Vernissagerede für Sonja Feldmeier

Galerie Hans-Trudel-Haus in Baden. 07.12.2006

Sehr geehrte Damen und Herren
liebe Sonja

Um eine Vernissagerede vorzubereiten, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man trifft sich mit der Künstlerin am Vortag der Eröffnung, diskutiert mit ihr direkt in der fast fertig eingerichteten Ausstellung und gibt dann Gas, die Rede am andern Tag zu schreiben. Oder: Man trifft sich mit der Künstlerin im voraus in ihrem Atelier, nimmt in Kauf, dass man sich die Präsentation vor Ort nur vorstellen kann, sieht aber die reale Umgebung, in welcher die Arbeiten entstanden sind und entdeckt dabei zuweilen Überraschendes. Ich für mich ziehe Zweiteres deutlich vor, nicht nur weil es weniger Stress bedeutet, sondern weil die Arbeitsgänge der Künstlerin oder des Künstlers transparenter werden.

Lassen Sie mich als Beispiel die geheimnisvolle Einladung zum heutigen Abend nehmen. Ins Auge sticht ein Schimmel mit der Aufschrift „dark angel“ und dem Datum 13.10.06, mit blau korrigiert durch 7.12.06. Da gehe ich nun also gemäss Anweisung von Sonja Feldmeier beim Basler Bahnhof hinten hinaus und komme so auf die Güterstrasse. Ich gehe auf der rechten Seite und stutze plötzlich, denn ich sehe auf der linken Strassenseite eine verwaiste gläserne, mit Papier nach innen abgedeckte Schaufenster-Fassade mit unzähligen Spuren von Klebebändern. Das kommt mir doch bekannt vor und wenige Minuten später bestätigt mir Sonja Feldmeier in ihrer geräumigen Werkstatt-Wohnung an der Sempacherstrasse 17, dass sie die Foto für die Einladungskarte tatsächlich an diesem Glasschaufenster gemacht hat, aber nicht, wie ich vermutete, inszeniert, sondern direkt so vorgefunden (mit Ausnahme des später eingesetzten Datums). Das heisst, da hat also jemand anders Werbung gemacht mit einem weissen Schimmel, einem dunklen Engel und einem Datum.

Wer da für was warb, wusste sie nicht, es geht nicht unmittelbar aus dem Plakat hervor. Doch das ist Sonja Feldmeier eigentlich egal – und da sind wir jetzt schon bei einer typischen Struktur ihres Schaffens – sie sieht einfach das Bild, entleert es seiner Vergangenheit und macht es zur Basis von etwas Neuem, nun Ihr Gehörendem und gibt es mit der Faszination des Geheimnisvollen an uns weiter. Wenn wir uns später zum Beispiel mit den Bildern im obersten Stockwerk befassen werden, die aus Printmedien stammen, ihrer „Erzählung“ bildlich beraubt wurden, um entleert zu „Gefässen“ für unsere Geschichten zu werden, so ist das ein nicht unähnliches Vorgehen. Angemerkt sei auch noch, dass sowohl der „Dark Angel“ wie die Fotos aus den Printmedien aus dem öffentlichen Raum stammen und damit Teil des Bilderstroms sind, dem wir uns täglich ausgesetzt sehen.

Was brachte es mir nun, dass ich durch meinen Entschluss, Sonja Feldmeier ihn ihrem Atelier zu treffen, den Weg der Einladungskarte kenne? Vor allem zwei Dinge: Zum einen macht es mir die tätige Künstlerin bewusst, die durchs Leben geht, schaut, agiert und gestaltet. Nicht Vorstellungen im Elfenbeinturm generieren dieses Werk, sondern waches, aktives Leben in unserer Zeit. Zum andern, dass Sonja Feldmeier dann auf Bilder reagiert, wenn sie Mehrdeutigkeit in sich tragen, ja sogar paradox sind – ein weisser Schimmel, der behauptet sich am 13. Oktober in einen dunklen Engel zu verwandeln – halt, jetzt sind wir schon bei meinen Geschichten. Lassen wir es also oder soll ich Ihnen die Auflösung des Bilderrätsels doch verraten? Muriel Uttinger, die Assistentin von Sonja Feldmeier, hat es nämlich mit Dedektiv-Blick herausgefunden, in einem Musikladen – da wo sie auf einem Cover plötzlich einen weissen Schimmel entdeckte und einen jungen Mann mit Anzug und Epaulette, wie auf dem billigen Plakat. Da stand nämlich nicht Sonja Feldmeier drüber, sondern KuttiMC – der Name des Berner Rappers und Lyrikers, dessen neues Album „dark angel“ heisst.

Ich sehe die latente Frage schon in ihren Augen: Hallo Copyright. Das ist in der heutigen Kunst tatsächlich ein Problem – ich könnte ihnen von einer Vielzahl von Beispielen im Grenzbereich erzählen – zum Beispiel von den umhäkelten Printmedien-Bildern der – wie ich am Bielersee lebenden – Badener Künstlerin Chris Weibel oder – sie haben es eben gelesen, von Anton Meiers Klage gegen Thomas Hirschhorn, der Faksimiles von Pendelzeichnungen von Emma Kunz gebraucht haben soll. Was ist „Veränderung“ und was 1:1 – Übernahme? Ein schwieriges Kapitel – hier bei der Einladungskarte nicht ganz klar, eindeutig aber bei den „evacuated“-Bildern im obersten Stock.

Doch jetzt etwas ganz Anderes oder, zumindest fast ganz Anderes. Barbara Reber, die Sonja Feldmeiers Arbeit seit langem mitverfolgt – quasi mitschreibt – sagt zu Beginn des Pressetextes für die heutige Ausstellung sinngemäss: Um der täglichen Bilderflut Herr zu werden, gebe es nur eines, sich nicht dagegen wehren, sondern mitschwimmen. Ich würde mit Blick auf Sonja Feldmeier noch weiter gehen und sagen, sich die Bilderflut aneignen, um daraus wieder eigene Territorien zu schaffen. Also nicht einfach sampeln, wie andernorts häufig, mit dem billigen Auftrag, sich selbst etwas zu denken, sondern greifen, verändern, neu gestalten und zu Eigen-Ausdruck machen.

Wenn wir einen roten Faden suchen durch das scheinbar heterogene, multimediale Werk von Sonja Feldmeier, so ist er genau hier, auch wenn nicht immer linear und schon gar nicht in einer logischen Kausalkette. Dennoch, ganz an der Basis, da wo die treibende Kraft hockt, ist nicht nur die Lust, in der Bilderflut zu schwimmen, sondern auch die Herausforderung, sie zu bewältigen. So wie wir beim Schwimmen im Wasser immer aktiv sein müssen, um nicht unterzugehen.

Um dieses Leitmotiv noch ein wenig deutlicher werden zu lassen, ist es wichtig die Generation von Sonja Feldmeier in die Überlegung einzubeziehen. Denn es charakterisiert nicht nur sie, sondern sehr viele Menschen – darunter Künstlerinnen und Künstler – die in den 1960er-Jahren geboren sind. Es ist die erste Generation, die via Fernsehen die Welt in die Stube geliefert bekam und mit medialer Realität aufwuchs; TV, Video, Fotografie boomen und zwar noch nicht als Overkill wie heute, sondern als ebenso faszinierender wie bedrohlicher Prozess der Veränderung der Sicht auf die Welt. Sonja Feldmeiers Werk kann von dieser grundlegenden Erfahrung heraus begriffen werden. Als Bemühung, sich nicht zu verlieren, sondern Meisterin zu bleiben.

Konkret heisst das, dass die Künstlerin zunächst einmal Bilder sammelt, die spontan etwas in ihr auslösen – seien es mediale Bilder – Fundstücke – oder Geschehnisse, Erlebnisse, die sie mit der Videokamera festhält. Dieses teils papierene, teils digitale, statische und filmische Archiv ist im Laufe der Zeit zu einer Art Welt gewachsen, die sich immer wieder anders verknüpfen lässt mit dem eigenen Lebenslauf, den sich in der Zeit folgenden Lebens-Erfahrungen und von da aus in die Werke wie wir sie hier und heute sehen und erleben münden.

Am Schwierigsten zu verstehen sind wohl die kartographischen Arbeiten hier im Treppenraum des Trudelhauses. Das heisst, der Hinweis, dass sich die Reliefs und die Bilder aus Camouflage-Mustern wie sie in Form von Tarnstoffen vom Militär verschiedener Länder angewendet werden, ableiten, macht den Veränderungs-prozess nicht auf Anhieb plausibel. Erst im Verweilen in den Höhen und Tiefen wird mir klar, dass es die persönlichste Arbeit ist in dieser Ausstellung, dass die Reliefs den Körpern entsprechen, welche die Stoffe camouflieren, dass es getarnte Körper-Landschaften sind. Nicht nur, darauf kommen wir noch, aber auch und gleichzeitig das eine und das andere. Mit Tarnstoffen wird ja immer etwas zugedeckt, mehr noch zu einem Teil des Zugedeckten gemacht, so dass man das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden kann. Im Laufe unserer Begegnung sagt Sonja Feldmeier unverhofft und für mich, so mitten in einem ausgesprochen kommunikativen Gespräch auch überraschend: „Ich bin eigentlich eine Einzelgängerin; wenn ich nicht genügend Zeit habe für mich, geht es mir nicht gut“. Besteht da unterschwellig ein Zusammenhang? Vielleicht. Es könnte erklären, warum die Künstlerin auf das Camouflage-Muster so intensiv reagiert. Doch das wäre nur der unterirdische Strom. Im Werk von Sonja Feldmeier gibt es immer auch einen oberirdischen.

Interessant ist diesbezüglich zum Beispiel, wann und in welchem Zusammenhang Sonja Feldmeier vom Camouflage-Virus gepackt wurde. Die Künstlerin lebte 2001/2002 in New York. Am 11. September ist sie zwar gerade in der Schweiz, doch danach kommt in New York offenbar ein regelrechtes Camouflage-Fieber auf, alles wird camoufliert, Camouflage wird zum Modehit; was das Herz begehrt, ist im Tarnlook zu haben, sogar Bikinis – welch eine Paradoxie! Im Mudac in Lausanne machte Direktorin Chantal Prod’hon vor einigen Jahren eine Ausstellung zum Thema. Bei den meisten war das alles wohl sehr oberflächlich, aber die Bild-Präsenz hat das bereits vorhandene Dossier in Sonja Feldmeiers Archiv anschwellen lassen und vor allem auch mit weit tiefer schürfendem Interesse gefüllt.

Gut klingelte das Telefon als ich bei Sonja Feldmeier im Atelier war. Da kann man als Journalistin oder Vernissagerednerin nämlich ein bisschen spionieren. Und da lag auf einem Tisch – bereits in die Ecke gerückt – ein dickes Bild-Text-Buch mit dem Titel „Disruptive Pattern Material“, herausgegeben von einem Engländer namens Hardy Bleckmann – einem Camouflage-Spezialisten ersten Ranges. Sein Recherchen galten längst nicht nur dem Militär, sondern zum Beispiel auch der Kunst – dem Surrealismus unter anderem – dann – natürlich – der Natur, der das ganze Thema ja abgeguckt ist, dem Film, den Pixeln usw. Kein Zweifel mit diesem Buch hat Sonja Feldmeier ihr Thema vertieft. Und dann mit ihren „fiktiven Territorien“ doch etwas ganz Anderes daraus gemacht.

Im Atelier ist auch die „Badewanne“ zu sehen, in welche sie die Ton-Reliefs – diese hier in der Ausstellung sind aus Gips und nun Ausstellungsstücke, während die ersten nicht mehr als Funktionscharakter hatten – die mit schwarzem Plastik ausgelegte Wanne also, in die sie dunkle Flüssigkeit laufen liess, um die Fieberkurven – pardon, die Höhenkurven – der aus den Camouflage-Mustern geformten Berg- und Tal-Landschaften zu eruieren. Kurven, die sie feinsäuberlich auf eine Karte übertrug und schliesslich in die in die Zwei-Dimensionalität – ins Bild – zurückübersetzte Malerei integrierte.

Da wird also Getarntes enttarnt, bloss gelegt, vermessen und schliesslich wieder versteckt, diesmal in Malerei. Farben, Formen, Linien, mit einer langen, unsichtbaren Geschichte. Landschaften, die man – allein, als Einzelgängerin – durchwandern kann, sich selbst unter der Camouflage-Decke spürend. Sie hätten in die Ausstellung gepasst, die der Badener Kurator Paolo Bianchi schon 1997 unter dem Titel „Atlas Mapping – Künstler als Kartographen“ machte.

Doch halt, Sonja Feldmeier plötzlich zur Befindlichkeitsmalerin zu machen, das wäre, wie bereits erwähnt, eine Fehl-Interpretation. Denn da ist immer auch der nach aussen gewendete, zur Welt hin gewendete Geist. Die Bilder sind nämlich beschriftet – mit „Türkei“ zum Beispiel, mit „Kongo“, mit „Israel“ oder „Palästina“ – letztere sind zur Zeit in einer Ausstellung in Wien zu sehen – der „Schweiz“ auch. Es geht also nicht nur um Camouflage an sich, sondern auch um die ganz konkreten Zuordnungen. Darum also, was mir in den Sinn kommt, wenn ich Tarnen, Verstecken und „Türkei“ zum Beispiel, zusammenbringe. Die Armenien-Frage liegt plötzlich auf dem Tisch, das Christentum, der Islam, Europa und Asien usw. Da legt die Künstlerin eine Fährte, da gibt sie uns ein Thema mit auf den Weg. Ein politisches Thema, das – gerade in der Verdoppelung, in der Gleichzeitigkeit einer ganz Persönlichen, einer Ich- und Du-Ebene, und einer überpersönlichen, weltbezogenen Ebene – von Brisanz ist und die bildnerisch-künstlerische Erscheinung – das „dekorative“ Bild – ständig in Bewegung hält.

Um meinen Auftrag als Vernissagerednerin ganz zu erfüllen, müsste ich nun noch vom Seifenblasen-Revolver-Video im ersten Stock sprechen und darauf verweisen, dass die Prints im obersten Stock alle aus Kriegsgebieten stammen – aber zum einen hoffe ich, Ihnen mit meinen Antworten genügend Leitfaden gegeben zu haben, dass der Motor von selbst läuft und zum anderen haben Sie nun wirklich ein Glas Wein (oder Saft) verdient. Ich danke fürs Zuhören.