Emanuelle Antille, CentrePasquArt Biel

Meisterin der Emotionen

Annelise Zwez, Bieler Tagblatt, 06. Februar 2008

Im CentrePasquArt zeichnet die Video-Künstlerin Emanuelle Antille ein an Spannung kaum zu überbietendes Beziehungsnetz zwischen Tochter, Mutter, Grossmutter und Tante.

Höhepunkt der von Caroline Nicod kuratierten Einzelausstellung von Emanuelle Antille im CentrePasquArt in Biel ist zweifellos die Sechs-Kanal-Video-Installation «Barricata» in den völlig abgedunkelten Galerie-Räumen. Die 36-jährige Waadtländer Künstlerin zeigt darin in sechs eng verschränkten Filmsequenzen, wie zwei junge Männer das Wohnhaus einer alten Frau in ein behelfsmässiges Tonstudio verwandeln, um eine von der bejahrten Seniorin und ihren beiden Töchtern gesungene italienische Volksweise aufzunehmen; wohl im Auftrag der Enkelin.


Ohne Worte
Die Essenz des sich real und filmisch in verschiedenen Räumen Abspielendenist freilich nicht die Geschichte, sondern ihre Aufbereitung. Emanuelle Antille ist eine Meisterin der Suggestion. Der Film kommt ganz ohne Worte aus, er «spricht» einzig mit dem Ausdruck, der Haltung und den Handlungen der Protagonisten. Und hierbei geht es mehr darum, Verstecktes sichtbar zu machen, als einen Erzählstrang zu illustrieren. Antille spielt dabei auch mit den Assoziationen der sich förmlich im Haus befindenden Betrachter und Betrachterinnen. So schafft zum Beispiel das Verhalten der beiden Männer, die rücksichtslos eine Matratze aus einem Bett zerren, von Beginn weg eine unheimliche Atmosphäre, obgleichspäter klar wird, dass die Matratze lediglich die Akustik im «Studio» verbessern soll.

Wessen Ängste?
Vieles lässt Antille aber in der Schwebe. Vor was zum Beispiel hat die Enkelin Angst? Ist es, dass sich der Vergangenheit evozierende Gesang der drei Frauen unerwartet in einen Abschied der Töchter von ihrer sterbenden Mutter verwandeln könnte? Was bedeutet es, dass Tochter, Mutter und Tante danach mit nackten Füssen und entblössten Beinen todesähnlich nebeneinander auf dem Doppelbett liegen, in dem einst Grossmutter und Grossvater schliefen?
Mit Mutter und Tante Emanuelle Antille nennt die Ausstellung in Biel «family viewing». Sie macht damit öffentlich, dass die Schauspieler in ihren Projekten häufig Mitglieder ihrer Familie sind, insbesondere ihre Mutter, aber auch die Tante, die Grossmutter, der Vater, der Lebenspartner und natürlich sie selbst. Das hatte vor zehn Jahren, als Antille ihre ersten Filme realisierte, zweifellos pragmatische Gründe (keine Kosten). Schon die zehn Jahre ältere Pipilotti Rist machte das anfänglich so. In beiden Fällen liegt der Grund aber auch bei den 68er-Müttern, die ihre kreativen Töchter mit Freude unterstützen. Antilles Mutter ist ein Schauspieler-Talent! Nichts wirkt gekünstelt oder gespielt, obwohl die Projekte stets zu 100 Prozent Fiktion sind. Im Fall von Antille kommt zum Familienaspekt hinzu, dass die sichtbaren und versteckten, offensichtlichen und irrationalenKräftevon Beziehungen zwischen Menschen ihr Hauptthema sind. «Angels Camp», das bisher grösste und mit Schauspielern realisierte Projekt Antilles,mit dem die international bekannte Künstlerin die Schweiz 2003 an der Biennale in Venedig vertrat, trieb das Thema auf die Spitze. «Barricata» ist im Vergleich fassbarer und darum letztlich eindrücklicher.

Laboratorium Salle Poma
«family viewing» ist imengeren Sinn der Titel der Installation in der Salle Poma. Antille hat den Raum in ein Projektions-Laboratorium verwandelt. Auf kleinen und grösseren Bildschirmen, auf Leinwänden, an die Wand projiziert sind repetitive und vielfach vertonte Ausschnitte aus dem Film-Fundus der Künstlerin zusehen, wobei der Fokus dem Familien-Material gilt. Einen erzählerischen Zusammenhang gibt es nicht; die abwechslungsreich gestaltete Raum-Assemblage verdeutlicht aber die auf Körper und Geste, auf langsame Bewegung und intime Berührung ausgerichtete Arbeitsweise der Künstlerin. Zudem lässt die Erscheinung der Figuren die Zeit zwischen jünger und älter erkennen und damit indirekt auch die Entwicklung von Antilles Schaffen. Dieses hat seit den Anfängen an der Ecole Supérieure d’Art Visuel in Genf deutlich an Präzision, an emotionaler Dichte und bildnerischem Bewusstsein gewonnen. Letzteres zeigt sich nicht zuletzt in den aus den Filmen herausgefilterten Fotos, die keineswegs dokumentarisch wirken, sondern suggestive Szene insichselbst sind. Dass eine grossformatige Aufnahme als Teil der parallel präsentierten «Sammlung Petignat» gezeigt wird, ist quasi der Beweis dafür.

INFO: Ausstellung bis 23.März 2008. Führungen: Sonntag, 10. Februar (Dolores Denaro) und 17. Februar (Caroline Nicod), je 14 Uhr. Bis 7. März Aktionswochen für Schulen und Workshops für Kinder (032 322 24 64). Link: www.pasquart.ch

Die Publikation
Zur Ausstellung von Emanuelle Antille ist ein Künstlerheft erschienen. Einer Black Box gleich sind die Seiten schwarz; darin Grauton-Lichtbilder mit Video-Stills analog der Installation «family viewing» in der Salle Poma. Den präzise beschreibenden Text hat Caroline Nicod verfasst. Leider gibt es nur eine französische Ausgabe, was für die heikle Sprachensituation in Biel eigentlich intolerabel ist.

Antille Emanuelle Museum PasquArt Biel 208 [0.14 MB]