Franz Gratwohl Saur Lexikon Leipzig 2008

www.annelisezwez.ch     Originaltext für Saur Leipzig, Lexikon aller Künstler aller Zeiten, 2008


Franz Gratwohl, Schweizer Performance- und Video-Künstler. *11. Dezember 1967 in Aarau. Lebt in Zürich.

Wächst in dörflicher Umgebung auf. Der Vater arbeitet in der elterlichen Verzinkerei in Lenzburg. Nach der Scheidung der Eltern Umzug in eine Wohngemeinschaft (1983). Zeichnet Cartoons, spielt Musik, malt, fotografiert, liest. 1988 Abschluss der Lehre als Dekorationsgestalter. Prägende Begegnung mit dem Theaterautor Markus Kaegi (1955-1990); gemeinsame Reisen nach Berlin und in die DDR.  1989-1993 Medienübergreifendes Studium an der F+F Schule für Kunst und Mediendesign, Zürich; Impulse durch Norbert Klassen. Diplomarbeit (1993): Zwei mit blutrot gefärbtem und verdicktem Wasser gefüllte körperlange PVC-Kissen, das eine auf 37° erhitzt, das andere kalt; Leben und Tod.


 Performance-Produktionsgemeinschaft mit Stefan Halter (bis 1999). Credo: Untersuchung menschlicher respektive gesellschaftlicher  Systeme auf der Ebene körperlicher Kommunikationsformen.


Dampfzentrale Bern: Das Herz einer Pappfigur wird von hinten durchbohrt und erhält von vorne einen Orden. Sound: „Ich will, du musst“.  1994: Je sechs Monate in New York und Indien. Sprache, Kommerz und Kapital in Spannung zu Körper, Geist und Gefühl werden gemeinsamer Nenner unterschiedlichster Objekte, Performances und Videos, z.B. eine Kochherdplatte mit einem aus 2000 Frankenstücken geformten Ei („Maschine désirante“, 1995). 


1995-1999 Wohn- und Arbeitsort Berlin. 1996 Stipendium des Kanton Aargau für „Speech“, Video-Performance mit zwei Männern, die sich gegenseitig mit Buchstaben-Suppe bespeien. 1996: Zahlreiche Einladungen zu Performance-Festivals; Live- und Video-Auftritte in Utrecht, Frauenfeld, Freiburg (CH), Berlin, Amsterdam, Frankfurt, Glarus, Langenthal, New York.  U.a.  mit „Eine Welt die Andere“: G sitzt mit einem Nylonstrumpf über dem Gesicht vor der verzerrt laufenden  Schweizer TV-Nachrichtenschau und isst seine aus Schokolade nachgebildete Hand.


Ab 1998 Dozent für Performance an der F+F Schule für Kunst und Mediendesign, Zürich. 1999/2000 Atelierstipendium der Stiftung Binz, Zürich. Vermehrt als Konzept-Künstler in punktueller Zusammenarbeit mit Schauspielern, Stuntmen,Technikern usw. tätig. Einsatz digitaler Bildbearbeitung, u..a. im Video „Trabanten“ (1999): Münzen glühen als Feuerbälle auf und verschwinden wieder. Oder in der Animation „Kaltes Glas“ (1999): Atmende Haut als abstrakter Körper-Raum. Objekte und Fotografie werden autonome Parallelmedien. Ab 2002 partielle Verweigerung von Produktionszwang.


Neubesinnung, Verlangsamung. Videos: „Hamlet“ (2002):  Behaarte Beine spielen Fussball mit einem Totenkopf. „Hopeful Monsters“ (2007): Zu „Vögeln“ ausgebildete menschliche Arme fliegen vor dramatischem Himmel und ebensolcher Musik durch die Luft. Auftritte in Rotterdam, Berlin, London, Biel, Stettin, Kairo, Estland, Lenzburg, S-Hertogenbosch, Zürich. U.a. mit „Helm“ – Gang durch öffentliche Strassen in grünem, bis zu den Knien reichendem Ölfass. Aufenthalt im Balkan. Kontakte mit Romas. 2008: Performance in Balchik, Bulgarien: In roten Teppich eingerollt macht G durch Schnarchen, Kriegsgegurgel und Singstimme („Money makes the world go round“) Leben hörbar.

Werke des Künstlers mit Standortnamen: Berlin, Neuer Berliner Kunstverein. Amsterdam, Kunsthaus De Appel

Ausstellungen E: Berlin: „Realiltäter“, Ruine der Künste, 1997; „Haute Couture“, sic/projects, Galerie Mönch, 1999.  Zürich: Stiftung Binz 39, 1998/2001. Freiburg: „V.A.L.E.U.R.“, PAC (Poste Art Contemporain), 1998. Bern: „Quadrature & Articulare“, Stadtgalerie, 2001. G: Zürich:  „Freie Sicht aufs Mittelmeer“, Kunsthaus, 1998. „Saiten, Tasten, Sounds“, Museum Bellerive, 2007 (K). Frankfurt a. M.: „Medienkörper“, Künstlerhaus Mousonturm, 1998/2001. Aarau: „Salon 99“, Aargauer Kunsthaus, 1999. . Langenthal: „MediaSculptur 99“, Kunsthaus, 1999 (K). New York: „Virtual Gallery Xposition“, SI/Swiss Institute Contemporary Art, 1999. Hall: „GeldLust: ModellBanking“, Kunsthalle Tirol, 2001. Magglingen: „artplace“, Bundesamt für Sport, 2002 (K). Biel: „In diesen Zeiten“, Centre PasquArt, 2003 (K). Solothurn: „Vision, Illusion, Fiktion“, Künstlerhaus 11, 2003. Melbourne: VideoArtScene Switzerland, National Gallery, 2004 (auch in Kairo und Sarajevo). Salzburg: „Sound of Art“, Museum der Moderne, 2008 (K).

Bibliographie: Dominique Eigenmann in „the Scrap Shooter“, Zeitung zur gleichnamigen Ausstellung, Amsterdam Mai 1996 (Interview). Gerald Siegmund in „Die Körper in der Medienwelt“, FAZ, 12. 10. 1998. Katalog Stiftung Binz 39 Zürich, Dokumentation 1998-1999. Gottfried Hettinger in Katalog „Sozialmaschine Geld“, O.K. Centrum für Gegenwartskunst, Linz, 1999. Performance-Index 1995-1999, Seedamm-Zentrum Pfäffikon, 2000. Andreas Hergeth in „Play und Execute“, die tageszeitung, Berlin, 12. 11. 1999. Martin Kraft in „Stadtgalerie Bern“, Handelszeitung, Zürich, 9.2.2000. Thomas Ribi in „Reale Virtualitäten“, Neue Zürcher Zeitung, 1./2. 7. 2000. Hans-Jürgen Hafner in „GeldLust“, Kunstforum International, August 2001. Annelise Zwez in „Performances“, Bieler Tagblatt, 28.4.2003. Rayelle Niemann in „Performativ! Performance Künste in der Schweiz, Pro Helvetia (Hrsg.), Zürich, 2004.