Jan Pieter Terwey (1883-1965)

Vernissagerede, 28.02.2014, NMB Neues Museum Biel

Sehr geehrte Damen und Herren

Mir fällt hier und heute die ebenso angenehme wie spannende Rolle zu, Ihnen etwas von Jan Pieter Terwey als Mensch, als Künstler, als Visionär zu erzählen. Bis vor wenigen Jahren war der Kontrast zwischen den in Antiquitätengeschäften, an Broquantes und Low Budget-Auktionen, ja sogar bei ricardo.ch häufig zu findenden Bildern  von Jan Pieter Terwey und dem Wissen um seine Lebensgeschichte wie schwarzund weiss. Hier Fülle, hier Leere und dazwischen Fragezeichen. So ein paar Geschichten gab es schon, allen voran jene, dass des Malers Kinder Arbeiten ihres Vaters auf dem Bahnhofplatz in Biel hätten verkaufen müssen und darum später nie mehr etwas von ihrem Vater hätten wissen wollen und darum kein Interesse am Nachlass gehabt hätten.

Aspektweise ist das nicht ganz falsch, aber im Licht eines Gesamtbildes, das Interessierte wie der Sammler Jean-Pierre Nemeth, die Historikerin Heidi Lüdi, die Kunstgeschichte-Studentin Fanny Wisard, die NMB-Kuratorin Bernadette Walter (und zuvor schon ihr Vorgänger Thomas Schmutz)  sowie ich selbst  im Laufe der letzten fünf/sechs Jahre zusammengetragen haben, ist die Geschichte von Jan Pieter Terwey viel komplexer, hintergründiger, spannender geworden. Ich wage sogar die Behauptung, dass wir heute Abend nicht nur die erste, gültige Retrospektive des malerischen Werkes von Jan Pieter Terwey eröffnen, sondern ein Stück Schweizer – ich sage ganz bewusst nicht „regionaler“ –ein Stück Schweizer Kunstgeschichte der Öffentlichkeit übergeben.

 Natürlich ist der regionale Aspekt für uns doppelt interessant, aber sein Werk darauf zu reduzieren, entspricht nicht der uns hier und heute erstmals so richtig bewusst werdenden Qualität seines Schaffens.

Wie konnte es geschehen, dass dieser Maler, der 40 Jahre im Seeland gelebt und mit hoher Produktivität künstlerisch gearbeitet hat, komplett durchs Maschennetz gefallen ist. Nicht einmal im Künstlerverzeichnis des Schweizerischen Instituts für Kunstgeschichte war er verzeichnet. Wohl aber im renommierten deutschen „Thieme-Becker“ – dem „Lexikon aller Künstler aller Zeiten aller Länder“ von 1958.

Und da ahnen wir jetzt bereits, dass diese Nichtpräsenz spezifisch schweizerische Züge hat. Denn in Holland, wo Terwey die ersten 30 Jahre seines Lebens verbrachte, war er nie im selben Mass ein Unbekannter; nicht zuletzt weil er seine Verbindungslinien zum holländischen Kunstbetrieb lange Zeit besser pflegte als jene zum schweizerischen. Das heisst Terwey ist nicht unschuldig daran, dass ihn die Kunstgeschichte hierzulande übersah. Er war zum Beispiel nicht Mitglied des Schweizerischen und damit auch des Bieler Kunstvereins und somit auch nie – absolut nie – an den lokal so wichtigen Weihnachtsausstellungen mit dabei, geschweige denn an den sogenannten „Turnus“-Ausstellungen respektive den „Nationalen“ – diesen in früheren Zeiten bestbesuchten Kunst-Übersichts-Ausstellungen der Schweiz. Warum war das so? –Da muss man sagen, dass der Bieler Kunstverein in den 1940er-Jahren sehr rückständig war – die zahlreichen Vorträge hoben Raffael, Rembrandt, russische Ikonen und anderes mehr aufs Podest. Terwey hingegen orientierte sich  schon in seiner Holländerzeit am französischen Divisionis-mus und später insbesondere an Van Gogh, wobei in dieser Verehrung das Mensch-liche, das Tragische von mindestens so grosser Bedeutung war wie Malerei. Auch zu wichtigen Figuren der Schweizer Kunst wie Hodler, Amiet, Buri hatte er eine Beziehung. Mit der Moderne konnte allerdings auch Terwey nichts anfangen; erst in den späteren 1940er-Jahren probt er die Verbindung von sinnlicher Wahrnehmung und mathematischer Konstruktion.

Wir können also feststellen, dass Terweys Leben in gewissem Sinn zweigeteilt war. Hier – sei es in Sutz, in Twann, in Leubringen, in Dotzigen – malte er, lebte er mit seiner Familie, das heisst seiner Frau, seiner Tochter und seinen zwei Söhnen. Was nicht zuletzt bedeutete, dass Bilder verkauft werden mussten, um der Familie ein existenzsicherndes Einkommen zu generieren. Das gelang ihm nie vollumfänglich –es blieben immer irgendwo irgendwelche Schulden. Und natürlich hat man ihm das – zum Beispiel seitens der Wohngemeinden – auch vorgeworfen. Aber dass er sich darum foutiert hätte, stimmt nicht. Schon 1924 schreibt er in einem Brief an seinen holländischen Mentor namens Bremmer, „[ich] möchte enorm viel machen, um Frau und Kindern und mir selbst den Lebensunterhalt zu sichern. Kleine Dinge für wenig Geld mag das Beste sein.“ Den letzten Satz hat er dann auch umgesetzt – so wie andere Künstler sich mit graphischen Aufträgen über Wasser halten, so schuf Terwey neben seinem Hauptwerk, wie wir es hier in der Ausstellung sehen,  eine Vielzahl von Bildern, kolorierten Drucken und Gefälligkeitssujets, von denen er wusste und erwartete, dass sie leicht verkäuflich sind. Und seine Frau, die Hanna Rosina Terwey-Rauber, und seine Kinder Gertrud, Joachim und Helmut haben dann dafür gesorgt, dass diese Werke unter die Leute kamen. Mit wichtigeren Arbeiten war er bis ins hohe Alter selbst unterwegs. Er hätte – so erzählte mir der Nidauer Antiquitäten-Fachmann Erich Bauer –ein Rücken-Gestell gehabt, auf das er die Leinwände stellte, umwickelte, festzurrte und damit sei er zu seinen „Kunden“ gegangen. Es muss also durchaus ein Netzwerk gegeben haben.

Massgebend für die  Anerkennung der Qualität und die Rezeption seiner Kunst war und blieb ihm aber das Echo aus seiner Heimat Holland. Denn da gab es ein in Jahrhunderten gewachsenes Selbstverständnis für den Künstler als wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und dieses Selbstbewusstsein stärkende Rückgrat gab er nie auf, daran hielt er sich auch in schwierigsten Zeiten, selbst wenn es ihn hier zum Aussenseiter machte. Denn in der aus einem Bauernstaat hervorgegangenen Schweiz gab und gibt es eine analoge Anerkennung der Tätigkeit des Künstlers nicht.

Anfänglich funktionierte diese Rückbindung an die Niederlande noch passabel gut. So hat zum Beispiel das heutige Kröller-Müller-Museum in Oterloo via Terweys Mentor Hendricius Petrus Bremmer viele kleinere Arbeiten auf Papier angekauft und es gab auch eine Doppel-Ausstellung im Stedelik-Museum in Amsterdam, aber – wie es so viele Kunstschaffende, die im Ausland leben, erfahren – mit der Zeit verblasste die Erinnerung und die wirtschaftliche und politische Situation in Europa in den 1930er- und 40er-Jahren machte hier eine eigentliche Zäsur. Wie der Künstler dies erlebt hat, wissen wir leider, leider nicht.

Dank dem sensationellen Fund von Originalbriefen durch die inzwischen zur Kunsthistorikerin promovierten Fanny Wisard im Kröller-Müller-Museum wissen wir  über Terweys  persönliches Geschick in der Frühzeit – das heisst den Jahren, die er hauptsächlich im Tessin und zuweilen auch in Arosa verbrachte – relativ gut Bescheid. Aber für die Zeit in der Schweiz standen wir zu Beginn unserer Forschungen – und eigentlich auch heute noch – vor einem weissen Blatt. Die Nichtintegration des Künstlers in den Schweizer Kunstbetrieb – einmal abgesehen von vereinzelten Ausstellungen und ganz, ganz wenigen Zeitungsberichten – hatte zur Folge, dass er nach seinem Tod im Jahr 1965 sehr schnell in absolute Vergessenheit geriet. Bezeichnend ist, dass schon der Nachruf, der auf einer Lokalseite des Bieler Tagblatts erschien, ganz offensichtlich von einem Freund von irgendwo geschrieben wurde, denn er ist zum einen eine Lobhudelei, zum andern ist er gespickt mit Fehlern. Der Nachlass blieb bei seiner Witwe, die in den darauffolgenden Jahren zusammen mit ihrer Tochter Gertrud sicherlich weitere Werke verkauft hat. Doch als sie – notabene 18 Jahre nach ihm, das heisst, 1983 – verstarb, da war die Lebens- und Schaffenszeit Jan Pieter Terweys noch tiefer in den Untergrund gerückt. Tempi passati. Es gab auch keine Möglichkeit, sich ein Bild vom Schaffen Terweys in seinen wichtigsten Jahren zu verschaffen. Abgesehen von Biel, das einige wenige Werke besass, gab es keine öffentliche Institution, die sich je mit Terwey befasst hätte; auch im Fundus des Bieler Kunstvereins, nichts als nichts. Den Bildern selbst – juheirassa –denen ging es nicht schlecht – die hingen nämlich in Hunderten von „guten Stuben“ in Biel, im Seeland – zum Teil auch schon bei Nachkommen in Zürich und vielen Orten mehr, gar den USA und waren und sind da geschätzte Begleiter des täglichen Wohnens; es gibt keine Anzeichen, dass viele Bilder verloren gegangen wären, umsomehr sich ja in den letzten Jahrzehnten eine Art Sekundärmarkt für die Bilder entwickelte.

Aber 1983 kam es wie es kommen musste. Die Gemeinde Dotzigen erbt den Nachlass, da die Nachkommen, die sich endlich verselbständigt hatten, nicht mehr Verantwortung für das Werk ihres scheinbar erfolglosen Vaters übernehmen wollten. Weil der mit dem Erbe Betraute kein Kunstfachmann war und aufgrund der Fakten (inklusive aufgelaufene Schulden) auch nicht weiter kam in seinem Denken als es damals verbreitet war, landet alles, was nicht als „Bild“ erkennbar war, im Abfall; Dokumente, Briefe, Fotos – alle Fotos! – vielleicht auch Rezensionen von Ausstellungen und mehr. Es musste alles schnell gehen damals, denn die Wohnung von Hanna Rosina Terwey kostete und Geld war keines da. Also raus damit und weg! Was Bilder sind, kommt in einen Schuppen und wird bald darauf Teil des Angebotes eines Flohmarktes. Hätte da nicht letztlich jemand interveniert und die Gemeinde aufgerufen, doch wirklich anders mit diesem Erbe umzugehen, wäre wohl der Rest auch in der Müra gelandet.

So blieb ein Strohhalm, der rund 10 Jahre später zu einer lokalen Ausstellung in Dotzigen, mit Werken aus dem Nachlass und Leihgaben aus „guten Stuben“ bestückt, führt. Andreas Meier, Direktor des inzwischen gegründeten Kunsthaus Pasquart, hielt die Ansprache, machte aber zugleich klar: Was da geschieht, wird der Qualität des Werkes von Jan Pieter Terwey nicht gerecht. Der erste Nagel mit Kopf.

Die Gemeinde entschliesst sich daraufhin, den verbliebenen Rest ihres Erbes en bloc zu verkaufen. So entsteht die Basis für die grösste und für die Forschung wichtigste Terwey-Sammlung, jene von Jean-Pierre Nemeth. Wichtig, weil es hier auch unscheinbare Skizzen bis in die Studienzeit zurück gibt.

Man muss wissen, dass ab Mitte der 1980er-Jahre als die bildende Kunst in Europa boomte, eine Vielzahl neuer Sammlungen entsteht, je nach Portemonnaie und persönlicher Ausrichtung auf verschiedenen Ebenen. Kauf und Lauf von Bildern nehmen enorm zu. Auch die Zahl von Ausstellungen. Und so entstehen auch im Raum Biel-Seeland plötzlich da und dort kleinere und grössere Terwey-Sammlungen und Bilder tauchen in regionalen Ausstellungen auf und mit ihnen auch Erinnerungen an den Maler, der einst da lebte und arbeitete.

So kam es 2009 zu einer ersten Präsentation von Jan Pieter Terwey im Rebmuseum in Ligerz, wo die Historikerin Heidi Lüdi dann wann Ausstellungen mit allgemein- kulturellem, lokalem Hintergrund veranstaltet. Dass Terwey einmal in Ligerz gewohnt habe, stimmte letztendlich nicht ganz – aber er wohnte, das wissen wir erst seit letztem Sommer – von 1925 bis 1933 in Twann und wanderte oft mit Skizzenbuch und Bleistift Richtung Ligerz und hielt die Erscheinungen der Landschaft für sich fest, um sie anschliessend zu malen.

Die Ausstellung, welche sich ganz auf die Sammlung Nemeth stützen konnte, war der Anfang der viel umfassenderen, nun auf wissenschaftliche kunsthistorische Basis gestellten Ausstellung hier und heute.

Mich faszinierte damals in Ligerz insbesondere dieses Verschwinden und wieder Auftauchen, auch die zahlreichen Rätsel rund um das Leben dieses Künstlers. Die Redaktion des „Seebutz“ machte sich dies zu Nutzen und überzeugte mich davon, einen ersten grösseren Text zu schreiben. Das tat ich und wandte mich gleichzeitig an Thomas Schmutz, den Vorgänger von Bernadette Walter, und zugleich Dozent an der Universität Neuenburg. Ob es nicht vielleicht unter den Studierenden jemand gäbe, der dieses „weisse Blatt“ Jan Pieter Terwey beschreiben möchte, war meine Frage. Das war nicht so einfach – die meisten Kunst Studierenden wollen sich mit Gegenwartskunst befassen und nicht mit Geschichte.

Doch schliesslich wurde alles zum Glücksfall. Fanny Wisard hat in ihrem Exposé Wesentliches zusammengetragen – Sie finden einen Zusammenzug ihrer Arbeit im Katalog – und Thomas Schmutz seinerseits hat seiner Nachfolgerin bei seinem Wechsel nach Aarau  das Projekt „Terwey“ ans Herz gelegt und auch mich beim Wort genommen, dass ich mich im Vorfeld einer Ausstellung nochmals an die Arbeit machen würde.

Und das Resultat ist wirklich beglückend –weil alle am selben Strick zogen und Jan Pieter Terwey so zu seinem verdienten Platz in der Seeländer Malerei-Geschichte und in einer erweiterten Schweizer Kunstgeschichte findet.

Merci d’avoir suivi mes mots. Je donne à la musique….