Paul Wiedmer Claude Hohl Espace libre Art Etage Biel 2010

Zwei Künstler befragen ihre Existenz

www.annelisezwez.ch          Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 15. Dezember 2010

Paul Wiedmer hat für den Espace libre hinter dem Pasquart 13 „Stützen der Gesellschaft“ geschaffen, Claude Hohl zeigt in der Art Etage gleich daneben Malerei, die kraftvoll um ihr Gleichgewicht ringt. 

Seit Monsignore Dies den Espace libre in „Aufbahrungsraum“ umbenannt hat, weil der heutige Kunstraum dem einstigen Pasquart-Spital möglicherweise als Zwischenstation für Verstorbene diente, reagieren die zu einer Ausstellung eingeladenen Künstler heftig auf die latente Thematik des Ortes. Strotter Inst inszenierte ein „Requiem“, der Eisenplastiker Paul (Pole) Wiedmer hat 13 metallene Bau-„Stützen“ mit Attributen wie Türfallen, Rondellen, Sichelmonde geschaffen, deren Symbolik die Präsenz des Todes einschliesst. 

Inspiriert dazu hätte ihn Ibsens Theaterstück „Stützen der Gesellschaft“ von 1877, sagte der Künstler an der Vernissage. Darin gesteht ein dubioser Geschäftsmann, der als Stütze der Stadt gilt, letztlich seine Sünden und gibt sich dem Urteil der Bevölkerung frei. Wiedmers Kunst-Stützen werden so gleichsam zu  abstrakten Figuren, zu Charakteren, die im Moment des Todes neue Blicke auf sich ziehen.

Die Boden und Decke (Erde und Himmel) ausspannenden „Totem“ wandeln sich in Mahnmale. Ihre Farbigkeit und Heiterkeit lässt sie indes nicht als Marterpfähle erscheinen; im Gegenteil. Sie suggerieren eine Art Befreiung – vielleicht auch Erlösung. Sie transformieren den Aufbahrungsraum unverhofft in einen clownesken Tanz-Saal, dessen Referenzen kunstgeschichtlich bis zu Oskar Schlemmers Bauhaus-Ballett zurück reichen. Zweifellos spiegelt die Installation aber auch Fragen des Künstlers an die eigene Existenz mit 63 Jahren.

Es ist eine überraschende Arbeit des hauptsächlich in Civitella d’Agliano lebenden Burgdorfer Künstlers, sind sein langjähriges  Markenzeichen doch eigentlich Feuer speiende Skulpturen. Einst standen solche an einer Bieler Plastikausstellung entlang des Schüsskanals. In der Region bekannt ist Wiedmer aber auch durch sein Engagement als künstlerischer Leiter der Freilichtausstellungen entlang der Zihl (Art Canal). Sein Herz hat er freilich schon vor langer  Zeit an die Toscana verloren, wo er – ähnlich wie Daniel Spörri und Niki de St. Phalle – einen Kunst-Park realisiert hat.

Claude Hohl oder Der Krieg im Bauch


Von Claude Hohl hat man seit seiner letzten Einzelausstellung in der Art Etage (damals Galerie Quellgasse) nur vereinzelt gehört. Wie die neuen Bilder zeigen, kann von einer künstlerischen Krise nicht die Rede sein. Es zeigt sich darin vielmehr eine Lebenssituation. Als Hohl nach einer künstlerisch erfolgreichen „Sturm&Drang“-Zeit vor dem finanziellen Nichts stand, entschloss sich der Absolvent der Schule für Gestaltung in Biel 2006 zu einer (verkürzten) Lehre als Flachmaler. Heute arbeitet der Familienvater als Maler-Restaurator, vergoldete als solcher unter anderem die Bundeshauskuppel, und malt in jeder freien Minute. Ein Hobby-Maler somit? – Nein! Aber ein Beispiel für die schwierige Situation bildender Künstler zwischen materieller Existenz, Kunst und Karriere. Die künstlerische Qualität ist bei Hohl nicht auf der Strecke geblieben, wohl aber die Karriere, weil die Zeit fürs unabdingbare „Networking“ einfach nicht ausreicht. Die Frage, ob die Kunst oder die Karriere wichtiger ist, steht im Raum. Die Bilder plädieren für „Kunst“ als Antwort.

Obwohl Hohl sagt, für ihn stimme seine Lebenssituation im Moment, spiegelt die Inhaltlichkeit seiner Malerei die Energie, die es ihn kostet, die widerstrebenden Kräfte bildnerisch zu bündeln. Man kann die mit malerischen Mitteln im Zaum gehaltenen Farbflecken ungegenständlich lesen, aber nur kurze Zeit, dann schiebt sich Körperliches in die Bildwahrnehmung. Die zwischen Form und Gestus angelegten Kompositionen werden zu Figuren, deren innere Organe in Aufruhr sind, letztlich die Ränder der Bildformate aber nicht sprengen. Gespannte Ruhe.

Hohl arbeitet nicht sittsam an einer Staffelei, seine Bilder liegen während des Malprozesses am Boden; der Künstler dreht und wendet sie, greift von oben, von unten, von den Seiten her ins Geschehen ein. Das bewirkt, dass die Bilder nicht auf eine frontale Begegnung mit den Betrachtenden angelegt sind, sondern von jeder Seite her neue Aspekte einbringen.

Auffallend ist zudem, dass der Künstler eine klare Chromatik von meist wenigen, satten Farben wählt, ungewöhnlichen zum Teil. Rot als Farbe für Malerei ist nichts ausserordentliches, ebenso wenig grau, schwarz und weiss, doch Hohl wählt zuweilen auch Blau als Dominante und kombiniert es mit Violett. Oder er reduziert die Farbigkeit auf Weiss- und Grauwerte, die unverhofft die Erinnerung an die scharfkantigen Spiegel-Skulpturen, die er 2007 in Biel ausstellte, wecken.

Paul Wiedmer, Espace libre, bis 2. Jan 2011. Offen: Mi-Fr 14-18, Sa/So 11-18 Uhr.  Claude Hohl, Art Etage, Annex-Bau Centre Pasquart, bis 15. Jan. 19. Dez. bis 4. Jan. geschl. Offen: Mi-Fr 14-18, Sa 11-18 Uhr.

 

 

Fotos: azw