Newsletter V 2023
Blick in die Ausstellung „Transformations“ – Die Sammlung der Versicherungsgesellschaft „Mobiliar“ (Bern) – Museum Gertsch Burgdorf 2023. Foto: azw
Manchmal fragen mich Bekannte: «Bekommst Du nie genug von der Kunst»? – «Nein», antworte ich ihnen meistens, aber wichtig sind mir nichtsdestotrotz Abstecher in die Musik, in den Tanz, ins Theater, die Literatur sowieso. Nur reicht die Zeit und die Kraft nie für alles, das ich gerne möchte. Immerhin, kürzlich war in einem sehr schönen Konzert der Solothurner Vokalisten, die u.a. Lieder von J.W.Goethe in in der Vertonung durch den Schweizer Komponisten Hans Huber (1852-1911) darboten; Literatur und (spätromantische/neuzeitliche) Musik in einem. Die Klassik liebe ich sehr, aber für Mozart & Co gehe ich nicht ins Konzert – da muss ich seitens der Programmgestaltenden schon etwas mehr eigene Ideen spüren. So wie kürzlich in der Kirche Ligerz, als der bekannte Berner Organist Jürg Brunner die Orgel auf ihre Fähigkeit Volkstümliches zu spielen befragte.
Zurück zur bildenden Kunst. Da war ich dieser Tage im Gertsch Museum in Burgdorf, wo eine Übersichtsausstellung der Sammlung der «Mobiliar»-Versicherung gezeigt wird. Kuratorin Dorothea Strauss hat versucht, etwas Unmögliches möglich zu machen und ist damit…gescheitert ist ein zu hartes Wort, aber trotz bemühter Themen wie «Mensch und Gesellschaft» oder «Sehnsuchtsorte Natur und Kosmos» kommt die Ausstellung nicht über das Prädikat Ansammlung hinaus.
Damit ist kein Wort gegen die Qualität der einzelnen Werke gesagt. Ich freue mich z.B. zu sehen, dass die Globus-Halskette „Wie viele Erden“ von Isabelle Krieg angekauft wurde, Ester Vonplon mit einer wandfüllenden Installation zum Thema Natur (Fotogramme und Inkets) vertreten ist oder den «Tätowierungen» von Daniele Buetti wieder einmal zu begegnen. Aber spätestens in Saal IV bei den Werken 200 bis 275 ist meine Konzentrationsfähigkeit am Ende. «Nehmen sie sich Zeit» steht im Saaltext als Tipp für den Rundgang! Wahrlich, doch selbst das reicht nicht, um bei einem einzigen Besuch der Ausstellung ein Gefühl von Vertrautsein aufkommen zu lassen! Muss ich ein zweites Mal hinfahren, um meinen Eindruck zu revidieren? Möglicherweise.
Die «Mobiliar» sammelt seit Jahrzehnten Kunst und der «Prix Mobilière» ist ein Begriff. In Burgdorf irritiert nun aber sehr wie viele der gezeigten Werke in den letzten 3 bis 5 Jahren angekauft wurden, wie ganze Epochen vorher kaum präsent sind.
Dass sich die Ausstellung betont international gibt, ist im Trend und spiegelt – zweifellos mit Absicht – die globale «Corporate Identity» der Versicherungsgesellschaft. Dennoch entsteht eine Art Verzerrung (Dorothea Strauss würde wohl sagen «Transformation») indem zum Beispiel die bemüht eingestreuten Bilder von Schweizer Künstlern aus den 1940er/50er-Jahren wie Relikte wirken und keinen organischen Fluss zu erzeugen vermögen. Nur selten ergibt sich ein erfreuendes Stelldichein – etwa bei Berglandschaften von Viktor Surbek versus Alois Lichtsteiner – oder ein belustigendes – etwa bei der Wendel-Treppe von Lang/Baumann im Dialog mit dem seine Axt schwingenden Holzfäller von Ferdinand Hodler. Auch eine andere «Fusion» macht Spass: Die Kombination der im Saaltext als «mikadoähnlich» bezeichneten, reklame-nahen Neon-Arbeiten «Neu» von David Renggli und «New Now» von Kerim Seiler.
Ich habe in letzter Zeit mehrere sehr gute Sammlungsausstellungen gesehen, z.B. kürzlich im Kunstmuseum Solothurn. Es wäre interessant zu erfahren, was erfahrene Sammlungs-Kurator*innen zur Ausstellung in Burgdorf sagen.
Change:
Schon etwas weiter zurück liegt des Künstlergesprächs zwischen Hannes Brunner (*1956) und dem langjährigen Direktor des Kunstmuseums Thurgau, Markus Landert, der seine Ausstellungstätigkeit in der Kartause Ittingen vor sage und schreibe 30 Jahren mit einer Ausstellung Hannes Brunner einläutete und 2023 nun auch ausklingen liess. Entsprechend zeigte Hannes Brunner Werke aus 30 Jahren. Der Begriff «Werk» ist bei Brunner allerdings ungenau, denn es handelt sich durchwegs um «Modelle» in ausgesprochen Low-Tech-Materialien wie Wellkarton, Draht, Schnur, vielleicht Sperrholzplatten, Styropor, Fundgegenständen usw.
Von Roman Signer (*1938) gibt es ein Buch mit seinen nicht realisierten Aktionen. Das wäre bei Hannes Brunner fehlt am Platz. Seine Modelle waren und sind nie Skizzen im Hinblick auf Realisierungen. Sie sind als Modelle gedacht und wollen das auch sein, jenseits von Überlegungen um deren Umsetzbarkeit.
2009 lud die damalige Direktorin des Centre Pasquart in Biel, Dolores Denaro, den einige Jahre zuvor aus dem Ausland in die Schweiz zurückgekehrten Künstler zu einer grossen, insbesondere auch die Salle Poma bespielenden Ausstellung ein. In meiner Besprechung im Bieler Tagblatt https://annelisezwez.ch/2009/hannes-brunner-im-centre-pasquart-biel-2009/ bezeichnete ich seine Arbeiten als «Gedanken-Formen» und zitierte den Künstler, der sagte mit Skulpturen könne man Gedanken haptisch fassbar machen. Das gefällt mir immer noch und stimmt auch heute noch – umsomehr als die Ausstellung in Ittingen eine Art Retrospektive war.
Auch der damalige Ausstellungstitel «A la recherche du temps gagné» gefällt mir immer noch, im Gegensatz zu den zwar gut verständlichen, aber etwas banalen «Entwurfs-Anlagen» von 2023. Gemeint war 2009 die Frage nach der mit der beginnenden Digitalisierung gewonnenen Zeit, die ich heute als frühes Manifest für die Einmaligkeit und die Vielfalt der Möglichkeiten individuell-assoziativen Denkens verstehe.
In der Ausstellung gab es an einer Wand eine Anzahl zu einer Rosette gefügte leere Papier-Tragtaschen. Auf meine Frage, wozu sie dienten, meinte der Künstler im Rahmen des genannten Gespräches: «Darin bewahre ich die Modelle auf». Das ist interessant, denn mehrfach erstaunt in der Ausstellung wie gut die Modelle (oder die Bestandteile davon) die Zeit überdauert haben. Und dann: Papiertragtaschen! -Das heisst für mich, dass er seine Modelle liebt und sie so aufbewahrt, dass er ihnen stets mit grösster Behutsamkeit begegnen muss.
Hannes Brunner hat nicht nur Kunst, sondern auch Architektur studiert. Da spielen Modelle eine wichtige Rolle. Überdies findet Architektur im öffentlichen Raum statt. Und so erstaunt es nicht, dass sich Brunners Gedanken fast immer um den öffentlichen Raum drehen – sei es (wie in einer Serie früher Modelle) um Möglichkeiten einer Park-Gestaltung, in neueren Gedanken-Karussells vermehrt um die Rolle, die möglichen Beziehungen der Menschen im öffentlichen Raum. Es kann aber auch um die Frage gehen, wie Klang in Form/Architektur/Skulptur fassbar gemacht werden kann, was dann eher den Innenraum betrifft.
Hannes Brunner lebt heute als freier Künstler in Zürich. Zuweilen begegnet man ihm als Techniker bei Performances seiner Partnerin Victorine Müller.
Und noch einmal Change:
Die Graphische Sammlung der ETH zeigt unter dem Titel «Eine Künstlerin der Moderne» eine ebenso persönliche wie dokumentarisch-biographische Übersicht zu Friedl Dicker-Brandeis (geboren 1898 in Wien, gestorben 1944 in Auschwitz). Die Kennzahlen verweisen von Anfang an auf ein dramatisch verlaufendes Schicksal. Bereits mit 18 Jahren besucht Dicker die private Kunstschule von Johannes Itten und folgt diesem 1919 ans Bauhaus in Weimar. Sie verkehrt in verschiedensten Zirkeln, besucht sämtliche Werkstätten, schafft Verschiedenstes im Geist des Bauhauses, das nach einer neuen Einheit von Leben und Gestalten sucht. Die Vielfalt und das sprühende Interesse an den Erkenntnissen ihrer Zeit verspricht eine erfolgreiche Zukunft. Das vermag die Ausstellung zu zeigen, aber man soll dabei nicht vergessen, es sind Arbeiten einer Studentin! Die Gründung eines eigenen Ateliers in Wien 1926 (zusammen mit Franz Singer) markiert den Anfang einer Karriere, doch dann tritt sie der kommunistischen Partei bei, wird wegen Dokumentenfälschung zugunsten der Partei verhaftet und zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Sie zieht nach Prag, heiratet ihren Cousin Pavel Brandeis, erhält einen tschechischen Pass. Doch letztlich führt der Weg dann doch nach Theresienstadt und schliesslich nach Auschwitz.
Die Kuratorinnen aus Wien und Zürich sind ganz offensichtlich ergriffen vom Schicksal der Künstlerin und wütend auf die haarsträubende Geschichte des jüdischen Volkes, in welchem Gebiet auch immer. Mit Recht! Aber: Das kleine vorhandene Werk Dicker-Brandeis’ darf nicht dazu führen seine kunstgeschichtliche Bedeutung zu verzerren. Und das geschieht hier meiner Ansicht nach, so sehr man den emotionalen Hintergrund begreift, nachvollziehen kann und anerkennt.
Die Ausstellung hat keinen direkten Gender-Hintergrund, trotzdem gehört sie in den aktuellen Hype der (Wieder)-Entdeckung unbekannter Werke von Frauen. Und ist darum mit ein Signal, all die vielen, oft mehr als nur berechtigten, Ausstellungen trotz allem kritisch anzuschauen.
Soviel für heute.