Rolf Iseli Retrospektive Kunstmuseum Bern 2010

Dr Vernaglet vo Bärn

 www.annelisezwez.ch          Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 17. Februar 2010

Das Kunstmuseum Bern widmet Rolf Iseli (76), einem der Berner Internationalen der älteren Generation, eine Retrospektive mit umfassender Publikation. Ein Stück Kunstgeschichte.

Ob er im Atelier oder im Weinberg arbeite, sei kein Unterschied, beides habe dieselbe Bedeutung in seinem Leben, sagte Rolf Iseli einmal im Gespräch. Seit den frühen 1970er-Jahren ist der 1934 in Bern geborene Künstler Maler und Weinbauer. Den ersten Rebberg pflanzte er in St. Romain im Burgund, den zweiten in Jàvea in Spanien. Seine Kunst entsteht da und dort und, vor allem im Winter, in Bern. Das Leben in den Jahreszeiten, das Leben mit der Erde, ihrer Kraft und ihrer Sinnlichkeit gehören ebenso zum Weinbauer wie zum Maler. Dennoch ist Iseli nicht ein „Aussteiger“; das Geniessen des Weins im Freundeskreis gehört ebenso zu ihm wie das wachsame Auge auf sein Werk im Kunstmarkt.

Begonnen hat Iseli freilich nicht als „Homme de terre“, als „Homme Champignon“ oder gar als „dr Vernaglet vo Bärn“. Iseli, von Beruf Lithograph, sog den künstlerischen Aufbruch der 1950er-Jahre, wie ihn die Kunsthalle Bern exemplarisch zeigte, förmlich in sich auf und wurde, kaum über 20 Jahre alt, einer der fulminantesten Vertreter des abstrakten Expressionismus in der Schweiz. Dasselbe gilt für seine roten,  sein blauen Farbräume und auch für seine Pop Art Skulpturen der späten 1960er-Jahre. Er wurde zum Shooting Star der Kuratoren, seien es Rüdlinger, Meyer oder Szeemann.

Die von Matthias Frehner und Simon Oberholzer kuratierte Retrospektive im Kunstmuseum Bern zeigt Werke aus diesen frühen Epochen, die  schon in den letzten Jahren viel Beachtung fanden – zum Beispiel in „Sam Francis und Bern“,  2006. Leider ist es aber wie immer in Bern – die niedrigen Wechselausstellungsräume im Soussol lassen grossformatige Arbeiten nicht ganz so atmen wie man sich das wünschte.

Was Iseli anfangs der 1970er-Jahre bewog, sowohl die Malerei auf  Leinwand wie die Skulptur gänzlich hinter sich zu lassen und nurmehr auf und mit Papier sowie Erde, Nägeln, Draht, Blech, Gras, Federn, später auch Farbpigmenten zu arbeiten, ist nicht einfach fassbar. Es war aber ein Wandel in der Zeit – die 70er-Jahre brachten im Nachgang zu den 68er-Jahren ein Umdenken, ein kritisches Denken, ein neue Beziehung zur Natur, eine veränderte Sicht auf die Urvölker in Afrika, in Amerika und anderswo. All das spiegelt sich in Iselis Werk, allerdings nicht als romantischen Rückzug in die Natur, sondern als archaisch-existentielle Verbindung von Mensch und Erde, Materie und Geist, Wachstum und Zerstörung, Endlichkeit. Das ist ihre Botschaft, bis heute.

Vielleicht kommt den „Isestockschwümm“ von 1971 (1982 als Abgüsse auf dem Bahnhofplatz Bern montiert) eine Schlüsselrolle zu. Denn hier fokussiert er mit dem 1:1, wie es auch die eisernen „Fünf“, die „Wäscheklammern“ und die „Züpfen“ charakterisiert, direkt die Natur. Und dann gibt es auch die Anekdote, dass Iseli in St. Romain plötzlich seinen Schatten auf der Erde wahrgenommen habe und dieses Zusammenfallen von Mensch und Erde als  Augenöffner erlebte.

Wie auch immer, Iseli gelang es sowohl in seinen Kopf-Körper-Bildern wie in den Landschaften eine ganz eigene Sprache zu entwickeln, welche die Paradigmen des Bäuerlichen im besten Sinn des Wortes nicht nur abbildet, sondern selbst in sich trägt und dennoch nie die kritische Distanz zur Gesellschaft aus den Augen verliert. Was sich nicht zuletzt in den direkt in die Arbeit geschrieben Bildtiteln und weiteren Einschreibungen manifestiert. Manchmal sehr direkt wie zum Beispiel  bei den mit Nägeln beschlagenen, erdig-rostigen Oberkörpern, die er  „Nagumän“ nannte.

Dieses Arbeiten am Bild als wäre es ein zu bearbeitender „Acker“ lässt leicht begreifen, dass die Grafik – insbesondere Kaltnadel-Radierungen – ein für ihn nicht der Vervielfältigung dienendes, sondern seiner künstlerischen Vision entsprechendes Medium war und ist. In Bern ist das qualitativ herausragende grafische Werk, das oft lediglich als Ausgangspunkt für Überarbeitungen dient, präsent,  steht aber nicht im Vordergrund – zu oft wurde es andernorts bereits gezeigt. Ein anderes Moment kommt in der Gleichzeitigkeit des Gesamtwerkes aber sehr schön zum Ausdruck: Die Farbe. Es wird deutlich spürbar wie die expressive Malerei der 1950er-Jahre mit ihren geradezu materiellen Farbfeldern in den Farb-Akzenten der Figuren und Landschaften weiterhin präsent ist und die „Temperatur“ der Bilder mitbestimmt.

Rolf Iselis Werk gehört zu den bekanntesten Positionen der Schweizer Kunst seiner Generation; dies liegt nicht zuletzt daran, dass es sich seit den 1970er-Jahren nicht mehr grundlegend verändert hat und heute bereits als Kunstgeschichte empfunden wird. Es gibt durchaus Kritiker, die ihm das vorwerfen. Aber andererseits geht der Bauer eben jedes Jahr wieder in den Rebberg und beginnt mit seinen Stöcken einen neuen Zyklus und in diese Ganzheit ist Iselis Werk eingebettet.

Was der Ausstellung fehlt, sind die überraschenden Momente – die Retrospektive ist so wie sie zu erwarten ist. Einzig die Serie der seit den 1970er-Jahren fortgeschriebenen Boyards – erotisch-sinnlich-satirische Übermalungen von alten Postkarten lassen einen anderen, den heiteren, geselligen, Rolf Iseli am Rande aufblinzeln.

Info: Ausstellung bis 31.März 2010. Begleitpublikation im Kerber-Verlag, unterstützt von „Binding Art Selection“. 49 Franken.

Bildlegende:
„Nagumän“ , 1976, Erde, Kohle, Asche, Nägel, Papier u.a.

Rolf Iseli im Seeland

Rolf Iseli ist in der Region Biel/Grenchen kein Unbekannter.

Sowohl in der Kunstsammlung der Stadt Biel wie jener des Kunsthaus Grenchen befinden sich mehrere, vor allem grafische, Blätter.

1961 Erster Auftritt zusammen mit Buri, Luginbühl, Spescha u.a. in der Städtischen Galerie in der Stadtbibliothek.

1973 „Das Stockhorn“ – eine Kollektivarbeit mit Schülern und Lehrern für das Haldenschulhaus Grenchen

1974 und 1980 Einzelausstellungen bei Silvia Steiner in Biel, 1995 im Kunsthaus Grenchen.

1975 und 1980 Teilnahme an den Schweizer Plastikausstellungen in Biel.

2002  entwirft unter dem Titel „Kadiumrot, Kobaltblau und Nepalgelb“ das Farbkonzept für die Innenräume des renovierten Bieler Kongresshauses. Schade, dass dies in der entsprechenden Rubrik der Berner Publikation nicht erwähnt ist.                                                 (azw)