Weihnachtsausstellung Pasquart Biel 2009

Zeitgenössisch, multimedial, schräg, anders

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 5. Dez. 2009 (hier ausführlichere Form)

Heute werden im Centre Pasquart die Weihnachtsausstellungen eröffnet. Im Zentrum  steht die jurierte Schau des Kunstvereins. Aus 111 eingereichten Werkgruppen wurden 55 ausgewählt; nicht nur die erwarteten.

Wie abhängig eine Auswahl von der jeweils eingesetzten Jury ist, zeigt sich an der diesjährigen Weihnachtsausstellung des Kunstvereins im Museum Pasquart sehr deutlich. Eingesetzt hat der Vorstand für dieses Jahr drei mit Biel kaum vertraute Kunstfachleute, nämlich den Genfer Kunstsammler Fabrice Petignat, den Thurgauer Künstler und Kunstvermittler Alexander Meszmer und die in Zürich lebende Künstlerin Eva Maria Würth.

Obwohl sie bei der Jurierungsarbeit von zwei Bieler Künstlerinnen begleitet wurden, zeigt die Ausstellung den von Hintergrundwissen losgelösten Blick überraschend deutlich. Quer durch alle Generationen fehlen bekannte Namen, während andererseits in früheren Jahren Ausjurierte mit dabei sind. Gemeint ist damit nicht nur die 73-jährige Lydia Sandra Burkhalter, die ihre durchaus respektablen Hobby-Malereien meist vergeblich ins Kunsthaus trug und jetzt prominent vertreten ist. Sie verdankt ihren unerwarteten Erfolg wohl der in letzter Zeit vielerorten spürbaren Lust Abqualifiziertes mit Humor neu zu sichten.

Neben dem Negieren von Verdiensten kommt da ein weiteres Charakteristikum der Jury zum Tragen: Sie suchte sowohl in der medialen Umsetzung wie in den Inhalten ganz offensichtlich das die Kunst und die Gesellschaft heute Faszinierende und blendete das aus früherer Zeit Gewachsene aus. Ungegenständliche Arbeiten gibt es zum Beispiel keine. Die nur noch an wenigen anderen Orten gepflegte Bieler Usanz, dass Originalwerke eingegeben werden müssen und aufgrund dieser – und nicht etwa Überblicksdossiers – juriert wird, leistete diesem Resultat Vorschub.

Erstaunlicherweise heisst das nun aber nicht, dass die Jungen dominieren würden, im Gegenteil, die Ausstellung ist generationenmässig ausgeglichen wie selten: 40er-, 50er-,60er-,70er- und 80er-Jahrgänge treffen sich.  Das zeigt positiv formuliert, dass „jung“ ein relativer Begriff ist. Ein Beispiel: Die in hoher Exaktheit auf beiläufige Fundstoffe oder -papiere gezeichneten „Pläne“ zu temporären Installationen von Berndt Höppner (geb. 1942, Alfermée) könnten ebenso gut von einem seiner einstigen Schüler an der HdK in Zürich stammen. Negativ formuliert heisst es aber vielleicht auch, dass sich die jüngste Generation verhältnismässig zahm einbringt. Ein Beispiel: Die 11453 Strichlein auf einer Zeichnung von Matthias Liechti (geb. 1988) haben einen sehr ähnlichen Hintergrund wie die blattfüllenden Strich-Zeichnungen von Béatrice Gysin (geb. 1947, zur Zeit im Espace libre).

Wilder gibt sich zum Teil die um 1970 geborene Generation. Zwei Beispiele: In Monsignore Dies’ Audio-/Video-Installation „Alfred Gore“ rocken und tanzen Lichter und Körper und in Jerry Haengglis ebenso erschreckenden wie überzeugenden Bilder von Gewaltszenen vibriert die Spannung zwischen Realität, Film und Game.

Was in der Ausstellung bedrückend wenig vertreten ist, sind Arbeiten mit visionärem Hintergrund, mit durchdachter Doppelbödigkeit. Wer sucht, wird indes trotzdem fündig, zum Beispiel in den „Transitpässen“ von Monika Loeffel (geb. 1952). Medaillen gleich hängen an blauen Bändeln vergoldete Kupfer-Plaketten; die symmetrischen Einritzungen erinnern an Vögel, doch es sind die Klangfrequenzen beim Aussprechen der darüber angebrachten Namen und Lebensdaten.

Um eine Teilnahme beworben haben sich ingesamt 110 Künstlerinnen und Künstler; somit etwas weniger als in früheren Jahren. Davon hat die Jury exakt die Hälfte zurückgewiesen und die Hälfte behalten. Das ist im interkantonalen Vergleich viel (üblich sind 25 bis  30 %); dennoch ist die Ausstellung ausgesprochen luftig, da viel Platz zur Verfügung stand. Die Künstlervertreter der Jury äussern sich zur Gesamtqualität nicht eben diplomatisch: „In St. Gallen würde das meiste gar nicht gezeigt“. Das stimmt so wohl nicht. Auch in der Ostschweiz wird mit Wasser gekocht. Aber es gilt im Auge zu behalten, dass die Bieler Weihnachtsausstellung regionaler ist als zum Beispiel die Aargauer, welche alle Künstler mit Beziehung zum Kanton bündelt. Im Kanton Bern hingegen gibt es fünf Standorte (Moutier, Langenthal, Thun, Bern und Biel).

Das Positive an der Bieler Tradition ist eindeutig die Versammlung der Generationen – mit dabei sind ebenso Beatrix Sitter, Liselotte Togni, Urs Dickerhof und Robert Schüll (zw. 1938 und 1944 geboren) wie Patrick Harter, Milica Slacanin, Micha Zweifel, Aline Zeltner und Marcel Freymond (zw. 1978 und 1983 geboren). Anzumerken und in die Gesamtberurteilung einzubeziehen ist, dass die bekanntesten Bieler Kunstschaffenden, meist aus Zeitgründen, dieses Jahr gar nicht eingegeben haben. So kommt es, dass in der Ausstellung keine Kunstschaffenden mit eindeutig nationaler Ausstrahlung und nur wenige mit klar überregionalem Echo mit dabei sind. Gerade dieser Umstand müsste den Vorstand des Kunstvereins vielleicht dazu animieren, den Modus wieder einmal zu überdenken, möglicherweise ähnlich wie  das Kunsthaus Grenchen zweizuteilen zwischen Bewerbungen und Einladungen und – wer weiss – vielleicht sogar die Idee übernehmen, jedes Jahr eine Gastregion als Erweiterung und Konkurrenz zugleich einzuladen. Bis 3.Januar 2010.

Was hängen bleibt

Wer immer durch die Weihnachtsausstellung geht, wird andere Werke besonders beachten.

Möglicherweise figurieren in den subjektiven Listen folgende Arbeiten:

„Pestwurz“, Installation des Duos „aina“ (Bettina Wachter/Daniela Sanwald).

„XXL“, Ölcollage von Daniela de Maddalena

„Traumfigur“ von Aline Zeltner

„Ästelung“ von Patrick Harter

„Neum“, Farbstiftzeichnung von Romana Del Negro

Proto I bis IV, Lampen-Gehäuse von Felix Mosimann

„Je voulais te dire ce que je ne sais plus“, Video-Performance von Aurélie Jossen

                                                                                                           

Weihnachtsbescherung

Die Dezember-Vernissage im Centre Pasquart in Biel ist stets eine Art Weihnachtsbescherung. Denn es werden bei dieser Gelegenheit Preise und Stipendien verteilt.

Die gewichtigste Auszeichnung ist das Anderfuhren-Stipendium in Höhe von 15000 Franken, das die Bieler Kunstkommission vergibt und klar ein Förderpreis ist. Den Hauptpreis erhält heuer Monika Stalder (geb. 1981), Absolventin der Schule für Gestaltung in Biel und zur Zeit im Studium an der HdK in Zürich. „Hinter scheinbarer Zerbrechlichkeit und Poesie verberge sich Wille und Entschlossenheit“, schreibt die Jury. Ein Anerkennungspreis geht an den Maler Gil Pellaton (1982).

Vergeben wird auch der Prix Kunstverein (Fr. 1000), der eine Aufmunterung an ein Talent sein will. Der Vorstand nahm das heuer wörtlich und erkannte die Auszeichnung dem erst 21jährigen Kunststudenten Matthias Liechti für ein noch sehr heterogenes Feld an bildnerischen Recherchen zu. 

In den im Laufe der letzten 16 Jahre begehrter gewordenen „Prix Photoforum“ – erstmals in Höhe von 10 000 Franken –  teilen sich zwei Fotografinnen, nämlich Carine Roth (* 1971, Lausanne) und Karina Muench Reyes (*1975 Zürich) für eine dokumentarische Arbeit über die Asylproblematik respektive ein Bildessay über die Welt des Frauenboxens.

Eine besondere Stellung hat immer auch die Ausstellung in der Ausstellung: Sie ist heuer dem 2009 verstorbenen Bieler Künstler Walter Kohler-Chevalier gewidmet. Besonnen wurde nicht eine Mini-Retrospektive eingerichtet, sondern eine geschlossene, in Biel nie gezeigte, Werkgruppe, die 1998 während eines längeren Aufenthaltes in Paris entstand, in den Vordergrund gestellt.

Den von Dolores Denaro kuratierten „x-mas+“-Wettbewerb 2009 gewann die Bieler Künstlerin Verena Lafargue. Sie zeigt in der Salle Poma eine Raumgrenzen sprengende, beeindruckende Video-Installation zum grossen Thema unseres Seins in der Welt und im Universum.

Lanciert wird mit der Weihnachtsausstellung auch das Jahresblatt des Kunstvereins, das heuer von Gertrud Guyer Wyrsch gestaltet wurde.

Last but not least, ist jeweils auch im Espace libre Eröffnung angesagt: Die Rückzug zu sich selbst fordernde leise und subtile Installation von Béatrice Gysin steht in höchstem Kontrast zum Trubel im Haupthaus.

Bildlegenden v.o.n.u.
Raumansicht mit „Pestwurz“ von Bettina Wachter und Daniela Sanwald, „Rohr“ von Adrian Künzi und „Astra F“ von Gil Pellaton. 
Das einstige „Kunstmuseum Bözingen“ in gewandelter Form. Sophie Hofer.
Marcel Freymond: „Möglichkeit einer Insel“,Öl auf Papier.
Zeichnung von Monika Stalder (Anderfuhren-Preisträgerin).         
                        Bilder: azw