Podiumsgespräch Kunstvermittlung zwischen Kommerz, Trend und Verantwortung im Kunsthaus Zürich 1995

Notizen Annelise Zwez

I.) In einer Zeit, da es sich das Kunsthaus Zürich immer noch leistet in der Fünfjahresperiode von 1990 bis 1994 von Gesamtankäufen von nahezu 7 Mio Franken  67’700 Franken oder 0.97% für Kunst von Frauen aufzuwenden, solange kann ich meine selbstgewählte Verantwortung als „Hüterin der Frauen-Zahlen“ leider immer noch nicht ad acta legen – so gerne ich das endlich tun würde. Bedenken Sie, dass Kunst von Frauen nicht ein Stil ist, sondern der künstlerische Ausdruck der Hälfte aller Menschen. Und sie ist, nicht in ihr Geschlechtsrelevanz, aber in ihrem Menschsein, ihrer Vernetzung mit Zeit und Gesellschaft engstens verknüpft mit den Aeusserungen der Männer, nur werden ihre Ansätze – positiven Ausnahmen zum Trotz – immer noch zu wenig bedacht. Vor allem auch ökonomisch, das heisst, dort, wo es um mehr als Lippenbekenntnisse geht, nämlich um Geld, um Kommerz. Kunst von Frauen lässt sich nicht einfach in patriarchale Denkstrukturen und Verhaltensmuster einfügen; es braucht Anstrengung, Bewusstsein,  echte Androgynität im Reflektieren – mit echt meine ich nicht nur die Ganzheit von männlich und weiblich, sondern auch die Akzeptanz verschiedener geschichtlicher und gesellschaftlicher Prägungen,  Denn nur so wird es – ohne diskriminierende Quotenregelungen – gelingen, zu einer umfassenden Kunstgeschichte zu gelangen und es wird dann vielleicht auch nicht mehr nötig sein, eine Ausstellung wie jene von Ellen Cantor zu verbieten, weil sie „keinen emanzipatorischen Wert“ beinhaltet.

1994: Ankäufe im Betrag von 2,27 Mio Franken – davon 1’200 Franken für eine Zeichnung von Ilona Rüegg.

Ergänzung von den im Jahresbericht 94 separat ausgewiesenen Video-Tape-Ankäufen galten 5 von 18 Frauen, nämlich Sylvie und Chérif Défraoui, Annebarbe Kau, Sadie Benning und Pipilotti Rists Pickelporno.

So international das Zürcher Kunsthaus gesamthaft ankauft, so national benimmt es sich bei Ankäufen von Frauen: Es tickert zwar über dem Kaffee eine Sentenz von Jenny Holzer, doch in der Sammlung gibt es  nach meinen Informationen – ich lasse mich gerne korrigieren – keine Agnes Martin, keine Louise Bourgeois, keine Maria Lassnig, keine Magdalena Abakanovic, keine Cindy Sherman, keine Marina Abramovic (Inst. 250’000, Objekt ca. 40’000), keine Friederike Pezzold, keine Valie Export, keine Marie Jo Lafontaine, keine Marlène Dumas ( heute ca. 40’000), keine Kikki Smith, keine Nan Goldin und schon gar keine Ellen Cantor.

Im Bereiche Gegenwartskunst der momentanen Sammlungsausstellung sind keine Werke von Frauen ausgestellt.

Bund: 1993: 440’000 Franken, darunter ein Bild von Maria Zgraggen

= 2,27%

1994: 366’840 Franken, darunter 5 Werke von Frauen ( Pia          Fries, Francesca Gabbiani, Rita Wyss und Simonette Martini) im Betrag von maximal 40’000 Franken = gut 10%.

 

Aargau:  1995: Bisher 329’270 ausgegeben, davon 71’300 für Kunst von Frauen = 21,65 % – davon 57’000 Franken für ein Werk von Verena Loewensberg. In früheren Jahren etwa 16%.

 

Stadt und Kanton Zürich/Helmhaus ist das Verhältnis Künstler/Künstlerin etwa 28% Frauen.

Von den 12 KünstlerInnen, die demnächst im Parterre des Kunsthauses ausstellen werden sind 4 Frauen.

 

Gesamtschweizerisch sind schätzungsweise 20% der Museumsausstellungen  Frauen gewidmet oder es sind Gruppenausstellungen, bei denen Frauen namhaft vertreten sind.

 

1991 anlässlich der 700-Jahr-Feier waren in der – aus nicht nur rühmlichen, kulturpolitischen Gründen – nur in der Westschweiz gezeigten Ausstellung „Extra Muros“ 16 Künstler und 1 Künstlerin – nämlich Marie-José Burki – vertreten.

 

Eidgenössische Stipendien ( bisher 12 bis 16’000, nun 18 bis 25’000): 1995: 17 Männer und 3 Frauen ( Nika Spalinger, Ana Maria Axpe del Horno, Irene Näf). 1994: 14 für Männer und 4 für Frauen (Ariane Epars, Sylvie Fleury, Francesca Gabbiani, Franziska Zumbach).

In beiden Jahren qualitativ problematisch. Wobei dieses „qualitativ“ auch wieder mentalitätsmässig untersucht werden müsste, da die Welschen in der EKK zur Zeit eine lautstarke Position haben. 1995 gingen 10 von insgesamt 21 Stipendien  an Kunstschaffende, die in Genf wohnen oder aus Genf stammen.

 

 

Aargauer Stipendien: Dieses Jahr 168’000 Franken an fünf Künstler und fünf Künstlerinnen. Letztes Jahr 240’000 Franken an 8 Künstlerinnen und 9 Künstler. Doch was nützt diese Ausgewogenheit, wenn die Abnehmer-Strukturen nicht mithalten.

 

Beispiel: From London – sieben britische Künstler. Oder Lausanne diesen Sommmer mit der Biennale de la tapisserie mit ihrem Neuanfang. Statt endlich über den künstlerischen Ausdruck von Textilkunst nachzudenken, wird einfach in der bildenden Kunst geschaut, wer wann einmal Soft-Materials angewendet hat und prompt wird die Ausstellung, in der die Künstlerinnen bisher immer markant vertreten waren, zu einer überwiegenden Männer-Ausstellung und die Künstlerinnen sind in einem geschichtlichen Rücklick ins Museum für angewandte Kunst verbannt. Ich finde das einen Affront. Wobei ich damit nicht grundsätzlich sage, dass jeder gewobene Teppich Kunst sei. Aber so wie wir in der Malerei differenzieren, so könnte man das auch im Bereich der Fasern tun, oder, noch besser, endlich damit aufhören, diesen tradititionellen Frauen-Ausdrucks-Bereich wegen des verwendeten Materials a priori auszuklammern. Verena Sieber-Fuchs.

 

Problematik der Förderung von Kunst von Frauen: Sobald das Wort „Frau“ auftaucht, bleiben die Männer fern. Oder sobald sich eine Frau in ihrer Kunst mit einem Frauenthema befasst und zwar nicht rein körperlich, sondern inhaltlich, kann es sein, dass die Männer sagen: Das betrifft uns nicht. Als Beispiel: „Körper-Belichtungen“ 1993. Mit Fotografien ohne Kamera von Barbara Ess, Eva-Maria Schön, Cécile Wick.

 

Ich weiss nur eine Ausstellung, wo es gelang diese Ghetto-Situation zu überhüpfen, das war die Ausstellung „hauttief“ im Helmhaus, 1994, an der ich engagiert mitgearbeitet habe. (Pipilotti,Muda,Sacconi,Sauter,Ikemura,Jäggi,Flury, Rüegg, Gerosa,Cias,Bächli,Nembrini, Cécile Huber, Freisager)  Es ging dabei thematisch um das Körperbewusstsein, aus welchem Künstlerinnen Substanz für ihr Kunstschaffen ziehen. Nicht „hauttief“ im Sinne von „unter die Haut gehen“, sondern  „my knowledge ist skindeep“. Es war ja die traditionelle Ausstellung der GSBK, Frauenstruktur war vorgegeben. Aber wir suchten ein Thema, das aus sich selbst heraus eine Künstlerinnen-Ausstellung ergibt, weil das Arbeiten aus einem vertieften Körperbewusstsein heraus ein ganz besondere Stärke der Frauen ist. Wobei ich dieses „ist“ heute als sehr durchlässig ansehe…. da… ja im Sinne der „bad girls“ (Sue Williams, Helen Chadwick, Dorothy Cross, Rachel Evans, Nicole Eisenmann, Nan Goldin, Ellen Cantor), aber sonst Kreuzung der Interessen (Josef Felix Müller, Balz Klöti, Kotscha Reist, Arnold Helbling, Oliver Krähenbühl usw.)

 

Identità e Alterità  ohne Rosenbach, Expoert, Pezzold, Abramovic, Natalia LL.

 

Wichtige Namen aus Karo-Dame:

Anna Blume ( Frühwerk! vor J.B.Blume), Kleider mit verrumpften Karos. Ella Bergmann-Michel (Film), Binia Bill, Lili Erzinger, Katarzyna Kobro, Marcia Hafif ( 1. Frau in der Hitliste der Frauen, an 17. Stelle.) Vieira da Silva, Shizuko Yoshikawa, Verena Loewensberg, Sylvia Plimack Mangold, Jo Baer, Bridget Riley, Aurelie Nemours, Nelly Rudin, Barbara Hepworth, Marlow Moss, Lou Loeber, Marcelle Cahn, Franziksa Clausen usw.

 

Papier:

Kommerz und Mode – was ist daran so schlecht?

 

Wer über Kunst schreibt oder spricht, muss sich ja in den Lehrlingsjahren darüber klar werden, was Kunst für ihn selbst denn nun eigentlich bedeutet, was er darin sucht, was er darin erwartet. Und ich denke, es ist erst auf diesem, sich auf einem hohen Wissen-Standard wandelnden Niveau möglich, die Substanz eines Trends und die Trittbrettfahrenden zu unterscheiden.  Für mich ist ganz zentral, nicht nur anhand mich eventuell bluffender Werke, sondern in der Begegnung mit einem Kunstschaffenden – allenfalls auch einer vermittelnden Sekundärperson, doch da wird das Risiko des kollektiven Schneeballprinzips schon grösser –  primär also unmittelbar zu spüren, ob ich die Bilder – Bilder im weitesten Sinn – ob ich sie diesem Menschen glaube oder nicht. Im Gegensatz zu anderweitiger Meinungen, ist für mich persönlich Kunst und Künstlerin respektiv Künstler im Bereich der Gegenwartskunst nicht trennbar. Zwischen Bluff und Substanz, zwischen Zufallstreffer und erarbeitetem Produkt ist manchmal nur ein kleiner Unterschied und es ist Herausforderung für uns, dies wahrzunehmen und entsprechend auch zu formulieren. Die Kunstkritik leidet heute daran, dass sie viel zu wenig Stellung nimmt. Gestern las ich auf einer Einladungskarte den Satz. „Als Kunst hat zu gelten, was der Unterhaltung dient, nichts mit Sport zu tun hat und nicht sittenwidrig ist“ – ein Zitat des deutschen Bundessozialgerichts. Das gilt leider auch über weite Strecken für die Kritik. Es gibt sogar Thesen, die besagen, dass es uns heutzutage nicht mehr zustehe, Kritik als sogenannten Meinungsjournalismus zu betreiben. Ich muss Ihnen sagen, mir ist das zu einfach, zu lapidar – auch wenn ich selbst dann und wann diplomatische Worte brauche, weil’s im Kontext nicht angebracht ist, Klartext zu sprechen. Da haben wir zum Beispiel in unserem leider immer konservativeren Aargau eine Ausstellung mit wirklich zeitgenössischem Charakter und dann komme ich und sage, das ist schlecht, dann schütte ich damit Wasser auf falsche Mühlen.

 

Was wird gefördert?

 

Förderung sind heute nicht mehr nur Stipendien, in die in der Regel jungen Künstlern als sogenannte Starthilfen zugesprochen werden oder auch nicht, sondern es sind genauso Aspekte des Sponsoring, weil heute viele Kunst ohne Unterstützung gar nicht inszeniert werden kann. Förderung wird damit zum Dauerthema. Die zeitgenössische Kunst bewegt sich immer mehr Richtung Multimedia, Richtung interdisziplinären Ausdruck, Richtung Inszenierung auf Zeit – speziell auch bei den Künstlerinnen –  und ich denke das ist einer unter vielen Gründen, warum im zeitgenössischen Kunstmarkt so wenig läuft. Die Sammler, die das Heute greifen möchten, stehen vor dem Dilemma, dass das, was ihnen wichtig ist, gar nicht mehr im bisherigen Rahmen gesammelt werden kann. Und wer sammelt denkt immer an Wert und Werterhaltung – wer anderes behauptet, lügt zumindest partiell. Und der Wandel hin zum einem Sammeln von Relikten zum Beispiel oder zur Dokumentation einer Performance, ist erst vereinzelt – etwa bei Beuys oder – hier in der Schweiz – bei Roman Signer „salonfähig“ geworden. Aber ansonsten ist ja erst die Fotografie langsam daran, einen breiteren Markt zu erobern.

Nehmen wir das Beispiel Katrin Freisager.

 

Anderer Ansatz:

 

  1. zum Teil am Anfang – Zahlen.

 

Frauen werden in vielen Gremien zu wenig gefördert, zum Teil selbst wenn eine stattliche Zahl von Frauen in den Kommissionen sind.

Dieser Punkt hat unter anderem mit der universitären Ausbildung zu tun – Herr von Moos darf mir dann ruhig widersprechen – so lange an unseren Universitäten kaum über Kunst von Frauen gesprochen wird, oder wenn schon, dann oft in Ghettoform, und so lange wie die Kunstgeschichte sich über formale Entwicklungen und Erstgeburtsrechte streitet, so lange wird der „wissenschaftliche“ Blick die androgyne Ganzheit der Kunst nicht fassen. Und wer als Frau über Jahre hinweg durch diese patriarchale Mühle ging, wird nur in einem bewussten Lernprozess wieder davon wegkommen. Das ist für mich  eine der Erklärungen, warum lange nicht alle Kunsthistorikerinnen auch Förderinnen der Kunst von Frauen sind. Vielleicht hat Dr.Christoph Eggenberger in seinem Paper zuhanden des Symposiums „Kunstschaffen an der Jahrhundertschwelle“ in Ittingen, das ich inhaltlich vorbereitet und moderiert habe, einen wichtigen Satz hiezu formuliert: „Kunstschaffende sollen die Vorlesungen der Kunstgeschichte an der Universität besuchen, aber auch – angesichts der derzeitigen Krise der Kunstgeschichte an den Schweizer Universitäten – die Kunstgeschichte Studierenden sollen die Kurse der Kunst-Fachklassen belegen.“

 

Anderer Ansatz:

Zwei Stufen: 1.Stipendien. Zu wenige Frauen. Ich denke, weil die Kunst von Frauen immer noch zu wenig verstanden wird, mit patriarchalen Kriterien gemessen wird, das ist sehr komplex, ein Moment ruht darin ,dass ihre Kunst sehr oft in irgendeiner Form prozessualen Charakter hat, die in einer Dokumentation – und da fliegt ja schon ein grosser Teil raus – kaum visualisierbar ist. Umsoweniger als der Umgang damit viel zu wenig erprobt wird.

  1. Ausstellungen: Da viele Kunstvermittler und vermittlerinnen auf Ausstellungsebene vor allem im Lokalen – und alle Kunst wächst irgendwo aus einem lokalen Umfeld – einen viel zu kleinen Wissen-Stand haben – ich erschaudere da manchmal – und überdies viel zu wenig mutig sind, Erstausstellungen zu machen, haben wir da einen Teufelskreis. Hanna Gagel!  Und weil das nicht so läuft, haben die einen Kunstschaffenden immer mehr Ausstellungen und die anderen keine. Denn jeder Ausstellungsmacher sonnt sich im Ruhm des andern und labt sich an der Potenzierung der Oeffentlichkeitsenergien. Es gibt ganz einfach zu wenig Kunsthallen- und Museumsleute, die es wagen, einer Künstlerin einen Blankocheck ohne Rückendeckung zu geben. Sie wollen zunächst ein Projekt sehen und haben Mühe, einer Künstlerin die Zeit zu geben, eine Ausstellung als Experiment wachsen zu lassen. Unterschied zwischen Kunstarbeit Mann und Frau. Nach dem Experiment Ellen Cantor, das ja so gelaufen ist, jetzt vielleicht noch Mehr.  Als nichtsdestotrotz positives Beispiel sei die Kunsthalle St.Gallen erwähnt, die übrigens als einzige Institution dieser Art dieses Jahr ein 50/50 Programm Mann/Frau präsentiert.

 

Kunst als Ware.

 

Kunst ist heute immer weniger Ware. Als Antwort auf den Boom der 80er Jahren sind viele Kunstschaffende von Kunst als Ware zurückgewichen und die Rezession der letzten Jahre hat das nur noch, wenn nun auch aus quasi konträren Gründen, nur verschärft. In Zukunft wird nicht mehr um Sammler gebuhlt werden, sondern um Sponsoren, welche die nächsten Inszenierungen finanzieren. Das Interdisziplinäre wird stärker gewichtet werden, die Kunst wird sich mit bildnerischen Mitteln dem Theater, dem Film, der Musik nähern oder sie wird sich ganz digitalisieren und als Interaktion auf World Wide Web über Internet in einen totalen Wandlungsprozess geben. Es ist höchste Zeit, dass sich die Museen und der Kunstmarkt darauf vorbereiten, wenn sich die Kunst der Zukunft nicht total spalten soll. Dass „100 Jahre Kino“  in einer Ausstellung von Harald Szeemann hier im Kunsthaus gefeiert, zeigt dies eindrücklich und dass die Kunstszene 95/96, ab 9. Dezember im Helmhaus, als Internet-Programm stattfindet ebenfalls.