Gespräch mit Berndt Höppner (HGKZ) und Daniel Hauser (F+F)
Kann man Kunst lernen?
www.annelisezwez. ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 23. Juli 2003
Der Zufall will es, dass die Ausbildung von Schweizer Kunstschaffenden in Zürich nicht unwesentlich in Bieler Händen liegt. Der Künstler Berndt Höppner (Alfermée) war ab 1985 massgeblich mitbeteiligt am Aufbau des ersten Studiengangs für freie Kunst an der Schule für Gestaltung in Zürich (heute: HGKZ, Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürich), leitete diesen lange Jahre und unterrichtet heute noch daselbst. Daniel Hauser von „Relax“ (Biel/Zürich) ist seit Herbst 2000 Mitglied der Leitung der F+F, Schule für Kunst und Mediendesign in Zürich und steht dem Fachbereich Kunst vor, welchen er entscheidend reformierte.
Vielerorten in der Schweiz fanden in den letzten Wochen die Abschlusspräsentationen der Studiengänge freie Kunst statt. Auch an der HGKZ und der F+F in Zürich. Wie viele dieser diplomierten Künstlerinnen und Künstler werden tatsächlich als Kunstschaffende in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten?
Bernd Höppner: Das kann man nicht voraussagen. Es war ein mittelmässiger Jahrgang. Ich kann keine Gewähr geben, dass das mehr als 5 Leute sein werden. Doch auf mehrere Jahre betrachtet, staune ich immer wieder, wie viele es verstehen, sich dann doch bemerkbar zu machen. Manchmal geht es so weit, dass behauptet wird, wir hätten ein ausgeklügeltes System unsere Leute zu pushen. Was in keiner Art und Weise stimmt.
Daniel Hauser: Ich denke auch, dass das nicht abschätzbar ist. Konkret wird man das erst in 5 bis 10 Jahren sehen. Doch es besteht an der F+F schon die Idee, die Absolventen, welche die Öffentlichkeit suchen, zu unterstützen. Wir versuchen ihnen bereits im Unterricht zu vermitteln, was der Kunstbetrieb ist und wie man sich da einmischt.
Und wo landen all jene, die sich nicht als Kunstschaffende zu etablieren vermögen oder gar keine Lust dazu haben?
D.H: Für viele ist die Kunst nicht Erstausbildung. Sie suchen Veränderung, Know-How, Horizont-Erweiterung und machen dann da weiter, woher sie kamen, zum Beispiel in TV-Studios, als Cutterinnen, Designer, Grafiker usw.
B.H: Eine, allerdings schon etwas ältere, Umfrage ergab, dass 70-80 % kreativ tätig sind, aber nicht unbedingt in Abhängigkeit vom Kunstmarkt. Darüber staunen wir selbst. Viele begreifen die Kunst als etwas parallel Laufendes. Man darf nicht vergessen, dass die meisten während des Studiums zwei bis drei Tage jobben, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Dass die Eltern die (Zweit)-Ausbildung vollumfänglich bezahlen, ist selten und Stipendien gibt es nicht in jedem Fall. So fallen die Absolventen nach Abschluss des Studiums nicht einfach in ein Loch.
D.H.: Die ökonomische Realität ist auch bei uns ein wichtiges Thema. Die F+F ist eine Privatschule und kostet im Jahr 12’000 Franken. Wenn keine anderen Finanzquellen da sind, muss das erwirtschaftet werden, parallel zum Unterricht. Wir stellen fest, dass dabei versucht wird, die Erweiterung durch das Studium gezielt einzusetzen.
In der Kunstgeschichte hat es immer wieder berühmte Autodidakten gegeben. Kann man Kunst überhaupt lernen?
B.H.: Ja, kann man. Früher hätte ich mit einer solchen Aussage gezögert. Man kann es nicht garantieren, aber in einem bewusst offenen Studium, wie wir es betreiben, lernt der Einzelne kontinuierlich, wie er sich und seine Ideen selbst weiter entwickeln kann, sofern er Persönlichkeit genug ist. Eigentlich ist unsere Ausbildung eine autodiaktische. Jeder muss merken, dass er nur selber kann. Geschichtlich gesehen gab es in der Deutsch-Schweiz vielleicht mehr Autodidakten, weil die Tradition der Akademien fehlte. Aber das hat sich mit den heutigen Möglichkeiten verschoben, das Feld ist so dicht, dass sicher 98 % aller Kunstschaffenden eine entsprechende Basis-Ausbildung haben.
D.H.: Autodidakt oder nicht, das kann man nicht eigentlich auseinander halten. Die Ur-F+F entstand aus Opposition gegen die Enge der Schule für Gestaltung, als Ort der Freiheit, des Dialogs, der persönlichen Entwicklung. Heute sprechen wir vom Prinzip der Selbstverantwortlichkeit. In der Regel merken die Studierenden sehr schnell, was lernbar ist und was nicht. Ich stelle fest, dass viele in die Schule eintreten, weil sie allein nicht weiterkommen, ein Gegenüber suchen, den Diskurs, die Auseinandersetzung, dass sie Kunst als Ausdruck von Dialog verstehen.
B.H.: Das ist ein interessanter Aspekt. Ich stelle seit 4 bis 5 Jahren fest, dass das Alter der sich um einen Studienplatz Bewerbenden immer höher wird. War es früher so 20 bis 25, ist es jetzt auch 30 bis 50. Die wollen in ein professionelles Umfeld, die wollen mehr Theorie, mehr Einblick ins Kunstsystem. Die Jungen haben indes in der Beurteilung Vorrang.
D.H.: Und zudem sind es in überwiegender Zahl Frauen.
Und was ist mit dem Traum, nach der Schule ein berühmter Künstler, eine berühmte Künstlerin zu werden?
B.H. Von den 60 Studierenden hier, kenne ich nur einen. Der träumt nicht nur davon, der rechnet damit und wird das darum auch schaffen. Die andern sprechen kaum von Träumen. Man muss wissen, dass vielleicht die Hälfte, wenn sie ins Studium eintritt, noch gar nicht weiss, was Kunst eigentlich ist, schon gar nicht, dass sie mehr nicht weniger Arbeit bedeutet als irgendein Job. Für viele ist das Studium ein Freiraum, um sich zu finden.
D.H.: In der F+F gab es mal ein Trio, die schon als Teenes beschlossen mit 20 im Museum zu sein. Und die haben das (noch vor der Schule!) geschafft. Es gilt zu bedenken, dass das Wort „berühmt“ eigentlich mehr zur Pop-Szene gehört als zur visuellen Kunst. Vielleicht ist das ein Grund, dass sich heute alles kreuzt, dass Kunstschaffende als DJs, als Sängerinnen, als Musiker und Kuratorinnen etc. auftreten.
B .H.: Es ist unglaublich wie sich Kunst und Öffentlichkeit heute vernetzt. Und wie strategisch gewisse Junge vorgehen. Das war vor 20 Jahren kein Thema. Auch bei uns gibt es Quereinsteiger, die von uns wollen, was wir zu bieten haben, und dann weiter an eine andere Schule hüpfen, sich schliesslich ein Diplom ergattern und dann losziehen, um mit Kunst Fun zu haben, das gibt es natürlich auch. Aber selten.
D.H.: Klar, da gibt es auch bei uns den „Metastar“, der als Landschaftsgärtner eintrat und heute als Künstler/Kunstvermittler einen Club leitet. Er ist gut vernetzt und zugleich selber ein wichtiger lokaler Knotenpunkt. Das Erfrischende daran: das Pathetische des „berühmten Künstlers“ gibt es nicht mehr. Die meisten betrachten ihr Tun sehr realistisch.
Durch das Fachhochschulgesetz wurden die Aufnahmebedingungen an die HGKs verschärft. Eine Matura ist Vorbedingung. Ist das ein Hindernis für die HGKs und eine Chance für die private F+F?
D.H.: Es ist schon so, wir haben eine andere Klientel als die HGKZ. Das Spektrum der bei uns in Ausbildung stehenden ist sehr breit. Einige kommen mit Matura, andere sind Quereinsteiger. Sie sind jung oder auch schon älter. Wir sind eine eidgenössisch anerkannte Höhere Fachschule, das heisst, die Studenten und Studentinnen sind grundsätzlich stipendienberechtigt. Wir sind eine kleine Schule mit zur Zeit 207 Studierenden (davon 50 im Fachbereich Kunst), verfügen aber über das notwendige High-Tech-Equipment für die Neuen Medien und haben auch den Theoriebereich massiv ausgebaut. Die Zahl der Anmeldungen hat abgenommen, aber nicht aus wirtschaftlichen oder gesetzlichen Gründen, sondern weil wir seit der Reorganisation deutlich strenger selektionieren, um der Schule mehr Profil zu geben. Im August werden 15 neue Studenten und Studentinnen die vierjährige Kunst-Ausbildung beginnen.
B.H.: Das sind gleich viele wie bei uns. Es ist tatsächlich so, dass es in den letzten Jahren kaum mehr Übertritte von der F+F an die HGKZ gab. Was das „Hindernis“ Matura anbetrifft, so gilt das für die Gesamtschule sehr wohl, der Studienbereich Kunst wehrt sich allerdings vehement dafür, dass die Aufnahme „sur Dossier“ weiterhin möglich ist.