Shifting Identities – (Schweizer) Kunst heute in Zürich

Gute Ausstellung, magerer Katalog

www.annelisezwez.ch  Bieler Tagblatt, 7. August 2008

Die Ausstellung „Shifting Identities“ im Kunsthaus Zürich will Übersicht zur „(Schweizer) Kunst heute“ sein. Das ist sie nicht. Ein Ärgernis ist aber nur der Katalog.

Annelise Zwez

Sie wurde als Nachfolgeausstellung zu „Stiller Nachmittag“ (1987) und „Freie Sicht aufs Mittelmeer“ (1998) angekündigt: Die von Mirjam Varadinis kuratierten „Shifting Identities“ im Kunsthaus Zürich. An diesem Übersichtanspruch zur Kunst in der Schweiz heute hat die Kritik sie gemessen und vielfach durchfallen lassen. Lässt man indes „Übersicht“ weg und schaut „Shifting Identities“ als Ausstellung zu einem brennenden Thema an, gewinnt sie deutlich an Profil. Varadinis hat das Thema nicht auf Migration reduziert, sondern auf Sichtwechsel, auf Realität/Virtualität, Bewusstseinsexperimente und weitere Verschiebungen ausgefächert.

Sie zeigt nicht nur „Los Invisibiles“ von Ingrid Wildi (Atelier Robert Biel), nicht nur Jules Spinatschs Fotos von Japaner und anderen Touristen in Schweizer Tracht auf dem Titlis. Sie zeigt auch Wohnstätten in inneren Räumen (Gebrüder Chapuisat), Metamorphosen von Loredana Spirini, Marilyn Monroe im Zeitsprung (Elodie Pong) und vieles  mehr. Im Thema angelegt ist die Ausweitung auf eine Vielzahl an „Schweizern“ – mit und ohne Schweizer Pass hier Lebende, im Ausland Weilende, sich mit der Schweiz Beschäftigende, temporär hier Arbeitende usw. Dass auch „Gäste“ da sind, betont die thematische Ausrichtung; gewinnbringend zum Beispiel mit  den Rollen und Geschlechter „verrückenden“ Kingpins aus Australien.

Ein Ärgernis erster Güte ist hingegen der Katalog, der die Ausstellung indirekt in die Zukunft trägt. Er stellt ernsthaft die Frage, welche Beziehung das ansonsten keinen Aufwand für jedwelches Prestige scheuende Zürcher Kunsthauses zum künstlerischen Schaffen im eigenen Land hat. Das Essay von Kurt Imhof gibt (wohl auftrund eines falschen Auftrags) vor, eine Übersichtsausstellung einzuleiten und steht darum am falschen Ort. Peter J. Schneemanns Text beleuchtet Ausland-ateliers; das ist ein Aspekt.  Träf im engeren Sinn ist indes nur der „Doppelgänger“-Text von Tan Wälchli (geb. 1974). Varanidis präzisiert, dass es ihr um Thematik ging, das ist gut, aber sie tut es so bescheiden, dass die einzelnen Kunstschaffenden nicht getragen sind.

Diese mussten, fast wie für einen Messe-Katalog, weitgehend selbst für die Texte und Abbildungen ihrer zwei bis vier Seiten sorgen. Das hat zur Folge, dass nicht alle, aber viele nichts mit der aktuellen Ausstellung und nichts mit den gezeigten Arbeiten zu tun haben und die Fotos nur zum kleineren Teil den von Varanidis ausgewählten Werken entsprechen. Letzteres ist bei neuen Arbeiten verständlich, doch da es im Katalog nicht einmal eine Liste mit den effektiv gezeigten Werken gibt, sind die Fehler bei künftigen Zitaten vorprogrammiert. Der Katalog spiegelt das Schweizer Malaise Eigenes minderwertig zu machen und, wie sich zeigt, auch lieblos zu dokumentieren; schade.  Aus lokaler Sicht sei vermerkt, dass das Museum PasquArt in Biel 2003 mit „In diesen Zeiten“ eine andere, kleinere Übersicht zu junger Kunst  in der Schweiz zeigte –  mit einem Katalog, der heute noch Nachschlagwerk ist!

Info: Bis 31. August. Link: www.kunsthaus.ch