie unmittelbar Denken und Handeln verknüpft sind. Das Thema des Horizonts untersuchte er zunächst in Wandzeichnungen, später auf Papier und in Öl auf Leinwand. Die aktuell in Aarau gezeigten Papiere sind farblich erstaunlich lebendig und basieren formal auf stark in die Breite gezogenen Querformaten (ca. 120/150 x 30/40 Zentimeter). Auf den Papieren hat er mit wasserlöslichen Stiften rote, gelbe, blaue, schwarze Linien in vervielfachten Wellenbewegungen übers Papier gezogen; mal von links nach rechts, mal von rechts nach links, parallel, sich touchierend, immer wieder kreuzend. Die Farben überlappen sich, verwischen und vermischen sich. Biberstein versucht im Zeichnen bei sich zu sein, konzentriert, horchend, nie aber – so betont er – auf individuellen Ausdruck bedacht. Als Vergleich nennt er die Saiten der Geige, die durch Streichen in Vibration versetzt werden und Musik erzeugen. Der Vergleich erstaunt nicht, beruhen doch Schall-Frequenzen auf Sinuskurven. Die Musik ist ein taugliches Moment für die Charakterisierung von Bibersteins Kunst, da sie in Klängen evoziert, was der Maler bildnerisch sucht: Augenblicke der Entgrenzung.

Bis