Rohner – Hinderling – Jossen – Kiener – Müller

Trudelhaus Baden 2014

Vernissageansprache, Gastspiel, 02 16.01.2014

Kuratorin: Sara Rohner

KünstlerInnen: Philippe Hinderling, Barni Kiener, Aurélie Jossen, Willi Müller, Sara Rohner

 

Bonsoir Mesdames et Messieurs

Liebe Sara, cher Philippe, lieber Barni, chère Aurélie, lieber Willi

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ich Sara Rohner an einem Tag wie heute im Trudelhaus in Baden treffe und tags darauf in der Art-Etage im CentrePasquArt in Biel. Si Aurélie Jossen vient nous dire bonjour, on change de langue et on continue la discussion en français. Der Hintergrund: Sara und ich sind beide seit langem sowohl mit der Kunstszene im  Aargau wie mit jener in der Region Biel/Seeland eng verbunden. Ich habe, obwohl Seeländerin von Haus aus, lange im Aargau gelebt; ich erinnere mich sage und schreibe an ein Treffen mit dem heute hochbetagten Berner Künstler Peter Stein hier im Trudelhaus anno 1972.

Sara Rohner hingegen ist in den 1970er-/80er-Jahren als Deutschschweizerin in La Neuveville und Biel/Bienne zur Schule gegangen und lebt seit 20 Jahren in Zürich, Baden, aber  immer mehr auch wieder in La Neuveville. Zur selben Aargau-Seeland-Connection gehört übrigens auch der hier vertretene Maler Willi Müller, der im Wynental aufgewachsen ist, aber seit bald 25 Jahren in Nidau in unmittelbarer Nachbarschaft zu Biel wohnt und daselbst ein bekannter Maler der Region ist. Im Aargau haben wir ihn früher „Willi Müller-Nidau“ genannt, um ihn nicht mit „Willi Müller-Brittnau“ zu verwechseln. Das ist jetzt passé. Zum Aargau-Biel-Club würde auch die in Biberstein aufgewachsene Malerin Pat Noser zählen, aber sie würde mit ihrer Kunst hier nicht ins Rund  passen.

Der Kanton Bern ist der einzige Kanton in der Schweiz, in dem es zwei Sektionen der „visarte“ gibt, die „visarte Bern“ und die „visarte Biel/Bienne“. Das ist typisch. Biel kam erst 1815 als in Wien das napoleonische Reich aufgeteilt wurde, zum Kanton Bern. Die Berner versprachen der damals keine 2000 Einwohner zählenden Basler Fürstbischofs-Stadt weitgehende Autonomie. Das war  politisch letztlich eine Illusion, doch bis heute – nach fulminanter Entwicklung  und Transformation in die wichtigste bilingue Stadt der Schweiz – vergessen die Bieler und Bielerinnen – auch die Zugezogenen – zuweilen, dass sie zum Kanton Bern gehören. On est Biennois ou Biennoise et on s’en fout ce qu’ils font à Berne (ou on l’aimerais ou moins).

Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Bieler respektive Seeländer Künstlerschaft 1975 eine eigene Sektion der GSMBA gründete. Und weil Abspaltung eine Tendenz zu Trotz, aber auch zu Solidarität in sich trägt, ist diese Visarte Biel/Bienne bis heute – entgegen Entwicklungen in anderen Schweizer Regionen – eine lebendige Künstlergemeinschaft. Das zeigt sich zum Beispiel in dem seit  nunmehr 12 Jahren veranstalteten „Joli mois de mai“ – wo man all diesen Künstlern und Künstlerinnen hier (und vielen mehr) fast jedes Jahr begegnen kann. Da finden nämlich in einem drei Räume umfassenden Ausstellungslokal in der Altstadt während fünf Wochen jeden Mittwoch bis Sonntag Ein-Abend-Shows mit KünstlerInnen aus der Region und Eingeladenen von hier und dort statt. Das sind 25 Vernissagen hintereinander und zu jeder strömen die Leute und sei es auch nur pour boire un pot dans le Bistro qui en fait part. À Bienne on est beaucoup plus souvent dans le Bistro par rapport au canton d’Argovie et on y va plus facilement aussi.

Kurz und gut: Biel hat eine Kunstszene, die lebt, was nicht heisst, dass es da sehr viele „Shooting Stars“ gäbe (aber das wäre ein anderes Kapitel). Biel ist also nicht nur die Stadt mit der grössten Zahl an Fürsorge-Abhängigen, sondern auch einer grossen Zahl von Kunstschaffenden; hintergründiger-weise aus ähnlichem Grund: Es gibt da billige Wohnungen und Ateliers…

An einem dieser Joli mois de mai  j’ai vu pour la première fois des oeuvres d’Aurélie Jossen qui venait d’arriver à Bienne –  la ville de son grand-père, mais ayant vécu jusqu’à ce moment en Corse et à Paris. Elle montrait des oeuvres  aussi petit que ça (5 à 8 centimètres)  et j’en était ravie de la poésie de ces petits bras et jambes en papier et je le suis toujours mais je ne suis plus la seule – on a bien remarqué la qualité de ses oeuvres dans la région et ailleurs.

Sara Rohner

An einem Jolimai – wie sich der Name inzwischen verkürzt hat – habe ich, 2012 glaube ich, auch ein eindrückliches Video von Sara Rohner gesehen – Füsse, Beine, die durch die Landschaft gehen, den Himmel  vor sich und über sich und dann plötzlich auch unter sich – gespiegelt im Wasser in einem Schacht. Sara Rohners Schaffen hat verschiedene Aspekte, aber wenn sie oben die Aquarelle auf Zeitungspapier anschauen, dann ist diese Auflösung eines klaren oben und unten, die Dimension von Schwerelosigkeit durchaus auch präsent.

Wir erkennen, dass es beim Ausweiten und Wandeln der in der materiellen Realität fotografierten und im Rahmen von Zeitungsartikeln abgebildeten Szenen, um ein Aushebeln dieses Gebundenen geht, um das malenderweise Betreten einer Seins-Region, die zwar zu unserer Bildwelt gehört – da ist eine Bank, da sind Bäume, Berge, Schiffe, Dünen, Zäune und immer mindestens ein bis zwei Personen – aber in dieser Mal-Welt gibt es Freiheiten, in denen „fliegen“ die bessere Art der Fortbewegung ist als das Wandern auf festem Grund. Und die Künstlerin lässt uns in dieser Schwebe, auch wenn sie durch Paradoxien zwischen den Abbild-Kombinationen respektive zwischen den durchschimmernden Worten und den Bildebenen antönt, dass Traum-Welten nicht einfach nur „romantisch“ sind, sondern vielschichtige, „sur-reale“ Spiegel von Welt-Befindlichkeiten.

Barni Kiener

Barni Kiener thematisiert eigentlich nichts anderes als Sara Rohner, obwohl seine Werke sehr viel materieller daher kommen und darum auch die Physik nicht so leicht wegstecken können. Seine „Pierre pilotes“ konfrontieren uns sehr direkt mit Unvereinbarkeiten. Die golden glänzenden Flugobjekte werden niemals abheben, zu schwer ist ihre steinerne Fracht. Sie stehen zwar auf einer verführerisch-blauen Rampe und hangen schon in der Luft, doch bei einem Start kämen sie sogleich ins „trudeln“ und würden abstürzen. Die „Pierre pilotes“ sind „Zeichen“, die in Barni Kieners Werk schon seit langem bestehen, aber mit jeder Arbeit erproben sie neue Möglichkeiten.

In der barocken Ancienne Eglise in  Le Noirmont im Berner Jura versuchten sie kürzlich von geschwungenen, von der Empore in den Raum ragenden  Armierungseisen aus aufzubrechen,  konnten aber auch da die Schwerkraft der Erde nicht überwinden. Auf den ersten Blick scheint „limace et la fleur“ etwas ganz anderes zu thematisieren, aber der Schein trügt. Auch Pflanzen versuchen zu „fliehen“, wenn „Feinde“ sie bedrohen – fehlendes Wasser, Schatten oder….une limace, eine Schnecke. Doch die Quizfrage ist einfach zu beantworten: Die Schnecke wird die Tulpe erreichen, das Wachsen und Strecken wird vergeblich sein. Auch die anderen beiden Werke tragen Geschichten in sich – verfestigt durch die Wahl der Materialien hier, freier in der Bewegung dort.

Willi Müller

Willi Müller geht nicht so weit: Aber auch seine „Einfachen Dinge“ interagieren zwischen zwei Ebenen. Wir erkennen die „einfachen Dinge“ – hier eine Atelier-Situation mit Tisch und Büchsen, in denen möglicherweise die Farbe angerührt wird, die in Kombination mit Pinsel, Hand, Arm und vor allem Hirnströmen dazu dient, das Statische in ein dynamisches Feld zu verwandeln, in dem jedes „einfache Ding“ lebendig wird, Dramatik zeigt, Licht signalisiert und Schatten wirft, zu anderen Gefässen in Beziehung tritt, sich gar ausleert oder die Farbe zu eigenem Ausdruck macht. Ein wenig erinnert uns das Bild an die 1980er-Jahre, doch der Schein trügt, Willi Müller malt nicht schnell, sondern langsam, bereitet vor, was Bild werden soll, ist Regisseur und Maler in einem. Darum tobt es auch nicht im Bild, vielmehr verdichtet sich das Geschehen zu einer Balance, deren Expressivität gehalten ist.

Dazu gesellt Willi Müller eine grossformatige Zeichnung – etwas, das man selten bis nie gesehen hat bislang. „The Lion King“ ist sie betitelt und gehört zu einer Serie zum Buch „Daniel“ aus dem alten Testament, konkreter zur Szene von „Daniel in der Löwengrube“, einer Geschichte, in der Mensch und Tier zu einer Gemeinschaft finden. Die Zeichnung zeigt jedoch nicht einfach eine Märchenszene, sondern einen inneren Kampf – man schaue sich mal die Beine an. Also begegnen wir auch hier einem Künstler, der von einer Geschichte ausgeht, sie mit seinen Mitteln wandelt und dadurch auf eine neue Ebene stellt. Es ist dies ein klassisches Vorgehen in der Kunst und doch ist es immer neu.

Alt und neu ist eigentlich auch das Vorgehen von Philippe Hinderling – lui qui est un Romand, mais un Romand  typiquement biennois, veut dire, il parle presqu’aussi bien l’allemand que le français. Am Vorgespräch sagte ich ihm: „Tu pourrais être un argovien“. Er schaut mich fast ein wenig entsetzt an, als ich das sage. Der Hintergrund wurzelt in den 1970er-Jahren als im Aargau eine ganze Reihe von „Tüftlern“ am Werk war – allen voran Max Matter, die Zeit auch als Kunsthaus-Direktor Heiny Widmer die berühmte Kategorisierung der Aargauer Künstler als „lislige Sieche“ formulierte. Und beides trifft  auf Philippe Hinderling zu, der uns, gleichsam aus dem Hinterhalt, immer wieder mit überraschenden Wahrnehmungs- , oft auch Audio- und Wort-Spielen herausfordert und uns durch aktive Teilnahme an seinen Feldforschungen zu Statisten seiner Kunst macht.

Philippe Hinderling

So geht es also auch hier nicht nur darum, dass wir einen der transparenten„casques“ überstülpen und durch Teilung unseres Blicks in Blau und Rot  die an Motive von  Franz Gertsch erinnernden Naturfotografien als 3D-Kino erleben, sondern auch dass wir zu Figuren in diesem Lichtspiel-Theater werden, dass sich die Beeren der Wilden Rebe im einen Bild mit unseren behelmten Köpfen gewissermassen in den Raum fortpflanzen. Ich hoffe sehr, dass heute Abend fotografiert wird und so dieses Szenario festgehalten wird.

Im Kontext der Künstler-Auswahl von Sara Rohner vertritt Philippe Hinderling einerseits die schalkhafte Seite, andererseits aber auch ganz klar eine Position, die darauf verweist, dass es durch unser aktives Mitwirken möglich ist die Optik zu verändern, um neue Sichtweisen zu erleben.

Le coeur secret de l’exposition est une oeuvre d’en nous n’avons pas encore parlée. C’est  la sculpture en bois qui s’appelle „l’embarras“ d’Aurélie Jossen. Est-ce-que vous avez déjà remarqué combien de jambes il y a dans cette expo? Chez Willi Müller, chez Sara Rohner, chez nous dans l’installation interactive de  Philippe Hinderling?

Aurélie Jossen

Mon père –que était à l’origine de langue française parlait toujours de „embarras de richesse“ ce qui veut dire – si on a trop de quelque chose on ne sait plus comment on veut procéder pour avancer. Und das ist just das Thema, das die Künstlerin hier angeht. In welche Richtung sollen wir gehen, mit welchen Beinen wollen wir vorangehen –können wir eventuell mal die einen, mal die anderen nutzen? Aurélie Jossen geht nicht von einer Geschichte aus, sondern animiert uns ungemein, die immanenten Assoziationen zu einer Geschichte zu verbinden – einer realen oder einer surrealen, wie wir es wollen.

Allerdings sind da immer auch Widerhaken, die Bedrängnis („embarras“) mit beinhalten. Die Poesie, welche die Werke ausstrahlen, hat Dornen. Und doch ist da die Liebe zu den Dingen, zu den Materialien. Diese sind meist nicht einfach Mittel zum Zweck, sondern bringen immer bereits eine Geschichte mit – die Rosenranken, die Wurzeln, die Vogelfedern – und schaffen so Reichtum. Die Liebe gründet nicht zuletzt in der Kleinheit der Werke, die dadurch etwas Kostbares suggerieren. Man beachte zum Beispiel die zwei „x“-Chromosomen aus Muschelkalk im weichem, rundem, schwarzen Medaillon. Ob es sich dabei um die Geschlechts-Chromosomen handelt und damit Weibliches betont, ist nicht definiert. Das Duploide weist für mich eher auf „Mensch“, aber nicht eigentlich wissenschaftlich, sondern vielmehr sinnlich, emotional.

Das wären also die fünf, die Sara Rohner hier im Trudelhaus als ihre „Wahl“ zeigt. Dass auch sie dabei im Entscheidungsprozess mit einem „embarras de richesse“ zu kämpfen hatte, versteht sich von selbst. Aber sie hat letztlich auf sich selbst gehört und das gewählt, was ihr als Künstlerin entsprach, sich mit ihren Werken intuitiv verband und zu einem möglichen Spiegel der Region Biel wurde. Wobei – Sie kennen die Werke des Italieners Michelangelo Pistoletto – es mehrere Spiegel braucht, um etwas einzufangen. Andere KuratorInnen hätten anderes nach Baden gebracht – Arbeiten aus dem Umfeld des Punk, des Comic vielleicht.

Es ist indes dieses Persönliche, Subjektive, das die Besonderheit dieser „cartes blanches“ ausmacht – das war letztes Jahr schon so, als Georgette Maag ihre Wahl nach Baden brachte und das wird hoffentlich auch in den nächsten Jahren so sein. Dass dies alles nur mit vereinten Kräften realisierbar ist, brauche ich nicht zu betonen. Darum gebe ich das Wort an Sadhyo Niederberger, denn Dank sagen ist nicht einfach Pflicht, es ist sehr oft  ein wirkliches Anliegen.

Ich danke fürs Zuhören.