Marie Theres Amici – Stipendiatin der Amici di Sciaredo 2019
Die Luzerner/ Solothurner Künstlerin Marie -Theres Amici weilt im Herbst 2019 als dritte Stpendiatin des Vereins Amici di Sciaredo in der einstigen Casa der Künstlerin Georgette Klein (1893-1963)
Die Künstlerin reist ohne Auto an. Da der öffentliche Verkehr im Tessin nicht bis nach Barbengo Nucleus, dem äussersten Ausläufer der Collina d’Oro ob Lugano reicht, bedeutet das, dass der Aktionsradius der Künstlerin beschränkt ist. Das ist nicht unwichtig für die künstlerische Arbeit. Im Fall von Marie Theres Amici sogar besonders.
Im langjährigen Schaffen der 1943 geborenen Malerin und Zeichnerin stehen abstrahierte „Gespräche“ mit der Landschaft im Mittelpunkt. Sei es als expressive „Pinselwanderung“ durch die Farbräume der Schweizer Voralpen, als Auseinandersetzung mit fallendem Wasser, sei es als eine Überlagerung von Zeiträumen im Gespräch mit einzelnen Bergmassiven.
Und nun ist die Künstlerin in der Casa Sciaredo, umgeben von einem Kranz von Bäumen, der nur nach Süden, d.h. Richtung Italien, etwas geöffnet ist. Was sollte sie mit dieser ungewohnten Nähe machen?
Kleine Formate
„Am Anfang war es schon ein wenig ein Leiden“, sagt Amici. Sie ist nicht die einzige der seit bald 30 Jahren nach Sciaredo kommenden KünstlerInnen, die das ähnlich erlebten und schliesslich zu Neuem, Ungewohntem, vielleicht sogar Unerwartetem gelangten.
Marie-Theres Amici hat eine Anzahl kleinformatiger Leinwände, aber auch mehrere Zeichenblocks in verschiedenen Formaten, Pinsel, Bleistifte, ihre Glasfeder und natürlich ihre Rembrandt Ölfarben, Tusche und… Aquarellfarben, ein ihr bisher weitgehend ungewohntes Malmittel, mitgebracht.
Die im Tessin entstandenen Ölbilder überraschen zunächst einmal durch ihr Format. Blättert man in den Katalogen, die es zum Werk der Künstlerin gibt, so findet man nirgends eine Serie von ähnlich kleinen, annähernd quadratischen Bildern. Das beschränkte Reisegepäck hat eine Herausforderung ausgelöst. Die zehn kleinen Leinwände tragen die „Handschrift“ Amicis, sind aber hier und dort eine Umdrehung gegenständlicher; Bäume, Äste, ein Pflanzendickicht, Horizontlinien, Nebelschwaden sind jetzt erkennbar. Die Hauptfarben sind mannigfache grün, helle und dunkle grau, braun, weiss, ein wenig gelb und rot. „Ich liebe dieses Payne Grey“, lacht Amici und zeigt uns die Tube, aus der sie die Farbe auf die Palette drückt.
Der Blick nach Süd-Osten
Die Nähe der Natur fordert Nähe im Malprozess. Doch, halt, in der Casa Sciaredo kann man dem bei schönem Wetter leicht ausweichen. Denn da gibt es eine wunderbare, fast die gesamte Grund-Fläche des Hauses von 8 x 10 Metern messende Dachterrasse, die einem auf dieselbe Höhe wie die Baumwipfel versetzt und den Blick auf die gegenüberliegenden, typisch abgerundeten Tessiner Berge Richtung Süd-Osten öffnet.
„Nirgendwo spürt man die Kraft dieses wunderbaren Ortes so sehr wie hier“, sagt die Künstlerin und muss gar nicht erst betonen, dass sie ihr temporäres „Atelier“ oft hier oben einrichtete. Man sieht es im übrigen auch auf den Bildern, den Ölbildern ebenso wie den Aquarellen. Und zwar häufig in einer Art Aufwärtsbewegung, gleichsam aus dem Garten hinauf zu den Bergen, zum Himmel, vielleicht sogar zum Universum, das auf dieser Dachterrasse – auf der auch Georgette Klein viel Zeit verbrachte, wie sie in ihren Tagebüchern schreibt – so nahe, so geradezu greifbar wirkt.
Deutlicher als in den Ölbildern ist dieses Aufsteigen von unten nach oben in den Aquarellen sichtbar. „Eigentlich sind es gar keine richtigen Aquarelle, sagt Amici, ich male sie fast wie Gouachen“, das heisst deckender und nicht tröpfchenleicht übers Papier gleitend. Entsprechend sind es eher fleckenförmige Flächen als fliessende Verläufe, welche sich in mehreren Arbeits- und Trockenzeiten überlagern und weich verschränkend zum Bild fügen. Auch die Farbintensität ist entsprechend kräftiger als bei klassischen Aquarellen.
Landschafts-Ausschnitte
Es sind aber nicht „all over“ – Darstellungen von Bildrand zu Bildrand, sondern eher etwas aus einem grösseren Ganzen herangeholte und frei aufs Blatt gesetzte Detailansichten. Es ist ein konzentriertes Wahrnehmen einer kleinen Partie der Landschaft, ein Atemzug gleichsam, der etwas offenbart, zeigt, das bei einem Nachlassen der Aufmerksamkeit wieder verschwindet. Es wundert nicht, dass die Künstlerin sagt: „Man muss sehr langsam und konzentriert arbeiten“. Ob die Aquarell-Technik, die sie bisher kaum je anwendete, auch nach ihrer Rückkehr nach Luzern in ihrem Schaffen auftauchen wird?
Für die dritte der in Sciaredo eingesetzten Techniken nutzte sie die Glasfeder, welche ihr Bruder* ihr schenkte und den sie in einem samtenen Etui aufbewahrt. „Sie hält viel Tusche und man kann lange ohne absetzen damit zeichnen oder schraffieren“, schwärmt sie. Trotzdem hat man nicht den Eindruck, dass die Tusch-Zeichnungen in der Sciaredo-„Ernte“ obenaus schwingen werden.
Himmelwärts
Landschafts-Raum, offene Weite hat die Künstlerin im übrigen nicht nur auf dem Dach der Casa, sondern auch bei den in rund 15 Gehminuten erreichbaren, sogenannten „Vogeltürmen“ gefunden, da wo sich der Blick nach Ponte Tresa, nach Italien öffnet. Mehrmals sei sie auch zu der Sciaredo nordwestseitig gegenüberliegenden Anhöhe hinter dem Friedhof hinaufgestiegen, um Raum zu spüren und bildhaft einzufangen.
Vielleicht könnte man sagen: So wie Georgette Klein ihren Geliebten und späteren Ehmann, Luigi Tentori, 1932 drängte ihr ein Haus zuoberst auf dem Sciaredo-Hügel zu bauen um das „Universum“ zu spüren, so drängte es auch Marie-Theres Amici dieses „himmelwärts“ wahrzunehmen und einzubringen in ihre Malerei.
Annelise Zwez Oktober 2019
* Der im Raum Frankfurt lebende Maler Peter Amici (*1941) verbrachte einige Tage bei seiner Schwester in Sciaredo und arbeitete an eigenen naturnahen, oft zeichenhaften Arbeiten auf Papier.