Olivia Borer Espace libre Centre PasquArt Biel 2008

Die kleine andere Stadt am Wasser

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 7. September 2008

Mit der Installation der jungen Bieler Künstlerin Olivia Borer (geb. 1976) verwandelt sich der Espace libre des Centre PasquArt in eine kleine, andere Stadt.

Seit einiger Zeit treten in Biel immer mehr junge Kunstschaffende in Erschei-nung. Viele von ihnen haben den Vorkurs und/oder die Grafik-Ausbildung an der Schule für Gestaltung in Biel besucht, anschliessend in Bern, Luzern oder Basel studiert und sind – das ist das Neue und Erfreuliche – dann nach Biel zurückgekehrt. Das „Lokal.int“, der „Joli mois de mai“, das „Kunstmuseum Bözingen“, der „Espace libre“ im Centre PasquArt  sind Plattformen, wo man ihnen begegnen kann.

Eine raumfüllende Installation von Olivia Borer, Absolventin der Hochschule der Künste in Bern, ist zurzeit in dem von der Bieler Sektion der Künstlergesellschaft „visarte“ kuratierten Espace libre zu sehen. Die junge Künstlerin lebt seit rund 10 Jahren in der Region  und ist zuletzt an der Weihnachtsausstellung 2007 mit einer an „Rotkäppchen“ erinnernden Zeichnung mit The, Kaffee und Wein aufgefallen. Jetzt hat sie für den langgezogenen „Espace“ hinter dem Museum eine kleine „Stadt“  aus Karton, Kleister, weisser Farbe und Epoxy-Harz konstruiert.

Drei mehrstöckige auf Felsen gebaute Quartiere erzählen in spannender Formen-vielfalt von jahrhundertelangem Bauen. Fenster, Durchgänge, Türme, auskragende Passerellen lassen an die Menschen denken, die einmal darin wohnten. Der Bastel-Touch der Bauweise macht indes klar, dass es um  eine imaginäre Situation geht.  Tief unten im Tal scheint ein Fluss vorbei zu fliessen, doch er hat kein Bett, er besteht aus einzelnen Kompartimenten, die je mit Wasser gefüllt sind. Für die Künstlerin sind es Sinnbilder für die Menschen, die gleichsam einer Ration Wasser entsprechen.

„Vom Märchen komme ich wohl nie los“, seufzt die Künstlerin auf eine diesbezüg-liche Frage. Tatsächlich wirkt ihre Raum-Installation im Espace weder als Modell noch als „Bild“, sondern eher wie eine Bühne für tausend und eine Geschichten. Das ist keineswegs negativ, sondern viel eher ein Ansatz, den man sich auch in Form von Zeichnungen vorstellen könnte. Dass altes, geheimnisvolles Gemäuer nicht leichtfertig mit Idylle gleichgesetzt werden soll, darauf verweist Olivia Borer in kleinformatigen Tafeln mit  kleinen Zeitungsbildern und ausgeschnittenen Sentenzen, die auf den realen Alltag in Biel verweisen. Von Wohnungen, Arbeitsplätzen, Liebesdiensten  und Tiergeschichten ist da unter anderem die Rede.

Die Ausstellung von Olivia Borer ist gleichsam der mittlere Teil einer Trilogie. Im August war es Mirjam Gottier, die ausstellte, im November wird es Monika Stalder sein. Die drei sind nicht nur Freundinnen seit der gemeinsamen Zeit an der Schule in Biel, sie pflegen auch alle drei einen deutlich erzählerischen, zwischen Märchen, Mythen und surrealen Fantasien changierenden  Ansatz in ihrer Kunst. Von Comic mag man, wie einst in Biel populär, nicht sprechen, sondern viel eher von einer – auch anderswo zu beobachtenden – neuen Lust auf subjektiv-imaginäre Welten mit vielerlei archetypischen Versatzstücken.

Wie weit sich die junge Bieler Kunstszene – zu der auch Marcel Freymond, Adrien Horni, Matthias Wyss, Micha Zweifel, Li Duenner, Milica Slacanin, Bianca Dugaro und andere zu zählen sind – national bemerkbar machen wird, ist zur Zeit noch schwer abschätzbar. Sicher ist: Ohne ein gewisses Mass an Ehrgeiz, ohne kontinuierliches Kämpfen um Anerkennung über Stipendien, Preise, Ausstellungen usw. geht es nicht.

Info: Ausstellung bis 2. November. Öffnungszeiten: Analog Centre PasquArt Mi-Fr 14-18, Sa/So 11-18 Uhr. Open Bar: Samstag, 1. Nov. 18 Uhr.