Ansprache für Manon anlässlich ihrer Ausstellung im Kunsthaus Zofingen 23. November 2019

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Manon

Erlauben Sie mir dieser aussergewöhnlichen Vernissage, die zugleich das Erscheinen eines retrospektiven Buches zu Manon wie die Eröffnung einer Ausstellung mit  Ausschnitten aus „Hotel Dolores“ und einer  für diesen Raum hier entworfenen Installation feiert… dieser Vernissage eine Art Präambel voranzustellen.

Einer Gratulation.

Zunächst für das  360 Seiten starke Bilder- und Text-Buch, das Sie heute abend nach Hause tragen werden. Ein Buch, herausgegeben vom Kunsthaus Zofingen – dem Kunsthaus Zofingen! –  ein Buch, das Nr. 83 der von Binding Sélections d’Artistes namhaft mitfinanzierten Publikationen ist. Die von den Schweizer Museen heiss umworbene Stiftung zur Förderung von Schweizer Kunstschaffenden hat für dieses Buch sogar ihre Parameter gedehnt und das Kunsthaus Zofingen zum „Schweizer Museum mit eigener Sammlung“ erklärt. Das ist nämlich die Voraussetzung für eine Unterstützung.

Ich bin überzeugt, Sie gehen mit mir einig, dass das eine Auszeichnung für die Leistung des Zofinger Kunsthauses und ihrer Leiterin Claudia Waldner ist!

Gewiss, Sie haben recht, ich denke auch, dass die Sophie und Karl Binding Stiftung Manon – eine der aktuell bedeutendsten Schweizer Künstlerinnen – mit in ihrer Reihe haben wollte – Win-Win also – aber nichtsdestotrotz! Darum schlage ich vor, dass wir meiner Rede einen Applaus für den Einsatz von Claudia Waldner, das Kunsthaus Zofingen und sein ganzes Team voranstellen!

Nicht nur das Buch, auch die Ausstellung ist eine sogenannt „grosse Kiste“ – wie Museumsdirektor*innen landauf landab ihre besonderen Aufwand heischenden Ausstellungen zu nennen pflegen. Ja, man darf die Frage stellen, warum Manon – in deren Palmares längst grosse Häuser figurieren – dem Wunsch von Claudia Waldner nach einer Ausstellung nachkam. Anfänglich war da durchaus Zurückhaltung – man darf sich ja nicht verzetteln und „Die Zeit wird knapp“ steht als Zitat auf einer der grossformatigen Fotos aus der Reihe „Hotel Dolores“. Doch dann spürt die Künstlerin, dass sie der Raum, in dem wir uns befinden, nicht loslässt, dass die Vielzahl von Ideen, die ihr durch den Kopf gehen, immer mehr zu EINER Idee wird. Gerade bei Installationen sind die Räume für Manon von zentraler Bedeutung. Sie müssen das Potenzial haben, sich mit ihrer Idee zu verbinden, mehr noch, sie zu potenzieren. Jörg Heiser spricht im Buch diesbezüglich von der Potenz des Pathos. Manon selbst würde vielleicht sagen, das ist kein Zitat: Hier kann sich Melancholie ausbreiten.  Und beide  meinen eigentlich dasselbe. Konkret: Die Spannung zwischen der aufgeladenen Atmosphäre eines barocken Ballsaales und der Unerbittlichkeit von Krankheit und Tod – ich werde das noch näher  ausleuchten.

Dann hat Manon  aber ohne Zweifel auch die Ernsthaftigkeit, die Ehrlichkeit, das Engagement der Kuratorin gespürt. Da wollte sich nicht jemand einfach vom aktuellen Hype um ihre Person, ihr Werk – vor allem auch ihr Frühwerk – ein Salami-Rädchen abschneiden, da war eine thematische Anteilnahme an ihren Anliegen vorhanden. Und diese beiden Momente – der Ort, der ihre Idee trägt und die Menschlichkeit im Projekt selbst – haben die entscheidende Wärme erzeugt, die Manon aufgrund ihrer grossen und facettenreichen Lebenserfahrung schon immer wichtig war.

Denn so viele Rollen sie in ihrem Werk  auch spielte und  visualisierte, die Dramaturgin, die Regisseurin, die Bühnenbildnerin, die Bildgestalterin, die Lichtkünstlerin war und ist sie immer selbst. So unabdingbar wichtig ihr die Unterstützung durch ihren Lebenspartner Sikander von Bhicknapahari seit langem ist, so ist es doch immer Manon, die entscheidet. Und zwar ohne wenn und aber. Und so entschied sie sich für den barocken Ballsaal in dem wir stehen und entwarf als Kontrapunkt zum Zeitgeist des 18. Jahrhunderts eine zwar immer noch vom Broadway träumende, gleichwohl aber präzis-kalte Bühne für die Realität von Krankheit und Tod.

Schon in der Schauspielschule zur Zeit der viel beschworenen 68er-Jahre habe sie erkannt, dass sie nicht Rollen spielen könne, die andere konzipiert haben, sie müsse diese Rollen selbst kreieren, sagte sie vor ein paar Tagen im Gespräch. Solche Gedanken lagen damals gleichsam in der Luft, doch Manon ist eine der ersten Schweizer Künstlerinnen, die sie – nicht auf Anhieb und mit den üblichen genderspezifischen Lernprozessen dazwischen –  noch vor dem „Jahr der Frau“ (1975) umsetzten und durch multiple Identitäten ausweitete.

In der 2009 vom Helmhaus in Zürich herausgegebenen Publikation „Manon – Eine Person“ sowie in der druckfrischen Monographie wird dieser ganze Werdegang – nun fortgeführt bis 2019 – in Bildern und Worten nachgezeichnet. Hier in der Ausstellung ist das Frühwerk einzig durch eine Aufnahme aus der bekanntesten Serie der Künstlerin „La dame au crâne rasé“ von 1977/78 stellvertretend angedeutet. Alle anderen Arbeiten inklusive „Manons Rettungsdienst“ draussen vor dem Haus datieren aus dem 21. Jahrhundert. Das heisst, sie sind alle nach der lebens-mitbestimmenden Schaffenskrise zwischen 1983 und 1990 entstanden. Diese Krise bewirkte nicht einen totalen Bruch mit dem zwischen Glamour, Domina-Attitüden und Einsamkeit oszillierenden Frühwerk und dem seit den 1990er-Jahren entstandenen Werk. Aber es sind nicht mehr die von äusseren Erwartungen getriebenen Ich-Inszenierungen, die schon damals mit dem „Ball der Einsamkeiten“ stets auch ihr Gegenteil signalisierten.  Es sind nun hoch präzise – auch distanziertere Bilder möglicher Existenzen. Bilder, die uns als Betrachtende zu identifizierenden Mitakteurinnen machen, ohne freilich das Ich der Schöpferin darin auszuklammern.

Die während rund drei Jahren entstandene, theoretisch 300teilige Serie von „Hotel Dolores“ – vielleicht das Opus magnum von Manons Werk – geht ganz stark in diese Richtung. Die vom Zerfall einer Kultur erzählenden Bäderhotels in Ennetbaden bilden die Bühne zu diesem Zyklus und hier ist es interessant von diesem bereits angedeuteten Moment der Präzision als Kontrapunkt zu dem vom Zahn der Zeit befallenden Ort zu sprechen. Die Fotos haben zwar performativen Charakter – wir meinen Manon durch die Gänge huschen zu sehen, stellen uns vor wie sie in den hochhackigen, schwarzen Pumps, die dort am Boden stehen, tanzt. Dass man darin, wie Manon weiss, keinen einzigen Schritt machen kann, ist egal. Die Vorstellung ist es, die zählt.  Aber denken sie nun ja nicht, dass diese Schuhe – übrigens Requisten aus dem letzten, die einstige Kultur des Hotels Schweizerhof in Flims evozierenden Film von Daniel Schmid.

Ich erlaube mir hier eine Klammer: ich kann mich gut an das Hotel Schweizerhof in Flims erinnern; wenn wir da in den Skiferien waren, gingen wir zuweilen zum Nachmittagstee ins Hotel Schweizerhof um just etwas von dieser besonderen Atmosphäre einzuatmen. Ähnliches – und darum machen ja die Schuhe Sinn – gilt für das Hotel Verenahof in Baden, einem Teil von Hotel Dolores, auch da war ich als Kind jedes Jahr einmal, immer am Bettag, denn zu dieser Zeit pflegte meine Grossmutter – sie hiess Nina Bott – daselbst ihre alljährliche Badekur zu machen. Das aber hier, wie gesagt, nur „entre parenthèses“.

Zurück zu den Schuhen und dem Hinweis, dass sie Manon nicht einfach aus den Kisten ihrer Requisiten und Accessoires zauberte und nonchalant dahin stellte, wo sie in der Fotografie unten in der Ausstellung stehen, und dann knipste. Oh nein, da war die Idee, sie dahin zu stellen, dann eine Skizze – beim Skizzieren denkt man – und dann die Überlegung wie muss das Licht sein, um den Glanz der Schuhe heraus zu kitzeln und dann das Ausleuchten vor Ort und dann erst die Fotografie!


Dieses Vorgehen gilt für alle Aufnahmen und ist der Schlüssel zur Magie der Fotos, zu diesem Kipp-Moment, das den Zerfall des Hauses aus der Dokumentation des Zerfalls herausholt und zu einem Statement macht – wertgeschätzt und betrauert in einem; vielleicht mit der Handharmonika in Klang versetzt, vielleicht aber auch, plötzlich von Erinnerungen getrieben, auch die Kälte der Zwangsjacke, das Bad als Reinigungskammer, aufblitzen lassend. Nichts hat nur ein Gesicht – weder das Leben noch der Tod.

So wissen wir auch nicht ob die Person, für welche das Krankenbett  hier im Barocksaal bereit gestellt ist, eben mit „Manons Rettungsdienst“ hieher gebracht wurde und nun zwischen draussen und drinnen eben hinaufgetragen wird oder ob sie uns ein Schnippchen schlägt und in der Künstler-Garderobe sitzt und sich ein Outfit wählt für ihren Auftritt im „Lachgas“ betitelten Stück, von dem wir alle, hier, gerade jetzt, ein Teil sind. Welches Outfit würden Sie wählen – das Abendkleid, gehört das Ihnen? Es ist langsam etwas aus der Mode gekommen – es hängt unten schon im Hotel Dolores und – ja tatsächlich – es war schon Teil des „lachsfarbenen Boudoirs“ von 1974, das Manon als ihr Opus 0 (Null) bezeichnet.

Richtig, damals in den 70er-Jahren waren solche Abendkleider Mode – ich hatte auch ein ähnliches und – ob sie es glauben oder nicht – auch dieses hängt noch bei mir im Estrich – man ist eben ein Leben lang immer nur eine Person – auch wenn sie mit der Zeit – der Zeit! – immer mehr aus Erinnerungen besteht.

Nicht nur das Ballkleid stammt aus den 1970er-Jahren, auch die schwarze Bühne mit dem in einem Vierer-Rhythmus blinkenden Glühbirnen-Dekor, stammt von damals (ob original oder nachgebaut ist egal). Damals (1975) war es ein im Raum stehender Rahmen mit Gitterstäben im offenen Geviert. Broadway und Gefängnis in einem.  Hängt da nicht in der Künstlergarderobe auch die Zwangsjacke, die wir unten schon gesehen haben?  Die würde zu Gefängnis passen, aber nicht eigentlich zu Schachbrett.

Und jetzt?

Damals war der Blinklichter-Rahmen Teil einer vieldeutigen Installation mit dem Titel „Das Ende der Lola Montez“. Die Geschichte dieser Geliebten des bayrischen Königs aus dem 19. Jahrhundert habe sie seinerzeit fasziniert, sagt Manon. Zweifellos der Abgründe wegen, denn nachdem sie der König sie verstossen hatte, versuchte sich Lola im  Showbusiness zu halten, endete aber auf dem Jahrmarkt, wo man sie – die Geliebte des Königs – durch Gitterstäbe betasten durfte; fast wie die Dicke Berta in meiner Kinderzeit. – Manon verwandelte die Lola in ihrer performativen Installation in eine Sado-Maso-Domina, welche die Männer im Griff zu haben schien und doch in einer Zwangsjacke, in einem Gefängnis steckte.

Und jetzt?

Das Krankenbett. Die Bühne. Das Schachbrett. Der Broadway. Das Leben. Der   Tod.

Im Moment ist es erst ein Schachspiel, ein Toten-Tanz. Das Lachgas wirkt noch. Aber eines Tages dann nicht mehr.  Doch wer weiss, vielleicht werden die Barock-Engel, die jetzt unsichtbar in den Lüstern des Raumes mit uns sind – hören sie ihren Gesang? Vielleicht werden sie für die Person am Ende ihrer Zeit sichtbar werden und ihrem Geist – der Kraft des Lebens – den Weg ins Himmelsgewölbe weisen.

 

Ich danke Ihnen fürs Zuhören. Ich brauche jetzt Musik!