Text für „Neue Bildende Kunst“ Berlin, 1995

Stiftung LANGMATT BADEN. KURATOR BERNHARD ECHTE

Nach 57 Jahren: Neue Fragen an Max Oppenheimer (1885 – 1954)

Gab er dem Cabaret Voltaire den Namen?

Nicht weniger als drei Ausstellungen gewährte das Zürcher Kunsthaus dem österreichischen Maler Max Oppenheimer zwischen 1911 und 1938. Doch als der Wiener Expressionist der erste Stunde 1954 in New York starb, dauerte es Tage bis Nachbarn den Vereinsamten in seinem Atelier fanden. Der jüdische Exzentriker, der 1916 in Zürich mit der Peitsche auf den Tisch knallte und schrie: „Schlagt den Bürger tot!“ verlor nach der kriegsbedingten Emigration in die USA (1938) die Nähe zum Puls der Zeit. Erst heute wird Leben und Werk des Künstlers neu befragt. 1994 fand im Jüdischen Museum in Wien die erste Ueberblicksausstellung statt. Somit konnte es bei der von Bernhard Echte (Zürich) konzipierten Retrospektive in der Stiftung Langmatt in Baden nicht mehr um die Frage gehen, ob Oppenheimer Schiele oder Schiele Oppenheimer beeinflusste als die beiden 1909/10 in Wien das Atelier teilten. Auch nicht um die Frage, warum es Kokoschka 1911 gelingen konnte, Oppenheimer des Plagiats zu bezichtigen und ihn damit auf Lebzeiten zu diffamieren. Die Zielsetzung der Ausstellung war zum einen die Untersuchung des Einflusses von Max Oppenheimer auf den Schweizer Expressionismus und seines Beitrages zur Zürcher DaDa-Bewegung. Zum andern um die  Beziehung Oppenheimers zum Industriellen- und Kunstsammler-Ehepaar Sidney und Jenny Brown-Sulzer in der Langmatt in Baden.

Oppenheimer gelang es 1910, sich eine Ausstellung in der renommierten Galerie Thannhauser in München für 1911 zu sichern. Die expressionistischen Porträts eines Arnold Schönberg, Egon Schiele, Heinrich Mann, aber auch die religiöse Szenen stiessen auf grosse Resonanz, was dem Künstler nicht nur einen Vertrag mit dem Berliner Galeristen Paul Cassirer eintrug, sondern auch eine Ausstellung im Zürcher Kunsthaus. Hier war das Echo dann allerdings sehr geteilt. Zum einen sprach die Kritik von „krankhaft“ und „dekadent“, zum anderen haben insbesondere „Pietà“ und „Kreuzabnahme“ Schweizer Künstler,u.a. die Gebrüder Eduard, Ernst und Max Gubler, nachhaltig beeinflusst. Im Badener Katalog ist diese Vernetzung eindrücklich dargestellt (Doris Fässler), kann aber in der Ausstellung zwangsläufig nicht nachvollzogen werden, da die entsprechenden Bilder verbrannt oder verschollen sind und nur noch als Reproduktionen – 1911 erschien eine erste Monographie zum Werk des Künstlers – einsehbar sind. Nach einer intensiven Zeit in Berlin, zieht MOPP – so nannte sich der Künstler seit 1912 – 1915 nach Zürich, weg vom Krieg. Der Kunstsalon Wolfsberg zeigt eine Einzelausstellung. MOPPs Stil hat sich dahingehend verändert, dass nicht mehr der Pinselduktus, die Körperhaltung, die Betonung der Hände allein bildbestimmend sind, sondern die kubistisch und futuristisch beeinflusste Komposition. Neu sind auch die Vielzahl präziser Radierungen sowie die thematische Hinwendung zum Stilleben und zu „Porträts“ von Streich-Quartetten, darunter das doppelbödige, das als Plakat dient und nur das Ineinandergreifen von Händen und Instrumenten zeigt, die ihrerseits als Aussenform die Gestalt des Deutschen Reiches markieren. MOPPs Position gegenüber dem Krieg ist ambivalent. Obwohl in Berlin dem anarchistisch-sozialistischen Kreis zum die Zeitschrift „Aktion“ nahestehend, beteiligt er sich an Cassirers Edition „Kriegszeit“. In Zürich schliesst er sich dem Kreis um den „Revoluzzer“ an, pflegt aber gleichzeitig bürgerlich-gesellschaftliche Kontakte zur Familie Brown, die ihn durch Ankäufe unterstützt. Begeistert sagt er Hugo Ball und Emmy Hennings seine Mitarbeit bei der Gründung eines zugleich provokativen wie sinnlich ausgelassenen Cabarets zu, des legendären Cabaret Voltaire. Möglicherweise stammt sogar der Name von ihm, war der frankophile MOPP doch ein grosser Bewunderer Voltaires. Bei der Eröffnung zeigt er in den Gängen Bilder, doch als Tzara und Huelsenbeck das Zepter in die Hand nehmen, packt MOPP seine Sachen und geht. Das Feinsinnig-Intellektuell-Scharfe bis hin zum sublimiert Perversen ist seine Welt, nicht die Revolution. Ein eigentlicher DaDa-Künstler ist er darum nicht, auch wenn er zeitweise deren Collage-Technik angewendet hat. MOPP zieht nach Genf, später nach Berlin, Wien und zurück nach Zürich, um sich hier die Ausreisepapiere für die USA zu beschaffen. In der Sammlung Brown befinden sich zehn Gemälde, neben den Porträts der Familie vor allem Stilleben. Es sind nicht die allerwichtigsten Werke MOPPs; als solche sind vorab die frühen Porträts – darunter als Chef d’Oeuvre das kleine Bildnis des Musikers Karl Klingler von 1916 –  zu bezeichnen, in denen es dem Maler gelingt, die geistige Ausstrahlung der Porträtierten als farblich verhaltene, expressive Malerei unter besonderer Betonung von Stirnpartie, Händen und Aura einzufangen. Es ist zu hoffen, dass mit der Neubeachtung des Künstlers einige der verschollenen Werke – darunter das hevorragende Hess-Quartett von 1914 – wiederentdeckt werden.

                                           Annelise Zwez

Die Ausstellung wird 1996 in der Staatsgalerie München gezeigt.