„Art en plein air“ in Môtiers (NE)

Mut zum Fest mit Schweizer Kunst

Annelise Zwez, Juni 2007

Die fünfte Auflage von „art en plein air“ im neuenburgischen Val de Travers ist jung im Geist und gespickt mit köstlichen Geschichten.

Das Wetter findet draussen statt. Eine Binsenwahrheit. Für Hannah Külling und Heinrich Gartentor – notabene Präsident und Vizepräsidentin der Schweizer Künstlergesellschaft visarte – wurde sie letzten Donnerstag zur bitteren Erkenntnis. Die „Areuse“, die im Gebiet von „art en plein air“ in Môtiers entspringt, wurde zur Furie, riss Küllings wunderschöne Wasserleiche „Ophelia“ (wächsern und im Hochzeitskleid) mit sich und kippte Gartentors ironische Idee einer „piscine“ im Fluss buchstäblich ins Wasser. Traurig, doch schon ist klar: Weder das geschmacklose Wildwest-Video im Lokalmuseum noch das damenlose, bronzene Bein im dunklen Wald der Shootings-Stars Olaf Breuning und Mai Thu Perret sind hier Kult, sondern die vermisste Ophelia, der jetzt vor Ort mit Blumen und ewigem Licht gedacht wird.

Môtiers 2007 – die fünfte Ausstellung ihrer Art seit 1985 – ist überraschend jung im Geist, das „déjà-vu“-Gefühl steigt nur selten auf und auch hier möchte man die Werke darob nicht missen. Etwa Katja Schenkers Land Art-Spirale, in die man hinabsteigen muss, um nichts als Himmel zu sehen. Ihre Arbeit ist insofern typisch als der Technik-Chef – Thierry Bezzola – die Wasserquelle, die beim Aushub sprudelte simpel und einfach ableitete. So „einfach“ geht das in Môtiers und so engagiert unterstützt das Comité, mehr noch, das ganze Dorf, die Ideen der Kunstschaffenden. „Wenn du etwas verrücktes realisieren willst, musst du in Môtiers mitmachen“, heisst es nicht zu Unrecht in der Kunstszene.

Nun, „verrückt“ ist die Ausstellung nicht, aber zeitgenössischer als frühere Ausgaben. Das liegt wohl daran, dass die Jury (u.a. mit Stefan Banz und Dolores Denaro im Team) nicht nur „Bildhauer“ einlud, sondern davon ausging, dss multimedial heisst, überall eine Lösung finden. Und so sind ebenso Animations-Künstler wie „collectif fact“ (mit einem Maschendraht-Labyrinth), virtuell Agierende wie „etoy“ (mit einem mobilen Friedhof) oder die Performance-Künstlerin Geneviève Favre mit dabei. Von letzterer stammt die köstliche „Jack in the Box“ – Installation, aus welcher – mitten im Wald – eine rothaarige „grüne Fee“ springt, die operngleich „ich bin total besoffen“ singt. Der legendäre Absinth, der zur Geschichte Môtiers gehört wie J.J. Rousseau, inspirierte auch Roman Signer – er wandelte das seit den 1950ern an die Wiedererlaubnis der Absinth-Produktion erinnernde Schweizer-Kreuz hoch oben am Felsen 1:1 in ein blaues Kreuz für „la bleue“.

Môtiers – das seinen 18.Jh.-Charakter weitgehend bewahrt hat – ist voll von Geschichten und Marie und Pierre-André Delachaux, die Seelen von „art en plein air“, wissen sie alle zu erzählen. Das inspirierte die Künstler. Ich verwirklichte hier einen Traum, sagt Emanuelle Antille: 10 Rock-Konzerte in einem Puppenhaus im freien Feld. Olivier Mosset sagte sich: Môtiers ist wie eine Harley Davidson – und liess eine aus Versatzstücken nachbauen. Während Ben Vautier meinte: Da möchte ich mit einer Frau schlafen und darum auf den Fensterladen des lokalen Advokaten schrieb: „Voulez-vous coucher avec moi?“

Romantischer gibt sich der Youngster der Ausstellung: Alexandre Joly – er lässt mit Pfauenfedern verkleidete Kanus durch den Wald fliegen, ganz in der Nähe der zehn bronzenen Figuren von Martin Disler, die sich hier – ganz anders als kürzlich im Aargauer Kunsthaus – faszinierend naturnah geben. Es gäbe noch vieles zu erzählen – 75 Projekte von 95 Kunstschaffenden, das ist ein Marathon, aber ein spassiger, der auch vor politischen Themen wie einem Gerüst für ein Minarett neben einer Baubaracke (Jérôme Leuba) oder dem Schriftzug „Baghdad“ in leuchtenden „Boeing“-Lettern (Marco Poloni) nicht zurückschreckt. Obendrein ist Môtiers 2007 auch ein mutiges Statement dafür, dass international nicht zwingend besser ist als national. Môtiers ist eine Art Schweizer Kunst-Fest.