Spekulationen Amici di Borgo Zaugg Baumgartner Biel 2010

Wenn die Nebel steigen….

 www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 26. Mai 2010

„Kunst ist Spekulation“, sagt Marcel Henry. Seit kurzem ist sein Kuratorium Amici die Borgo in Biel zuhause. Morgen steigt die erste Vernissage. Rund ums Lokal.int.

„Wenn die Nebel steigen… steht der November vor der Tür“, schrieb einst Hermann Hesse. „Reine Spekulation“, würde der 33-jährige Kunstwissenschafter Marcel Henry (Biel/Rom) dazu sagen und auf den kleinen Wald hinter dem Lokal.int verweisen. Passanten und Bus-Fahrende geben ihm recht: Da steigt im Wonnemonat Mai Nebel auf. Ein Sprecher der Bus-Linie Nr. 4 weist bei jeder Fahrt darauf hin.

Es handelt sich um eine künstlerische Intervention der in Berlin lebenden, bekannten Berner Künstlerin Simone Zaugg (geb. 1968). Zu deren Realisierung eingeladen hat sie das junge Kuratorium Amici di Borgo, das sich auf Kunst im öffentlichen (nicht musealen) Raum konzentriert. Der Kopf des im Umfeld des Istituto Svizzero in Rom gegründeten und seit kurzem in Biel beheimateten Netzwerkes ist der Berner Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Kurator Marcel Henry.

Generationsspezifisch beschreibt er sich und seine wechselnde Crew auf der Homepage von ADB als Kinder der Plug&Play-, Erasmus-, und Net Generation. Das heisst, die englischbetonte Kommunikation läuft über Websites, Facebook, Twitter, Youtube, Wuala usw. Nichtsdestotrotz sind die „Interventionen“ aber durch und durch lokal, auch wenn das nur die Bieler und Bielerinnen wirklich bestätigen können. Für die Net-Surfer bleibt ein Mass an Spekulation, was Henry und Co-Kuratorin Sonja Gasser in der Bieler Intervention #004 gleich zum Thema machen.

Die zweite Arbeit des mit den Strukturen des Lokal.int verknüpften Projektes stammt von der schon verschiedentlich aufgefallenen jungen Zürcher Künstlerin Muriel Baumgartner. Sie bespielt die „Dépendance“ des Lokal.int auf Perron 2/3 des Bieler Bahnhofs. Sie entdeckte im Personalhäuschen daselbst allerlei „Telefon“-Zeichnungen von SBB-Angestellten; diese rekonstruierte sie nun als Reliefs und stellt sie in der alten Telefonzelle nebenan als „spekulative“ Formen zur Diskussion. Obwohl als Arbeit gänzlich verschieden von Zauggs Nebelschwaden, ist auch hier die Unsicherheit bezüglich Herkunft, Echtheit und Fiktion respektive die Aufforderung darüber zu „spekulieren“ zentrales Thema.

Marcel Henry & Co. haben schon mehrere Interventionen initiiert. Die erste war 2009 anlässlich der „art Basel“  die Verwandlung eines privaten Gartens in eine öffentlich bewohnbare Installation durch den Thuner Künstler Heinrich Gartentor. Die zweite hiess „Annunciazione“ und fand im August 2009 in Muralto-Locarno statt. Das Vorgehen ist dabei stets dasselbe: Amici di Borgo haben eine Idee und suchen daraufhin Kunstschaffende, die dieses Thema in ihrer Kunst bearbeiten. Das kann fruchtbar sein. Zugleich illustriert der Modus den modischen Begriff der „Kuratorenkunst“ in treffender Form und zeigt auf, wie sich in der Kunstwelt neben den Institutionen eine weitere Kraft etabliert. Dies nicht zuletzt als Folge der grossen Zahl von Kunstwissenschaftern ohne feste Anstellung. Marcel Henry gibt denn auch unumwunden zu, dass ADB für ihn eine Investition in seine eigene Zukunft ist, denn nur wer sich durch realisierte Projekte einen Namen zu schaffen vermag, hat Chancen auf einen bezahlten Job im Kunstbetrieb.

Der Begriff „Kuratorenkunst“ ist umstritten. Wenn man genau hinschaut, ermöglichen Engagierte wie Henry aber Kunst, die sonst nie zustande käme. Denn gerade Kunst im öffentlichen Raum, Kunst welche die offene Struktur des Internet auch auf der sozialen Ebene der Bevölkerung umsetzen will, muss sehr viel Basis-Arbeit leisten. „Ich bin die Infrastruktur der Künstler“, sagt Henry mit Blick auf die Verhandlungen mit der SBB, der Gewerbepolizei, den Verkehrsbetrieben. Dass das Projekt gelang, ist somit erfreulicherweise einmal mehr Zeugnis für Biels kulturfreundliche Haltung. Zu dieser gehört auch die Firma Gassmann AG, welche die zur Finissage vom 27. Juni erscheinende Zeitung zum Projekt druckt.

Info: Bis 27. Juni

Simone Zaugg

Geboren 1968 in Bern. Lebt in Berlin und Bern.

Ausbildung: Hochschule der Künste Bern, Gesamthochschule Kassel (1987-1992)

Performative Foto- und Videoarbeiten, raumbezogene Installationen.

Einzel- und Gruppenausstellungen, Performances etc. in der Schweiz und in Deutschland, zuletzt Kunstverein Schwerin (2010). 2003: Einzelausstellung im Centre Pasquart in Biel.

Mehrere Kuratorenprojekte, u.a. 2003 „street level simplon“ (mit Pfelder).

Monographie: Simone Zaugg – 100 und eine Arbeit. Verlag für Moderne Kunst Nürnberg (2008).

Link: www. simonezaugg.ch

Muriel Baumgartner

Geboren 1976 in Winterthur

Studium an der Hochschule der Kunst in Zürich (2006-2009)

Orts-  und raumbezogene Installationen.

Beteiligt an Gruppenausstellungen wie „plattform 10“ im ewz Zürich (2010), „yesterday will be better“, Aargauer Kunsthaus, Aarau (2010), Regionale 9  im Kunsthaus Langenthal (2009), „Kunstpreis der Nationale Suisse“, Kunsthaus Baselland (2009).

Link: www.murielbaumgartner.ch