Ansprache für die Eröffnung der Ausstellung Peter Hauri (1940-2017) im Kantonsspital Aarau
- Oktober 2019 (unter dem Stichwort Hauri weitere Texte auf der Website!)
Annelise Zwez
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen von Peter Hauri, liebe Sadhyo, liebe Eva
Vor wenigen Wochen fand ich in einer Zeitung einen Text mit der Überschrift: Künstler, geht aufs Land – da gibt es noch Potenzial. Im Fokus war die Ballung an Kulturveranstaltungen in der Stadt und die Aufmerksamkeit, die Anlässe auf dem Land (eventuell) finden.
Ich lachte und dachte, das hatten wir doch schon einmal, wenn auch vor einem anderen Hintergrund. Es war in den frühen 1970er-Jahren als der Blick auf die Natur sich veränderte, man erstmals ihre Gefährdung realisierte. Gleichzeitig riefen die Nach-68er-Jahre zu vermehrter Sensibilisierung gegenüber der eigenen, spirituellen Natur. Das führte zu einem regelrechten Exodus aufs Land. „Neuer Regionalismus“ nannte man das später.
Einer der sensibel auf die neue Atmosphäre reagierte, war Peter Hauri, Werklehrer von Beruf und damals Chef-Bühnenbildner am Neumarkt-Theater in Zürich. 1973 zog der 33jährige gebürtige Seenger ins Seetal. Er war nicht der Einzige – auch Mitglieder der einstigen Aarauer „Gruppe Ziegelrain“ waren schon da und andere mehr.
Die bildende Kunst, die Malerei, wurde für Peter Hauri Lebensinhalt, verbunden mit einer intensiven Auseinandersetzung mit fernöstlichem Gedankengut wie es in dieser Zeit fast alle geradezu magisch anzog. Freiheit von Denken und Handeln in einem selbstbestimmten Leben war die Losung.
1978 lädt ihn Elisabeth Staffelbach, die seit Herbst 1976 zusammen mit Madeleine Thomann die Galerie „Brättligäu“ am Kronenplatz in Lenzburg führte, zu seiner ersten Einzelausstellung in der Region ein. Möglicherweise auf Empfehlung von Hugo Suter, der die einführenden Worte sprach. Die Thematik der Mischtechniken auf Papier war noch sehr breit, doch einem der Texte, die ich damals für die Aargauer Zeitungen schrieb, gab ich den Titel „Dem vom Zahn der Zeit Bedrängten“, eine Ūberschrift, die durchaus auch auf die Ausstellung, die ich hier und heute eröffnen darf, zutrifft. Hievon auf ein 40jähriges, kohärentes Werk zu schliessen, wäre freilich falsch.
Wirklichkeit und Illusion
Dennoch ist da etwas, auf das ich beim Nachdenken über Peter Hauri immer wieder stosse, nämlich den Wunsch des Künstlers etwas durch Malerei aufzuwerten, selbst dem Unscheinbarsten , Verwahrlosesten, Abgebröckeltsten Respekt, Würde, gar Schönheit – vielleicht auch Liebe – zurück zu geben. Peter Hauri hat das nicht aus einer Position der Stärke heraus gemacht, er war selbst immer auch ein Teil der Bedrängnis. Vieles, von dem er einst träumte, hatte sich in Schall und Rauch aufgelöst. Und doch ging es immer wieder darum, es im Transformationsprozess der Malerei zumindest sichtbar werden zu lassen. Das macht seine Bilder so unmittelbar, bringt sie uns so nahe, schliesst aber eben auch die Illusion mit ein. Das heisst, gleichzeitig wie wir die Poesie, die Luft- und Leichtigkeit sehen und uns darüber freuen, wissen wir um die Ausgangssituation respektive den schönen Schein, der in einem zugleich ist und nicht ist.
Stets – und das zieht sich als weiterer roter Faden durch das Werk – ist die Ausgangssituation eine Fotografie – in den allermeisten Fällen eine auf Reisen oder auch in allernächsten Nähe selbst gemachte Aufnahme. Peter Hauri war selten ohne seine Kleinbildkamera unterwegs, für den Fall dass…. wer weiss… er plötzlich einem „Bild“ – Bild in Anführungszeichen – begegnen würde. Die Ausgangs-Fotografie kann aber auch eine wo auch immer gedruckte, dann oft figürliche Vorlage sein. Beide Varianten haben gemeinsam, dass sie von der uns sichtbaren Wirklichkeit, von deren materiellen Körperlichkeit ausgehen, keine Kopfgeburten sind. Selbst ungegenständ-lich scheinende Bilder haben – mehr oder minder versteckt – diese Basis. Eines der nachhaltigsten Beispiele hiefür ist das grösste, je von Peter Hauri ausgeführte Kunst am Bau-Projekt für die Schulanlage Rütihof in Zürich als er 1995/96 auf fünf je 7 x 3 Meter grossen Tafeln verwitterte Grabsteine soweit vergrösserte bis sie nur noch als subtile, farblich jedoch intensivierte, Spuren von ihrer erlebten Zeit erzählten.
Viele Werke in der Ausstellung hier zeigen ähnliche Prozesse, weniger von Grabplatten ausgehend, sondern vielleicht von einem SBB-Waggon, einer Hintertüre, einer Mauerecke, einem Gehweg, einem Raum-Durchblick, einer Täferung mit verblassten Deko-Elementen. Es sind Werke, die – sauve erreur – aus den letzten 20 Jahren von Hauris Schaffen stammen. Einer Zeit somit, in welcher er nur selten ausstellte, die darum für viele von uns neu sind.
Die Explosion
Bevor ich noch etwas detaillierter darauf eingehe, will ich noch auf die im Vergleich zum bisher ausgeführten Ausnahmen eingehen, denn in dieser Ausstellung gibt es auch drei – vielleicht würde ich besser sagen zwei und ein – grossformatige Leinwandbilder, die sich farblich, stilistisch und bezüglich Materialität deutlich von den Arbeiten auf Papier unterscheiden.
Es war 1987 als ich ihnen erstmals begegnete, in der Galerie del Mese in Meisterschwanden und ich war höchst erstaunt. Peter Hauris Bilder waren „explodiert“! Etwas in ihm schien sich aufzubäumen. Im Gespräch merkte ich indes schnell, es war nicht die grosse Heiterkeit ausgebrochen, die Bilder waren eher ein existenzielles auflehnen gegen die immer wieder aufkommenden Depressionen. Aber die Bilder waren da! In Rot, Gelb, Blau, Grün, Weiss und Schwarz fächerte er Naturimpressionen auf, liess Bäume von oben nach unten von unten nach oben wachsen.
Es war in den 1980er-Jahren – dem Jahrzehnt der „Wilden“ – klar, dass auch das mitspielte bei diesem letztlich als feuriges „Intermezzo“ in seinem Gesamtwerk da stehenden Bilder. Das in etwas dünnerer Farbe gemalte dritte Leinwandbild – ein grosses Hochformat – ist vielleicht sogar das einzige, das ohne vorausgehende Fotografie entstand. Gestik und Emotion in Farbe pure! Hier in der Ausstellung verweisen die drei Bilder darauf, dass die sehr verhalten gewählten, jedem einzelnen Bild viel Raum gewährenden Spätwerke, die wir hier sehen, einen Ausschnitt, nicht das Gesamtwerk Hauris zeigen, dass es da – wie könnte es anders sein bei einem über vier Jahrzehnte geschaffenen Werk – viele Facetten gibt.
Doch zurück zu den Werken hier und heute. Einigen wenigen und anderen, ähnlichen bin ich zuletzt 2013 im Müllerhaus in Lenzburg begegnet. Es war wohl die letzte grössere Ausstellung Peter Hauris zu Lebzeiten, kuratiert von seinem Freund, dem Zürcher Bildhauer Piero Maspoli respektive dem Vater von Eva Maspoli. Wenn ich meinen eigenen Worten von damals glaube, sind es nicht reine Aquarelle, sondern eine Mischung aus Aquarell und Gouachefarben, in jedem Fall ist es erstaunlich wie sehr die Malerei und ihr Trägermedium – das Papier – gleichsam eins sind. Man vergesse nie: Peter Hauri war ein Meister seines Fachs! Und die Malerei an sich interessierte ihn stets ebenso wie das Motiv! Es sind wir Kritikerinnen, die davon zu wenig verstehen und darum immer von Inhalten sprechen!
Diese dürfen wir hier nicht unterschätzen, denn Peter Hauri malte sie mehrheitlich in einer Zeit, in welcher er oft sagte, er male sie nicht mehr für die Öffentlichkeit, sondern für sich. Ich kenne diesen Satz von vielen, die – erdrückt vom lauten Räderwerk des Kunstmarktes, in welchem die stillen Schaffer keine Chance haben – eine Art innere Emigration gewählt haben. Das gilt auch hier.
Der Rückzug
Aber da sind noch zwei ganz wichtige weitere Punkte. Der eine ist, dass der selbstgewählte Tod seiner Lebenspartnerin, der vor allem durch Gedichte bekannten Marianne Zwahlen (später Marianne Hauri-Zwahlen) ihn in seinem Innersten gleichsam gebrochen hat. Die Beziehung war aufgrund der psychischen Fragilität Mariannes immer eine äusserst schwierige, aber Peter Hauri wollte seine Partnerin im Leben halten und als ihm dies letztlich nicht gelungen war, plagten ihn – zu Unrecht notabene – Schuldgefühle, die eine weiterführende Karriere als Maler im extravertierten Netzwerk des Kunstbetriebs mehr und mehr verunmöglichte. Und dann war da last but not least die angeschlagene Gesundheit, die ihm das Atmen oft erschwerte.
Die Reduktion von Formen und Farben, die wir in vielen der ausgestellten Werke sehen, dürfen wir darum auch als inhaltlichen Ausdruck gewollter, gesuchter Vereinfachung und Stille verstehen; mit wenigen Lichtblicken in Farben. Es sind nicht mehr die „impressionistischen“ mit Wasserfarben gemalten Wasser-Farben des Hallwilersees, die er, noch vor der Ausstellung von 1987 in Meisterschwanden, in der einzigen Ausstellung zusammen mit Marianne in der Stadtbibliothek in Lenzburg zeigte. Die vielfach erstaunlich grossformatigen – Peter war früher einmal Bühnenmaler! – die grossformatigen Bilder sind aber auch in ihrer Verhaltenheit, in ihrer Transformation von fotografisch festgehaltenen Architektur-, Raum- und Gegenstands-Fragmenten in eine andere, von Zuneigung geprägte, neue malerische Erscheinungsform, fester Bestandteil der künstlerischen Vision von Peter Hauri.
Ich hoffe, Du bist zufrieden mit mir, Peter!
Ihnen danke ich fürs Zuhören!