Mirjam Gottier im Espace libre des Centre PasquArt Biel

Vertraut der magischen Kraft des Bildes

www.annelisezwez.ch Bieler Tagblatt 6. August 2008

Für den Espace libre des Centre PasquArt hat Mirjam Gottier eine
mehrteilige skulpturale Installation geschaffen. Ihre Bildkraft ist ihr Wundertrank.

Annelise Zwez

Man kann die Installation ohne Titel von Mirjam Gottier im Espace libre mit banalen Worten benennen: Es sind drei Skulpturen, die ein Haarwaschbecken, eine aufgebahrte, weibliche Figur und ein Kamin zeigen. Formuliert hat man damit aber erst das Mobiliar. Die Essenz liegt in der formalen Gestaltung, der streng achsialen Ausrichtung und der Vielzahl symbolischer Andeutungen, welche die Elemente aufladen und zu einer spür-, aber nicht fassbaren Geschichte aus einer  scheinbar anderen Welt verdichten.

Mirjam Gottier ist erst 25 Jahre alt. Doch bereits 2004 hat die Absolventin des Vorkurses an der Schule für Gestaltung in Biel die Hochschule der Künste in Bern abgeschlossen. Und zuvor schon einen ersten Förderpreis der Aeschlimann-Corti-Stiftung erhalten. Seit Anbeginn arbeitet sie an einem plastischen Oeuvre, das durch ungefilterte, traumhafte und betont emotionale Direktheit auffällt. Die im Seeland aufgewachsene, aktuell in Biel arbeitende Künstlerin gehört ohne Zweifel zu den bemerkenswertesten jungen Kunstschaffenden der Region.

Magnet der Installation im Espace libre ist die auch räumlich die Mitte bildende, liegende weibliche Figur. Vermutlich ist es eine Leiche, aber ganz sicher ist das nicht (Dornröschen schlief einst auch 100 Jahre). Auffallend ist das (Gips)-Tuch, das ihr Gesicht verdeckt und ohne Befestigung vertikal in den Raum ragt. Was bringt das Tuch zum Stehen? Der letzte Atemhauch? Mirjam Gottier hütet sich, das zu benennen, denn ebenso wichtig ist, dass das Tuch die horizontale Anordnung bricht und als Vertikale in Verbindung mit den von doppelten Tempeltreppen getragenen Brettern ein Kreuz formt. Inhaltliches und Formales ist in stetigem Austausch – mehr als in früheren Installationen. Erinnert sei an die Raumarbeit „In der Stube“, welche Gottier anfangs Jahr in der Alten Krone in Biel zeigte .

Mirjam Gottier arbeitet nicht konzeptuell. Die Basis bildet oft ein Traumbild, das aber nicht rekonstruiert wird, sondern impulsgebend etwas in Gang setzt, das die Künstlerin nicht analytisch hinterfragt, sondern anzunehmen versucht. Wobei selbstverständlich alles, was sie je gesehen, gelesen, gehört hat mitwirkt. So lächelt sie stumm als sie jemand fragt, ob denn die verletzenden Schrauben rund um das Haarwaschbecken etwas mit Samson zu tun hätten, dessen lange Haare sich einst beim fatalen Scheren verfingen. Die Antwort ist somit wohl ja und nein.

Der heute als Prototyp des Selbstmord-Attentäters geltende biblische Samson ist nur eine und nicht einmal die wichtigste der latenten Geschichten in Gottiers Installation. Aber Samson taucht in der Kunst in unzähligen, figürlichen Allegorien des 19. Jahrhunderts auf. Und dazu gibt es auch in Gottiers skulpturalem Intérieur Verbindungen, wenn auch durch und durch zeitgenössische.

So arbeitet sie zum Beispiel unverfroren mit verschiedensten Materialien, vom modellierenden Gips über lackierte, farbige Kleidungsstücke bis zu Möbelholz, Metall, Wachs und flüssigen Kunststoffen. Und auch das Allegorische hat keine benennbaren Wurzeln, nährt sich ebenso von Kriminalgeschichten wie von uralten Sagen und mythischen Texten, die, heutiger Zeit entsprechend, ohne Bedürfnis nach Authentizität neu aufgemischt werden. Was dann spannend ist, wenn es einer Künstlerin gelingt, die ursprüngliche Bildkraft mitzunehmen und Kunst zu schaffen, die nicht loslässt, weil die tausend Geschichten als geheimnisvolle Fülle weiter wirken. Dass das alles nicht pathetisch wird, verdankt Gottiers Installation einer durch alles hindurch stets mit spielenden Ironie.

Info: Ausstellung bis 31. August 2008. Mi-Fr 14-18, Sa/So 11-18 Uhr.

Mirjam Gottier
Geboren 1983 – Vorkurs SfG Biel und Bern.
Studium Freie Kunst, HdK Bern bei H.R. Reust, Anselm Stalder und Lisa Hoever.
Diplomarbeit 2004: „Tea Time“ – frei verformte Figuren aus Draht, Gips und Pigmenten, die in einem Raum sitzen und Tee trinkend zu beraten scheinen.
2004 Aeschlimann-Corti-Förderpreis. Die Jury lobt „die Inkongruenz zwischen extravertierter Opulenz und introvertierter Selbstversunkenheit“.
2006 Aufenthalt in Indien. Die erzählerische Kunst des Landes hinterlässt Spuren.
2007 Aufenthalt im Atelier der Stadt Biel in Brüssel.
2007 Gottier zeigt an der Weihnachtsausstellung in Biel eine Art Selbstporträt als Träumende (Malerei auf Gips).