Ann Veronica Janssens Kunsthalle Bern 2003

Wenn sich der Raumkörper in Farbe auflöst

www.annelisezwez.ch           Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 9. Juli 2003

Veronica Janssens (47) sucht Immaterialität erfahrbar zu machen. Ihre Farbräume und -projektionen in der Kunsthalle Bern kommen indes nicht über den Status der Phänomenologie hinaus.

Die englisch-belgische Künstlerin Veronica Janssens hat ein eindrückliches Palmares aufzuweisen. Mit Ausstellungen von Venedig über Berlin und Antwerpen bis Sao Paulo. Ihre Kunst ist einfach, eingängig und dennoch verblüffend. Doch ist es mehr als Phänomenologie, wenn die Künstlerin die Fenster mit farbiger Folie verklebt und mit einer Mischung aus ölhaltiger Substanz, Sauerstoff und Stickstoff einnebelt, sodass wir die Raumkonturen aus den Augen verlieren und quasi im farbigen Nichts stehen? Hatte die Künstlerin, die schon 1999 den belgischen Pavillon an der Biennale in Venedig ähnlich „aufhob“, etwa darum noch nie eine grössere Ausstellung hierzulande, weil die Schweizer/-innen das Moment des Verlorenseins im Raum vom Skifahren im Nebel längst kennen? Wer weiss.

Das Thema der Immaterialität ist ein faszinierendes und Kunst, die sich diesem Thema nähert, nimmt dem Direktor der Kunsthalle Bern immer wieder den Ärmel hinein. Man denke an „White Noise“, an die Ausstellungen von David Hammons oder Serge Spitzer im Mai/Juni dieses Jahres. Doch während sich diese Ausstellungen alle an Wechselwirkungen mit Lebensmustern rieben und dadurch Komplexität erreichten, bleibt Veronica Janssens Kunsthalle ganz einfach rot, gelb und grün. Nicht, dass es nicht ein Erlebnis wäre, durchs Nichts zu schreiten, nur die Nähe des eigenen Körpers zu spüren und sich von den Sternenmuster in den Oberlichtern führen zu lassen. Aber eine Einheit von Körper und Raum, eine Gleichzeitigkeit von Welt und Gegenwelt will sich nicht einstellen.

Auch das Ready-Made im Foyer – ein Stück der leichtesten Materie der Welt, zu 99.9 % aus Luft bestehend – bleibt eine wissenschaftlich einzigartige und zweifellos verblüffende Leihgabe des Cern in Genf. Das heisst, es kommt nicht über seine faszinierende Existenz am Rande des Nichts hinaus. Die Verschiebung in den Kunstkontext mag anregend sein, aber eigentlich ist das Thema Wissenschaft und Kunst ein alter Zopf.

Die Mischung aus Faszination und kritischer Frage nach der künstlerischen Relevanz hebt sich auch in den beiden neuen Installationen im Soussol nicht auf. „Scrub“ (schrubben) ist eine ultraschnelle Abfolge von Projektionen unterschiedlich grosser, farbiger Rechtecke, die sich in unserer Wahrnehmung dynamisch aus- und einstülpen. Sie suggerieren damit Raum, wo keiner ist und eine Geschwindigkeit, die wir nur mit Stehenbleiben austarieren können. „Donut“, die jüngste Arbeit der Künstlerin, ist eine stroposkopische Folge von Lichtblitzen durch eine spiralförmige Schablone, die sich in der Grossprojektion in Wechselwirkung mit den Gegebenheiten unserer Augen scheinbar zu bewegen beginnt. Eine emotionale Ergriffenheit stellt sich aber auch hier nicht ein.

Marc Olivier Wahler sagte im Kontext von „Transfer“ einmal, gute Kunst sei jene, die am Tag danach zu wirken beginne. Kunst, die einem nicht loslässt. Nimmt man das als Prüfstein und erinnert sich gleichzeitig daran, wie zum Beispiel „Viniterra“ – Ulrich Studers Rebmauern im Licht – Immaterialität sicht- und vor allem mitten im Leben erfahrbar machte, dann – sorry – fällt die Kunst Veronica Janssens durch.