Reiz & Risiko im Haus für Kunst Altdorf 2006

20 zeitgenössische Positionen

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Aargauer Zeitung Juli 2006

Reiz & Risiko ist das ambitionierte Thema einer Ausstellung im 2004 eröffneten Haus für Kunst Uri im Zentrum Altdorfs. Weit ab von den Zentren, ist sie dennoch keineswegs provinziell. Reiz und Risiko haben gemeinsam, dass sie positiv wie negativ besetzt sind; der erotische Reiz, der Brechreiz, mit Risiko gewinnen oder verlieren. Beide Begriffe sind in ihrer Ambivalenz zeittypisch: wir rufen nach Reizen und werden davon überflutet, wir riskieren das Leben und rufen nach Sicherheit.

Man könnte das Thema sehr radikal, ja sogar brutal inszenieren. Das tun die beiden (Berner) Kuratoren Peter Stohler und Sylvia Rüttimann nicht. Sie setzen auf subtile Impulse, auf unterschwellige Provokation, auf Ironie und Poesie. Sie reizen ihr eigenes Thema nicht bis an die Grenzen, erreichen aber vielleicht gerade darum verführerische Qualitäten.

Das Thema ist weitgehend körperbezogen interpretiert und steht vielfach in Wechselwirkung zur Performance. Die Estländerin Ene-Liis Semper (geb. 1969) etwa lässt sich einen Blumenstock in den Mund pflanzen (Video). Der Engländer Matt Calderwood (geb. 1978) verbrennt den Strick, an dem er das Gewicht über seinen Händen befestigt hat; mit Sicherheit auf Happy End (Video). Die Bernerin Nadine Rüfenacht (geb. 1980) fotografierte Willi Melligers Calvaro im Schlachthaus und präsentiert das Bild des toten Pferdes als Hochglanz-Abzug. Die Beispiele zeigen, dass Reiz&Risiko ist nicht nur motivisch fokussiert ist, sondern auch die Kunstschaffenden selbst zu Reiz und Riskio befragt.

Einer kann es anders und dies köstlich und mehrdeutig: Bernhard Huwiler (geb. 1957) baute einen „Hänselundgretelmaschine“. Der umfunktionierte Staubsauger zeichnet gleichzeitig mit blauer Farbe eine Linie wie er diese auch wieder einsaugt. Vor allem dokumentarisch schreibt sich das Video „Strip“ von Monika Oechsler ein; es zeigt Kinder in London, die mit verbundenen Augen das Auseinandernehmen und Zusammensetzen von Pistolen üben. Künstlerisch bleiben unter anderem die „Alabaster-Körper“ des Deutschen Andreas Kohler (geb. 1978) in Erinnerung: Junge Menschen, die für den Fotografen reizvoll posieren, ihre bedrückte oder unsichere Befindlichkeit aber nicht in bemühtes Lächeln verkehren.

Reiz&Risiko ist kein neues Thema. Man könnte es kunsthistorisch vielerorten abstützen – bei Marina Abramovic, bei Louise Bourgeois, bei Roman Signer usw. Das versucht die Urner Ausstellung erst gar nicht. Sie zeigt in einem guten Mix Werke von bekannten, aber auch (noch) unbekannten Kunstschaffenden zwischen 26 und 45 Jahren. Neue, zum Teil für die Ausstellung entstandene Werke – die rosarote Brüste-Wucherung der Luzernerin Julia Kälin (geb. 1977) zum Beispiel – stehen im Wechsel mit älteren Arbeiten bis zurück zu Oleg Kuligs Fotoserie der Verschmelzung von Hunde- und Menschenleben von 1997.

Erfreulich ist, dass die Ausstellung sehr gut recherchiert wirkt und von einem Katalog mit Bildteil und fundierten Texten begleitet wird.