www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 25. Juni 2011Обзор цементной отрасли за 9 месяцев

Franziska Megert ist eine der wichtigsten Schweizer Video-Künstlerinnen. Doch nie wurde ihr Werk als Retrospektive gezeigt. Sie nun zu beherbergen ist für Biel eine Ehre.

Es ist eine fulminante Ausstellung, welche Franziska Megert im Parkett 2 und in der Salle Poma des Museum Pasquart zeigt. Die in Düsseldorf lebende Bernerin gehört zur europäischen Elite im Bereich der Video-Skulptur; sie fehlt in kaum einer entsprechenden Übersichtsausstellung. Insbesondere die Mann und Frau, jung und alt durch fliessende De- und Rekonstruktionen verschmelzenden Video-Türme sind  Ikonen ihrer Art. Sie  sind auch in Biel zu sehen, aber die erste retrospektive Schau der 61-Jährigen stellt sie in einen viel umfassenderen Zusammenhang.

Der 30 Jahre ausspannende Kontext zeigt die 1950 in Thun geborene Künstlerin erstaunlicherweise stärker auf die Möglichkeiten des Mediums ausgerichtet als es ihre mit dem Körper spielenden, bekanntesten Werke bisher vermuten liessen. Nach dieser Ausstellung ist Megert vielleicht etwas weniger nahe beim Frauen-Kunst-Thema anzusiedeln, dafür näher bei den in den 1980er-Jahren immer noch als Pioniere arbeitenden Feldforschern im Bereich des Mediums Video.

Ursprünglich studierte Franziska Megert Psychologie. Doch nach Abschluss des Studiums 1979 zog sie mit ihrem Partner, dem Berner Künstler Christian Megert, nach Düsseldorf und belegte an der Akademie die Fächer Foto, Film und Video.

Die frühesten Arbeiten in der Ausstellung in Biel zeigen fünf Porträtfotos, die in einem letzten Bild alle überlagert sind und so nach Identität und Differenz fragen. Bereits 1982 folgt der Totentanz, sieben Fotos, in denen die Künstlerin selbst  in Schritten zum Totenkopf wird.  Einerseits fokussieren diese frühen Foto-Arbeiten bereits das von ihrem Studium her beeinflusste Generalthema,  nämlich die Frage „was ist der Mensch, was ist sichtbar, was nicht“, andererseits lassen sie Megert erkennen, dass in der Fotografie der Zeitfaktor, die Bewegung fehlt und so sattelt sie auf Video um. Sie tut dies entlang der sich entwickelnden Technik betont experimentell; sie ersetzt schwarz durch weiss, weiss durch blau, stanzt ganze Bildbereiche aus, lässt die Teile tanzen und stellt Stühle davor, damit wir teilnehmen.

1989 filmt sie das Abschalten des TV-Gerätes, das schwarz-weisse Bild, das sich einst einem Vorhang gleich schloss. Sie stellt den Monitor mit dem Video  einem Götzen gleich auf einen hohen Sockel. Jetzt ist die Video-Skulptur Teil der Inszenierung in der Salle Poma. „Off“ ist  Bindeglied eines Entwicklungsstrangs, der neben den Figuren- und Gender-Arbeiten lange nicht beachtet wurde. Auch heute fährt Franziska Megert zweigleisig. Die aus sehr persönlichem Empfinden heraus wachsenden Körper-Konstruktionen wechseln Mitte der 1990er-Jahre – gleichzeitig wie bei vielen Künstlerinnen ihrer Generation – den Blick. Statt von innen nach aussen, wird nun von aussen nach innen geschaut.

Bei Megert ergibt sich daraus die Arbeit „HOMMeAge“ – ein aufgehängtes Leintuch mit einem Animationsfilm, der tausend und eine Frauendarstellungen der Kunstgeschichte zum weiblichen Overkill aus männlicher Sicht verschmilzt. Gleichzeitig wandelt sie ein bestehendes Feuer-Video in lodernde, farbige Malerei und füllt damit ganze Säle. „Was die ‚Wilden’ konnten, kann das Video auch“ ist ihr Credo. Während sie von hier aus das Medium Video weiter  und weiter erforscht, längst auch die Arbeit am PC vorantreibt und schliesslich zu abstrakten Zeit-Rhythmen in digitaler Frequenz vordringt (Salle Poma), füllt sie andererseits Bilder des überbordenden Weltgeschehens in einen virtuellen Rotor und saugt uns in die Trichter ein. Mit Mühe halten die Besuchenden in den beiden Black-Boxes in der Salle Poma die Füsse auf dem Boden.

Megert lässt sich aber auch mit der Zweiteilung zwischen Bilderflut und strukturierter Abstraktion nicht abschliessend beschreiben. Etwas unerwartet präsentiert sie in Biel auch Fotos von Oberflächenspuren, ausgedruckt auf rostfreien Stahl. Konzipiert in der Erwartung,  dass durch Veränderungen des Lichtes (der Basis von Fotografie und Video) die Farbspuren und die reflektierenden Zwischenräume in „Bewegung“ geraten.

Die Ausstellung Franziska Megert ist Teil des Programms der Binding Art Selection.

Sie dauert bis zum 28. August 2011 

Bild: Adrian Streun