Vernissagerede zum Thema „Figurativ“ und „Frau“, Vinelz, 2010

Ein geschichtlicher Rückblick

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Annelise Zwez anlässlich der Eröffnung der GSBK-Ausstellung mit Werken von Bettina Truninger, Kati Schenk, Heike Müller, Pat Noser, Kathrin Kunz und Heinke Torpus in der Galerie Vinelz in Vinelz am Bielersee, 29. August 2010

Sehr geehrte Damen und Herren

Einer der kunstgeschichtlich wichtigsten Texte, die ich – nach eigener Einschätzung – in meinem langen Kunstkritikerinnen-Leben geschrieben habe, trug den Titel „Der Impetus der Ich-Erfahrung – Gedanken zur weiblichen Erotik in der Kunst“. Er erschien erstmals 1993 in der Kunstzeitschrift „artis“.

Da die damals postulierten Gedanken direkt mit dem Thema der heutigen Ausstellung zu tun haben, sind sie mir Grundlage für die heutige Ansprache. Allerdings in einer die letzten 17 Jahre mit-denkenden Form, denn gerade in gender-relevanten Bereichen hat sich seit den frühen 1990er-Jahren sehr viel verändert. Und dann soll ja auch die Frage der „Malerei“ im Schaffen von Künstlerinnen ein Thema sein.

Die zentrale Beobachtung, die hinter meinem Text stand, ging dahin, dass Künstlerinnen bis zurück zu Angelika Kaufmann fast ausschliesslich Frauen darstellten, wenn sie figurativ arbeiteten. Die Gründe dafür sind bis zur Aera der Psychoanalyse zu Beginn des 20. Jahrhunderts anderer Natur als danach, wirken aber dennoch ineinander. Blättert man in einem Buch zu Angelika Kaufmann, fällt schnell auf, wie häufig sie Frauen porträtierte und dass die eindrücklichsten Bilder ihre Selbstporträts sind. Dass sie weniger Aufträge für Porträts von römischen respektive englischen Würdenträger erhielt, hat nur bedingt mit einer Vorliebe der Künstlerin zu tun; man fand es einfach unschicklich, vielleicht sogar „gefährlich“, wenn sich eine Frau so intensiv mit einem Mann beschäftigte.  Aber in Frauenporträts stand sie Frauen und in Selbstporträts sich selbst gegenüber. Vielleicht macht gerade das die Qualität ihrer Werke aus. Man soll aus Angelika Kaufmann keine Vorläuferin des Feminismus machen, aber das Moment des Identifzierens mit dem gleichgeschlechtlichen Vis-à-Vis ist da schon drin.

Sigmund Freud vertrat bekanntlich die These,  dass die Sexualität die Triebfeder männlichen Verhaltens sei. Auch wenn ihm die Sexualität der Frauen ein Rätsel blieb, so wirkte der Motor der Ich-Erkenntnis natürlich nichtsdestotrotz auch auf die Frauen, nur reagierten diese anders. Während die Männer – denken Sie an Klimt, denken Sie an Kirchner – ihre erotischen Gefühle weiterhin auf den weiblichen Körper projizierten, also ausserhalb sich selbst darstellten, fokussierten die wenigen Künstlerinnen, die es gab,  sich selbst – sie stellten dar, was sie selbst in sich fühlten. Das heisst, sie erkundeten das erotische Moment in ihrem eigenen Körper. Die ältesten, durch und durch als Ich-Bilder zu erkennenden Frauen-Porträts, die ich damals in unserem Kultur-Raum fand, waren die berühmten Darstellungen von Paula Modersohn-Becker von 1906, welche die Künstlerin selbst, getrieben von ihrem Wunsch schwanger zu werden, mit einem Kleinkind auf dem Schoss zeigen.

Wir müssen aber nicht nach Skandinavien gehen, um den Beweis anzutreten, dass Frauen am liebsten Frauen malen. Denken wir zum Beispiel an die Schweizerin Alice Bailly, die in den 1910er-Jahren wunderschöne ich-erotische Arbeiten auf Papier geschaffen hat. Es braucht ja nicht das eigene Abbild zu sein, das Selbst kann sich in jeder weiblichen Figur manifestieren.

Ich habe gerade kürzlich eine Ausstellung von Anny Vonzun in Chur gesehen – auch in ihren traditionell gemalten Pariser Parklandschaften aus den 1920er-Jahren mit auffallend vielen Frauen mit Kinderwagen ist die Subtilität der Ich-Identifikation spürbar, auch wenn sie sich dessen vermutlich nie wirklich bewusst war.

Wie weit hinter diesem Phänomen biologische Triebkräfte wirken – bekanntlich muss der männliche Samen hinaus gehen, um den weiblichen Schoss zu finden, während der weibliche Schoss auf die Integration des männlichen Samens in sich selbst wartet – wie weit sich hier also Biologie auf einer überhöhten Ebene abbildet und wie weit sich darin ebenso sehr Rollenmuster, Machtstrukturen, Rückkoppelungen, Aggressionen und Schutzmechanismen manifestieren, ist eine komplexe Frage, die ich nicht schlüssig beantworten kann. Vermutlich ist das Eine das Andere.

Fakt ist, dass mit dem aufkommenden Feminismus der weibliche Körper ein Hauptthema der Kunst von Frauen wird. Endlich Ich war die Devise, auch wenn dieses Ich noch keineswegs selbstbewusst daher kommt, sondern häufig geschunden, gequält, belastet oder aggressiv mit Pfeil und Bogen versehen in Erscheinung tritt. Transformations- und Erkundungs-Prozesse sind angesagt. Denken wir etwa an die „Body-Awarness-Arbeiten“ von Maria Lassnig, aber auch an die Pfeil- und Bogen-Arbeiten der damals ganz jungen Zürcherin Bigna Corradini, die „Häutungen“ von Heidi Bucher und an das eigentlich nur selbstbewusst scheinende „Boudoir“ von Manon. Körper und Rollenmuster verschränkten sich in der Kunst von Frauen in der Aufbruchzeit der 1970er- und vor allem 1980er-Jahre, mit Miriam Cahn als eine der führenden Künstlerinnen-Persönlichkeiten der Schweiz in dieser Zeit. Ihr Hauptthema ist bekanntlich immer und immer wieder die Frau.

Bevor ich zum Aspekt Malerei und zur Gegenwart komme, ist es mir noch ein Anliegen zu sagen, dass sich dieses Ich-Ich-Moment im Figürlichen am einfachsten ablesen lässt, dass es aber eine Struktur ist. Das heisst, dass sich in der Kunst von Frauen, mehr oder minder auffällig, eine Methode, eine Vorgehensweise ablesen lässt, die einer nach innen gedrehten Schlaufe entspricht. Ein Thema – welcher Art auch immer – wird quasi einverleibt, da erlebt, verwandelt, entwickelt und wieder „geboren“. Wobei mit unserem heutigen Bewusstsein von männlich und weiblich in jedem von uns die Strukturen weit weniger geschlechtsgebunden sind als noch vor 20 Jahren.

Und damit meine ich nicht etwa die Homosexualität, die in der Kunst von Männern bekanntlich eine wichtige Rolle spielt. Es ist eine Binsenwahrheit, dass die schönsten, die intensivsten Männerporträts von Männern stammen, allerdings nur weil sie durch ihr subjektives Empfinden zumindest teilweise die weibliche Praxis imitieren…

Betrachten wir nun zwischendurch das Moment der Malerei. Bis gegen 1970 dominieren Malerei und Skulptur die bildende Kunst. Somit arbeiten auch die Künstlerinnen in diesen Medien. Es sind die Pionier-Frauen des Aufbruchs, die realisieren, dass sie in den mann-besetzten Medien nicht zum Ziel kommen, dass sie sich neue visuelle  Ausdrucksformen aneignen müssen, um ihre eigene Sprache zu finden. Es sind dies Video und Fotografie, sehr häufig aber auch die Zeichnung, die eine  faszinierende Unmittelbarkeit, eine Nähe von Körper und Lineatur, in sich trägt, dann aber auch plastische Arbeiten mit unerwarteten Materialien und last but not least die Performance und später auch die Installation. Die Malerei verschwindet nicht ganz, aber sie verbündet sich oft mit Zeichnerischem auf Papier oder in gestischen Zügen mit neuen, oft direkt der Natur entnommenen Materialien. Erwähnt seien zum Beispiel Rosina Kuhn für Ersteres, Cristina Fessler für Zweiteres.

Es ist klar, dass sich die Kunst von Frauen nicht gänzlich losgelöst von der Kunst der Männer entwickelt, das heisst Video und Fotografie kommen in dieser Zeit auf, die arte povera sprengt die Tradition von Stein und Bronze als Materialien, die Natur wird aufgrund der Thesen des Club of Rome ein Thema usw. Aber ganz sicher ist, dass auf der thematischen Ebene die emotionale Körperlichkeit der Kunst der 1980er-Jahre von den Frauen ausgelöst wird. Und bis heute ist das Figurative in weitesten Sinn ein wichtiges Thema für die Künstlerinnen. Wie diese Ausstellung zeigt.

Eine erste Wende tritt in den 1990er-Jahren auf, im Moment, da eine junge Generation von Künstlerinnen auftritt, die bereits auf dem von der älteren Generation Vorgespurten aufbauen kann. Stichwort: Pipilotti Rist. Auch hier bleibt aber das Frau-Frau-Thema zentral. Und wenn ich behaupte unter den vielen, vielen Porträt-Fotografinnen der 1990er-Jahre seien jene von Reineke Dijkstra die ergreifendsten, so genau aus dieser identifizierenden Sinnlichkeit heraus, welche Frauen in Frauenporträts – hier oft, aber nicht nur Mädchen – hinein legen können, weil sie sich in die andere Person hineinversetzen, sich da umschauen, einfühlen und schliesslich aus dieser emotionalen Befindlichkeit heraus ihr Bild realisieren.

Und selbst in den engagierten Text-Arbeiten von Jenny Holzer zu den vergewaltigten Frauen im Bosnien-Krieg, ist es genau dieses Moment, das aus der Beobachtung eine Ich-Erfahrung macht und so Emotion und Analyse verschmilzt.

Und wie es ist mit dem Blick der Frau auf den Mann? Klar haben die Frauen immer mal wieder versucht, das Männerporträt zu verwirklichen. Ich erinnere mich etwa an die Bilder der Zürcher Künstlerin Chantal Wicki, doch hatten diese längerfristig kaum Wirkung und die Künstlerin kehrte bald wieder zu Frauen-Darstellungen zurück. Klar erinnere ich mich auch des provokativen Satzes von Pat Noser, die – nach langer, ausgesprochen malerischer Beschäftigung mit dem eigenen Körper – einmal eine Reihe von Penissen mit rotem Maschen à la Jeff Koons malte und dann – als sie damit an der Weihnachtsausstellung in Biel abgelehnt wurde – sagte: „Und ich gebe die so lange ein, bis sie sie nehmen“…. was sie dann auch getan haben und sich Pat wieder anderen Themen zuwenden konnte.

Mit Video, Fotografie und später auch Internet findet im Kompositorischen ein starker Trend zur Dekonstruktion, zur Fragmentierung, zum freien Einsatz von Makro- und Mikro-Ansichten des Körpers statt. Und die Malerei übernimmt das und katapultiert sich nicht zuletzt dadurch wieder vermehrt in den zeitgenössischen Diskurs.  Klar, gibt es auch heute ganzfigurige, malerische Kompositionen – man denke etwa an Eric Fischl, dessen häusliche Szenen mit nackten Männern und Frauen hier fast nach einem Sonderkapitel rufen, doch das würde zu weit führen. Allgemein können wir jedoch feststellen, dass sehr viel häufiger angeschnittene Körper, Körperteile, Überlagerungen von Nah- und Fernsichten, scharfe und unscharfe Teilbereiche zu Kompositionen vereint werden. Auch das Fotografische als Vorlage hat eine neue Dimension erhalten. Grundsätzlich dient ja die Fotografie den Kunstschaffenden schon seit 100 Jahren als Vorlage.

Heute ist es aber viel mehr das Szenische, das Erzählerische der Fotografie, das auch in der Malerei – oft als Konzentrat – aufscheint. Das Thema des Figurativen ist entsprechend vielfältig geworden und die Malerei ist eine unter zahlreichen Möglichkeiten, sich dem Figurativen zu nähern; mit der entscheidenden Herausforderung, die eigene Vision in malerisches Können einzubringen. Den Zufallstreffer gibt es in der figurativen Malerei nicht; sie ist gewissermassen schonungslos, sei es bezüglich naturalistischer Präzision, realisitischer Intensität, expressivem Ausdruck oder sich aus dem Sichtbaren entfernender Stimmung bis hin zur Ahnung eines Da-Seins in der Farbe, im Raum.

Es ist auch ganz klar, dass eine jüngere Generation anders mit dem Thema umgeht als eine ältere. Insbesondere hat die junge Generation zu einer subversiven, sinnlichen, provokativen weiblichen Körperlichkeit zurückgefunden, die eine Zeit lang unter dem Eindruck des Feminismus und später auch der Verbannung des sexuellen Körpers aus der Kunst angesichts von Aids fast verschwunden ist. Der Grundsatz, dass sich Frauen speziell im Intimen, im Emotionalen weiterhin primär und nach wie vor im Gegensatz zu den Männern mit dem eigenen, weiblichen Körper auseinandersetzen, ist hingegen geblieben. Wobei das Hybride, das Weibliches und Männliches zusammen zu denken versucht, ganz besonders fasziniert; etwa in gewissen neuen Werken von Miriam Cahn.

Ich wünsche Ihnen nun viel Spass dabei, mit meinen Gedanken im Hintergrund durch die Ausstellung zu gehen und sich dies und das zu überlegen, die Bilder inhaltlich und stilistisch in Zeit- und Generationenverläufe zu stellen, da und dort Widerspruch zu konstatieren, da und dort aber auch Kongruenz festzustellen.

Ich danke fürs Zuhören.