www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 1. Juni 2011Крысы

Die Museumslandschaft ist in Bewegung geraten. Rücktritte und Neuwahlen sind nicht nur in Biel, sondern auch in Aarau, Chur, Langenthal und Bern ein Thema.

Der Rücktritt von Beat Stutzer in Chur war seit langem erwartet worden. Seit 1985 führte der Basler das Bündner Museum mit kunsthistorischem Bewusstsein und grosser Liebe zu den Bündner Internationalen, Albert Giacometti allen voran. Mit der Wahl von Stephan Kunz als Nachfolger setzt das Museum auf Kontinuität. Kunz (geb. 1962) war seit 1988 am Aargauer Kunsthaus tätig und hat da viel substanzielle Hintergrundarbeit zu Schweizer Künstlern geleistet. Aktuell präsentiert das Haus gerade die von Kunz kuratierte Retrospektive Christian Rothacher (1944-2007).

Überraschend war hingegen der Rücktritt von Peter Fischer als Direktor des Kunstmuseums Luzern nach knapp 10 Jahren. Gerne hätten ihn die Luzerner noch behalten, denn ihm gelang der schwierige Spagat zwischen lokaler Verankerung und internationalem Anspruch in ausserordentlichem Mass, auch wenn man in den grossen Themenausstellungen zuweilen gewisse Konzessionen an das Luzerner Tourismus-Publikum spürte. Mit der Wahl von Fanni Fetzer (geb. 1974), Direktorin des Kunsthaus Langenthal, setzt die Luzerner Findungskommission ein unerwartetes Zeichen. Sie gibt einer jungen Frau eine Chance,  die noch nicht allzu viel Erfahrung hat, aber in Langenthal mit aufmüpfigen Akzenten – man denke an das Mini-Minarett auf dem Dach des Hauses ­– signalisierte, dass der  Oberaargau für sie nur eine Durchgangsstation sei. Zurzeit weilt sie mit einem Landis&Gyr-Stipendium in London, derweil „ihr“ Haus von Eveline Suter (der Kuratorin der Martin-Ziegelmüller-Ausstellung in Bern und Langenthal) geführt wird. Ob das bereits eine Vorentscheidung bezüglich der Vakanz in Langenthal ist?

Die Lücke, die Stephan Kunz in Aarau hinterlässt, ist hingegen bereits wieder gefüllt; mit dem Kurator für Kunst und Illustration des Bieler Museums Neuhaus, Thomas Schmutz (geb. 1969). Aarau hatte ihn „durch die Blume“ eingeladen, sich zu bewerben. Schmutz ist in der kurzen Zeit am Neuhaus (seit 2009)  durch ein in Wert setzen regionaler Kunstthemen in nationalem Kontext aufgefallen. Ein Beispiel ist die aktuelle Ausstellung „Eine malerische Reise von Basel nach Biel um 1800“.  Der Basler weist durch seine Ausrichtung auf Schweizer Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts, seine Erfahrung in der Kunstvermittlung (Centre Pasquart) und seine Arbeit mit Sammlungen ein Profil auf, das angesichts des Hypes der zeitgenössischen Kunst selten geworden ist, aber einem eben  wieder erwachenden Trend entspricht. Die Museen wollen ihre historischen Sammlungen aktivieren. Als Beispiel: „Sehnsucht Süden“ im Kunstmuseum St. Gallen. Aarau, das ein reiches Konvolut an Kunst bis zurück ins 18. Jahrhundert besitzt, setzt hier mit der Wahl von Thomas Schmutz einen Akzent.

Wer ihm in Biel folgt, ist völlig offen, umsomehr als die personelle Struktur des „Neuen Museums Biel“ noch gar nicht bekannt ist. Wer wird „Neuhaus“ und „Schwab“ nach der Fusion als Direktor leiten? Dass das neue Konzept wegen der Einsprache der Nachkommen von Oberst Schwab gar nicht umgesetzt werden könnte, scheint bereits wieder vom Tisch zu sein. Doch wer wird „Archäologie“, „Kunst“, „Stadt- und Industriegeschichte“ mit je wie vielen Stellenprozenten betreuen? „Ich hoffe, dass es keine Lücke geben wird“, sagt Schmutz, „denn das Profil eines Museums, oder auch nur einer Abteilung davon, verblasst sehr schnell, wenn die Aktivitäten zurück gehen“.

Die möglicherweise spannendste unter den bereits bekannten Neubesetzungen, ist die Wahl des in Genf lebenden Fabrice Stroun (geb. 1969) an die Kunsthalle Bern. Philippe Pirotte verlässt das Haus nach der vertraglich vereinbarten Direktionszeit von sieben Jahren. Der in Rehovot/Israel geborene  Stroun ist ein Quereinsteiger, das heisst seine bisherige, freie Kuratoren-Tätigkeit ist stärker von Kooperationen mit anderen Kunstschaffenden (insbesondere Mai-Thu Perret) geprägt als von kunstgeschichtlichen Überlegungen.  Er sei ein „Gegenentwurf zum Bild des jungen, professionell-nüchternen und technikaffinen Kurators“, lässt sich Wolf von Weiler (Präsident der Stiftung Kunsthalle Bern) im „Bund“ zitieren.  Eine „leidenschaftliche Stimme“ (W.v.W.) braucht die Kunsthalle Bern tatsächlich, denn nur wenige Ausstellungen vermochten in der Aera Pirotte nationales Echo auszulösen (etwa jene von Corey Mc Corkle 2005). In der Deutschschweiz kennt man Stroun bisher kaum und auch die deutsche Sprache wird der perfekt englisch und französisch Sprechende sich erst noch aneignen müssen. Für die Nachfolge von Dolores Denaro am Kunsthaus Pasquart ist die Wahl insofern von Bedeutung als die Position „Romand“ und „Mann“ für den Kanton Bern jetzt eigentlich gesetzt ist, Biel diese Brückenfunktion nun nicht unbedingt wahrnehmen muss. Nur: Bilingue zu sein ist in Biel ein Must, in Bern erstaunlicherweise nicht.

 

Bildlegende:

Setzen zum Karrieresprung an: Fabrice Stroun, Stephan Kunz, Fanni Fetzer, Thomas Schmutz. Bilder: zvg

 

Im Schweizer Kunstmuseumsbetrieb gibt es nur wenige „Sesselkleber“.

Amtsältester Direktor ist wohl Dieter Schwarz, der  seit Mitte der 1980er-Jahre das Kunstmuseum Winterthur leitet. Schwerpunkt: (Amerikanische) Kunst der 60er-Jahre.

Auch schon seit  ca. 20 Jahren im Amt ist Roland Wäspe in St. Gallen. In „seinem“ Haus hat die Konzeptkunst eine starke Position.

Offene Positionen gibt es zur Zeit neben Biel und Langenthal auch in Bern. Die Direktorenstelle am Zentrum Paul Klee wurde nach dem Abgang von Juri Steiner nicht ausgeschrieben, da die Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum immer noch keine definitive Form gefunden hat. Interimistisch leitet die Verwaltungsdirektorin die Geschicke des Hauses.