Vocis terra_Audio_Land Art Projekt Ueli Studer 2 2010

Der Landschaft Klang verzauberte das Land am See

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt, 23. August 2010

„Wer die Landschaft hört, fühlt sich ihr zuge-hör-ig“, sagt Vocis terra-Künstler Ueli Studer. Tausende wissen seit  Samstagnacht (21./22.8.2010), was damit gemeint ist. Der Gang durch die Reben im Klang der Landschaft hat es sie gelehrt.

Samstagabend um 20 Uhr auf der Achere ob Tüscherz: Aus dem Grün – noch ist es hell – wachsen Stimmen. Sie dehnen sich in den Raum. Die Menschen,

die sie aussenden wirken wie Klang-Boten. Der dichte Strang von Spaziergängern auf dem Rebweg horcht. Andacht verbreitet sich, höchstens von einem Flüstern oder kurzen Augen-Grüssen unterbrochen.  Gehen, stehen, hören; die Augen mal dem Berg, mal dem See zugewandt.  Würde es möglich sein, dieses Alltag sprengende, mehr im Körper als im Kopf spürbare Bewegtsein mitzunehmen bis nach Ligerz?  Würde die geforderte Konzentration angesichts der Vielzahl von Mitwandernden ausreichen? Noch hat man keine Antwort darauf.

Auf die Klangfülle der Gruppen folgen dem Weg entlang mehrere Solostimmen; man ist jetzt schon vertraut mit dem singenden Berg, traut sich gar ein Lächeln als man Dionysos, den Gott des Weines, persönlich in den Reben zu entdecken glaubt. Und erste Freude macht sich breit; etwas von der künstlerischen Vision von Vocis terra, etwas vom Gefühl in der Frequenz der Klänge Zusammengehörigkeit zu spüren, ist bereits da.

Im zügigen Gehen verändert sich das Licht; Dämmerung. Fledermäuse überfliegen die Wandernden tonlos; sie hören anders als wir Menschen. Der Weg dehnt sich bis in die Roggete, man wird sich klar, bis Ligerz ist es weit. Dann Klänge; das Auge vermag die Lautsprecher noch zu erkennen; es sind in Vocis terra eingebaute akustische Experimente; sie begleiten, geben Rhythmus, machen fröhlich: Heute abend dürfen Erde und Pflanzen Klang sein und uns bezaubern; danke Ueli Studer, danke auch „Petrus“, der die laueste August-Nacht für Vocis terra reserviert hat.

Auf einmal klingt es rauer, dumpfer, grollender – man kam ins Revier der Feuerorgeln. Klang hat jetzt mit Lärm zu tun. Auch die Menschen sind lauter, bleiben stehen, fragen sich wie Feuer „Instrument“ sein kann. Es ist nicht einfach die Stimmungen der in den Abendhimmel ragenden Rohre zu unterscheiden und die übergreifenden „Obertöne“ zu hören. Von Andacht kann keine Rede mehr sein. Aber die Feuerorgeln sollen ja auch die „Bösewichte“ in der Landschafts-Partitur sein, sollen Romantisches brechen,  um die Realität unserer Klang-Landschaft einzubringen.  Daher sind sie wichtig, auch wenn man ihnen gerne wieder entflieht und in der Gauchete gleichsam erlöst die ersten naturnahen Ges-Dur-Klänge wahrnimmt.

Zunächst als Kombination  technischer Wiedergabe älterer Experimente und Live-Klängen von Trompete und Tibethorn, dann – nun bereits ob Twann – als Klangbouquets korrespondierender Zentren von Blechbläsern im Rebberg und bis hinunter zum Friedhof. Es ist inzwischen dunkle Nacht, der Mond spiegelt sich auf dem See, die Kerzen entlang dem Weg sind Feuer und Lichtquellen in einem. Die Menschen wandern, sitzen auf den Rebmauern, lauschen dem „Gespräch“ der Klänge im Landschaftsraum. Die Magie ist wieder da, weniger spirituell im Vergleich zur Achere, dafür umso ergreifender im Wechsel von Nähe und Weite, von Mensch und Landschaft.

„Bist Du glücklich“, fragen wir den Künstler um 22 Uhr; zwar nur per Telefon, weil er es – wie fast erwartet – nicht geschafft hat bis zum Treffpunkt bei Peter Schott im Garten. „Gute Frage“, sagt er und man spürt, die Spannung ist noch zu gross, doch dann atmet er durch und meint: „ich glaube, die Menschen hören die Landschaft jetzt, das war mein Ziel und das macht mich glücklich“.  In der Runde vor Ort dominiert eine Atmosphäre, die das Wort „Dankbarkeit“ vielleicht am besten umschreibt. Dankbarkeit, dass sich die unendlich grosse Vorarbeit so Vieler eben jetzt in dreifaches Gelingen wandeln darf: Künstlerisch, publikumsmässig und wetterbezogen.

Ein Blick auf die Uhr zeigt, die prognostizierten zwei Stunden für den 7 km-Gesamtparcours sind viel zu knapp bemessen: wer den letzten Live-Auftritt der Glasharfen-Spieler bei der Kirche in Ligerz nicht verpassen will, muss los:  steil hinauf auf den Rebenweg zurück und im Widerschein des Mondes dem Berg entlang Richtung Westen. Nirgendwo ist der Blick auf die Petersinsel und den Jolimont so eindrücklich in seinen Proportionen wie von hier aus. Kein Wunder, baute man hier schon vor Jahrhunderten eine Kirche; bald schon wird sie sichtbar, im Licht ihrer künstlichen Beleuchtung, aber auch im technisch verstärkten Klang-Raum der Glasharfen.

Stärker als in Tüscherz und Twann tritt hier das „Gebaute“ des Land- und Audio-Art-Projektes von Ueli Studer in Erscheinung. Man wird sich – und das ist gut –  des konzeptuellen Dialogs zwischen Künstler und Landschaft im Hinblick auf den  Wandel von der Seh- zur Hör-Perspektive bewusst. Das Spiel der Glasharfen erscheint weniger als Landschafts-Intonation denn als Musik. „Mich erinnert das stark an Improvisations-Experimente aus den 1970er-Jahren“, sagt etwa Alfred Schweizer, Komponist und Gemeindepräsident von Twann-Tüscherz. Hier allerdings in faszinierender Weise eingebunden in ein einmaliges, spartenübergreifendes natur-, raum- und menschbezogenes Gesamt-Kunstwerk.

Schon um Mitternacht ist alles nur noch Erinnerung.