„Fallada“ Steiner_Cesta Rapperswil BE_ Juli 2003

Wenn Worte und Bedeutungen einander nicht verstehen

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom  12. Juli 2003

Nehmen wir an, Sie sind unterwegs. Da werden Sie aufgehalten von einem Fernseh-Reporter. Der frägt Sie: Finden Sie es Kunst, wenn ein totes Ross von einem Helikopter auf einen Traktor fällt? Die Antwort dürfte klar sein: Nein, natürlich nicht. Doch so verkürzt wird in vielen, zum Teil aufgebrachten Diskussionen über das Kunstprojekt „Fallada“, das Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta (Biel) für „Rapp – Kunst im ruralen Raum“ in Rapperswil (BE) entwickelt haben, diskutiert. Alle Fährten, welche das Künstlerpaar ausgelegt haben, um den symbolischen Charakter ihres Projektes aufzuzeigen, werden ignoriert.

Zum Beispiel der Titel: „Fallada“. Er verweist von Anfang an auf die Ebene des Märchens und durch die gewählte Geschichte der Gebrüder Grimm auf einen sprechenden Pferdekopf, dank dem Wahrheit ans Licht kommt. Märchen nutzen oft schauerliche Geschichten, damit emotionale Wirkung entsteht. Steiner/Meyer Cesta haben das Märchen gut genutzt. Nur merkt es (fast) niemand. Dann: Das Plakat, das auf die Aktion mit Dauer vom 22. Juni bis zum 17. August aufmerksam macht, entspricht – und das sieht man auf den ersten Blick – einer Schaubuden- oder Zirkusankündigung. Würde die Vorstellung einer „Dame ohne Unterleib“ angekündigt, man würde schmunzeln, wissend, dass hier etwas nicht Reales angepriesen wird. Aber bei „Kunst“ machen diese Folgerung offenbar nur wenige. Und drittens: Das Projekt wird in der vor Ort und im Internet jederzeit greifbaren Broschüre als Legenden-Skulptur bezeichnet. Eine Legende, vor allem so wie sie sich heute im Internet durch die digitalen Räume hangelt, ist nicht viel mehr als ein Gerücht, das man jederzeit neuen Situationen anpassen, bei Bedarf dramatisieren, ausschmücken und verändern kann. Und das tut das Künstlerpaar indem es Ross und Traktor zusammenführt, die sich im ruralen Raum in den letzten 50 Jahren einen dramatischen Verdrängungskampf lieferten. Solche Finessen haben indes ganz offensichtlich keine Chance, wenn sich die Emotion auf „Pferd von Helikopter auf Traktor“ eingeschossen hat.

Was sich daraus ablesen lässt, ist mehrschichtig. Zum einen spiegelt sich darin ganz allgemein die Macht der Verkürzung, wie sie in Wahl- und Abstimmungskämpfen gang und gäbe ist und es schwierig macht, Differenzierungen fassbar zu machen. Zum anderen, mehr spezifisch, zeigt sich darin ein verbreitetes Unverständnis und Misstrauen gegenüber zeitgenössischem Kunstschaffen, gegenüber der Bedeutung von Denk-Bildern, gegenüber der Wichtigkeit von Kultur, durch Denkanstösse Verborgenes aufzudecken. Bewegt sich die Kunst in ihren geschützten Räumen, gibt es selten Probleme – die Szene versteht sich. So quittierten die Veranstalter von „Rapp – Kunst im ruralen Raum“ den Vorschlag des Künstlerpaars mit Lachen, Schmunzeln und Vorfreude und verschwendete keinen Gedanken an „Fleisch und Blut“. Zu vertraut war ihnen die Konzept-Kunst mit ihren geistigen Turnübungen. Gleichzeitig verliessen sie sich automatisch auf die Gesetzes-Strukturen, die dem Projekt auf legaler Ebene – und diese war von Anfang an definiert – nie die Chance einer Umsetzung geben würde und wenn doch, was zur Zeit immer noch hängig ist, so wäre das Projekt umso wichtiger.

Wie sehr dem Künstlerpaar diese gesellschaftliche Ebene wichtig ist, zeigt sich nicht nur in den im Info-Container der Ausstellung jederzeit einsehbaren Korrespondenzen an sich, sondern auch an den Adressaten. So wurde im Vorfeld auch die „Stiftung für das Tier im Recht“ um eine Stellungnahme gebeten, obwohl diese mit einer Bewilligung nichts zu tun haben. Mit anderen Worten: Die ethische und gesetzliche Ablehnung des Projektes ist auf einer der zahlreichen Bedeutungsebenen ein Teststück für unsere Beziehung zum Tier. Somit sind weder die ablehnenden Stellungnahmen auch das Entsetzen der Bevölkerung von Rapperswil, der Pferdevereinigungen usw. nicht eine Aktion gegen das Projekt. Die Problematik liegt vielmehr darin, dass die zum Teil massiven Anwürfe gegen die Künstler selbst gerichtet sind und zwar in der verkürzten Form von zwei Spinnern, die ein totes Pferd von einem Helikopter auf einen Traktor werfen wollen. Punkt.

Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die unterschwelligen Bedeutungen, Falladas Wahrheit, selbst für Denk-Gymnastiker nicht so einfach zu dechiffrieren sind und einem Feuerwerk gleich in verschiedenste Richtungen möglich sind. Von der Tatsache, dass das Tier auch im neuen Tierschutzgesetz keinen «Totenfrieden» hat (sonst müssten wir alle Vegetarier werden) und darum eine Bewilligung gesetzlich nur über Randparameter wie zum Beispiel «Infektionsgefahr» verweigert werden kann. Dann aber auch vom Phänomen der fiktiven Geschichte, die man im Netz oder als «Saure Gurke»-Geschichte genüsslich liest, die jedoch bei einer möglichen Umsetzung in die materielle Ebene zur Horrorvision wird.

Am Stammtisch, wo immer neue Interpretationen auftauchen, wollte kürzlich jemand das tote Pferd als Symbol für den Zustand der Landwirtschaft verstanden wissen. Wie wird es in zwei Jahren sein, in wie viel Varianten wird sich die Rapp-Story ins World Wide Web geschrieben haben? Und wer weiss dann noch zu sagen, ob das Pferd abgeworfen wurde oder nicht? Ist das dann noch wichtig? Sind Realität und Fiktion psychologisch nicht längst dasselbe?