Mario Sala im Kunstmuseum Solothurn 2009

Die Sorgen der Museen mit dem Publikum

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt

Das Kunstmuseum Solothurn zeigt Mario Sala. Die Ausstellung besticht durch Fantasie gepaart mit Präzision. Aber: „Es herrscht gähnende Leere“. Was ist mit den Museen los?

Der Zürcher Künstler Mario Sala (geb. 1965) hat in Solothurn nicht einfach eine Ausstellung eingerichtet, sondern eine Gesamt-Installation konzipiert. Mit Stroh versperrte Durchgänge heissen einem vorwärts, rückwärts, seitwärts gehen. Immer vorbei an einem Spiegelschrein, der Perspektiven aufhebt und neue einbringt. So viele Optiken sich brechen, die Fragen bleiben. Waren es drei Männer, die auf Golgatha gekreuzigt wurden? Warum nicht drei Frauen? Eine kleine Handskizze, links aussen auf der blauen Wand, fragt danach und lässt einem nicht mehr los.

„Die Haltlosigkeit des Raumpflegers Antonio Gracia Alberto“ nennt Sala die Ausstellung und das reiche Begleitbuch (Binding „Selection d’Artistes“). Das Objekt „Türglocke“ ist eine Hommage an „Alberto“. Wie eine müde Perücke liegt seine spektralfarbige Nylon-Waschbürste am Boden. In Bildern darüber flackern nur noch einfache Geometrien. So sehr, scheinen Titel und Objekt zu sagen, man den „Welt-Raum“ putzt, transparent (oder transzendent?) wird er nie.

Mario Sala ist ein kaleidoskopischer Erzähler; nichts, das man nicht mit Fantasie „ver-rücken“ könnte. Nicht zufällig darum, dass er Auto-Kühler als Malgrund liebt, sie holen das Reisen durch die Welt als Bild ins Bild. Doch ob das „Auto“ von oben in einen Herz-Innenraum „fährt“ oder von unten in eine Kommode, in deren Spiegelaufsatz sich die Form und Farbe als Malerei zeigen – mit der Ratio wird man Sala nie begreifen. Aber ist nicht die Lust am drehen und wenden von Möglichem und Unmöglichem, die Lust „Gottvater“ auf einem Spaziergang übers Land zu begleiten zum Beispiel („Herrgott“-Serie, 2007), nicht Kunstvergnügen par excellence?

Offenbar nicht. Ob das Bieler Tagblatt nicht einen Text über die Ausstellung bringen könnte, es herrsche gähnende Leere in den Räumen und er wisse nicht mehr was tun, um Publikum anzulocken, klagt der Museumsdirektor. Er ist mit seiner Verzweiflung nicht allein. Das Kunsthaus Zürich musste 2008 ein Besucherminus von 30% hinnehmen und in anderen Museen (inklusive Biel) sieht es ausserhalb museumspädagogischer Aktivitäten nicht viel besser aus. Was ist mit den Museen los?

Was tun gegen Publikumsschwund?
Das Kunstmuseum Basel wird mit Van Goghs Landschaften möglicherweise einen Publikumsrekord einfahren, aber die meisten Kunsthäuser, die ihre Aufgabe, mit Ausstellungen zum Denken anzuregen, neue Erkenntnisse zu fördern, Unbekanntes bekannt zu machen, ernst nehmen, sind zurzeit auf der Verliererstrasse.

„Die Zahl jener, die an der Museumskasse umkehren, wenn sie hören, dass der Besuch Eintritt kostet, hat sich erhöht“, sagt eine Kassierin. Darin spiegelt sich ein Mentalitätswandel, gefördert durch Gratiszeitungen, Gratis-Downloads usw., wonach Information und Kultur  mehr und mehr als kostenlose Konsumgüter betrachtet werden. Ausstellungen, die man nicht „in die Tasche stecken“ kann, sondern gegen Bezahlung intellektuelle Leistung erbringen muss, wirken da – vor allem auf ein jüngeres Publikum – schon fast wie eine Anmassung. Doch das ist nur ein Aspekt wie das Beispiel Solothurn zeigt, wo lediglich ein freiwilliger Betrag zu entrichten ist. Eine ähnliche Ambiguität gilt für die Kulturberichterstattung. Mit der Folge, dass überregionale Artikel zu Ausstellungen wie jene von Sala massiv zurückgegangen sind.

Doch liegt der Fehler wirklich nur bei den anderen? Sind nicht auch die Museen ein wenig selbst schuld daran?  Wie nutzen sie zum Beispiel das  mehr und mehr zum Ort der Weltwahrnehmung werdende Internet für ihre Zwecke? Websites haben alle Kunsthäuser. Doch die meisten nutzen sie  als trockene Informations-Plattformen. Von verführerischen, virtuellen Rundgängen, Interviews, Facebook-Netzwerken,  Blogs, Meinungen und Gegenmeinungen kaum eine Spur. In Verkennung des Effekts von virtuell und reell, herrscht die (veraltete) Meinung vor, man dürfe im Web nicht zu viel verraten. Obwohl sich längst zeigt, dass virtuelles Sehen die Lust auf reales Erleben auslöst.  Wollen die Museen nicht in die Falle künftig stärker kontrollierter Subventionen geraten, müssen sie ihre Werbestrategien dringend der Zeit anpassen.

Mario Sala, Kunstmuseum Solothurn, bis 2. August. Di-Fr 11-17, Sa/So 10-17 Uhr. Publikation: Verlag Moderne Kunst Nürnberg.

Bildlegenden:
Mario Sala: Kreuzigungsskizze  Bild: azw

Mario Sala: „Ende“, 2009, Chromstahl, Klebmasse, Öl, Wasserfarbe, Epoxydharz und Pigmente auf Alublech, 260 x 150 cm        Bild: azw

Mario Sala
1965  geboren in Winterthur; lebt daselbst
1989-1993 Höhere Schule für Gestaltung, Zürich
Ab 1991 Zahlreiche Werkjahrbeiträge, Stipendien und Preise, unter anderem Kiefer Hablitzel-Stipendium 1994 und Eidgenössische Preise für Kunst 2003/2005
Ab 1994 Ausstellungen im In- und Ausland, zuletzt in den Galerien Friedrich, Basel (2006) und Nicola von Senger, Zürich (2008).