Eine Art Hommage an Schaffhausen

Vernissagerede für Rosmarie Vogt und Regula Guhl im Vebikus in Schaffhausen, 3. Juni 1995

 Von Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Künstlerinnen

Eigentlich sind es zwei auswärtige Künstlerinnen, die ich Ihnen heute vorstellen möchte. Regula Guhl lebt und arbeitet in Zürich, Rosmarie Vogt wohnt in Scherz im Kanton Aargau und hat ihr Atelier in einer „Kulturfabrik“ in Aarau. Und wenn Sie mich dazunehmen, so ist da noch einmal eine Wohnsitz-Aargauerin. Rosmarie und ich merkten erst nachdem wir uns 1982 anlässlich von „Natur und Kunst“ kennenlernten, dass wir beide Schaffhauser Dialekt sprechen, beide hier aufgewachsen sind, allerdings zeitlich so verschoben, dass wir die Kantonsschule nacheinander besuchten und nicht miteinander. Und Regula Guhl ging es wohl in Zürich so wie mir einst. Mit der Türklinke wechselte der Dialekt, in diesem Fall vom „Züridütsch zrugg is Schaffuserdütsch“. Regula Guhls Eltern sind in Schaffhausen aufgewachsen. Was an dieser lokalpatriotischen Geschichte über die Anekdote hinaus bemerkenswert ist, ist nicht nur, dass wir alle da sind, dass sich Rosmarie Vogt aktiv für den Vebikus einsetzt und ich als Kunstkritikerin dann und wann mit kurzen Texten in den Schaffhauser Nachrichten aufscheine, sondern, dass unsere gestalterischen, unsere künstlerischen Grund-Prägungen mit Schaffhausen zu tun haben. Regula Guhls Vater war Lehrer an der Schule für Gestaltung in Zürich – daselbst übrigens auch Lehrer von Rosmarie Vogt, die seinerzeit hier die Kraft und die Lust fand, Innenarchitektin zu studieren. Und ich verdanke die Initialzündung zu meinem Weg meinem Kantonsschul-Deutschlehrer Max Freivogel. Das vielleicht unsere Hommage an Schaffhausen.

Das Gespräch, das ich vor zwei Tagen mit den beiden Künstlerinnen hier im Raum geführt habe, hat mich unter Einbezug dessen, was ich schon wusste oder gelesen hatte, zu ganz verschiedenen Gedanken angeregt. Rosmarie Vogt bildete sich seinerzeit zur Innenarchitektin aus und Regula Guhl ist von ihrer offiziellen Berufsbezeichnung her Floristin. Beide kommen somit ursprünglich von einem angewandten gestalterischen Denken her und sind dann dem Zweckdenken entschlüpft in freie Gestaltungen. Denken Sie jetzt ja nicht linear: Typisch Frau, denn sonst erzähle ich Ihnen, dass Josef Felix Müller, der bekannte St.Galler Bildhauer, der im kommenden Herbst eine Einzelausstellung im Museum Allerheiligen haben wird, ursprünglich Stickereientwerfer war. Was mich interessiert, ist etwas anderes, nämlich, wo die angewandte Kunst aufhört und die bildende Kunst beginnt. Ich wähle als Beispiel Regula Guhl weil bei Rosmarie Vogt diese Diskussion weniger explizit geführt wurde, auch wenn es zwischen Skulpturen und Möbeln natürlich immer Verschränkungen gibt im Raum. Regula Guhl hat in Zürich ein Atelier für Blumenkunst. Für verschiedenste Auftraggeber inszeniert sie Blumen-Räume auf Zeit.

Traditionellerweise ist das angewandte Kunst und ich will das hier auch nicht in Frage stellen. Was aber, wenn Regula Guhl im Museum Bellerive in Zürich eine Installation mit Rosen einrichtet, bei welcher in Schichten das Blühen, das Welken, das Verdorren sichtbar gemacht wird und zwar als gleichwertige Ebenen? Dann ist es aufgrund der starken Erlebnisqualität und der eingelagerten Botschaft vom wertfreien Wandel aller Dinge… Kunst. Auch wenn viele Kunsthistoriker angesichts dieser Behauptung die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden. Es fällt mir diese These allerdings umso leichter, als sich in diesem Raum hier die Frage nicht mehr stellt, weil der Uebersetzungsgrad – eine Messlatte für die bildende Kunst  – hier um mehr als eine Stufe weitergedreht ist. Denn für die Künstlerin sind diese hellen und dunklen Platten aus Wachs und anderen Ingredienzen in der abstrakten Grundstruktur nichts anderes als Blumen-Wände. Denn die Bienen verwandeln in ihrem Körper Blumenmaterial zu Wachs und so ist der Bienenwachs ein Blumenprodukt, wobei die Künstlerin noch weiter geht und Duftstoffe integriert – daher die verschiedenen Farben der hellen Platten –  wie sie von den Blumen als Attraktoren eingesetzt werden, denn die Biene ist ja gleichzeitig mit dem Sammeln von Nektar und Pollen auch Befruchterin und sorgt auf diese Weise für Wandel und Kontinuität. Schliesslich kommt noch das Licht hinzu, das die Natur braucht, um zu leben und hier in übersetzter Form Bestandteil der Lebendigkeit der künstlerischen Arbeit ist. Damit nicht genug. In die dunklen Wachsplatten hat Regula Guhl feingesiebte Erde integriert, denn was wäre die Blume ohne Nahrung aus der Erde, wie sollten sich die Rosensamen – die hellen Intarsien in den dunklen Quadraten – entwickeln ohne die Minerale, die in den Erdpartikeln gebunden sind.

Die abstrakte, konstruktive Form, mit welcher uns Regula Guhl die Geschichte von der Natur „erzählt“ erschöpft sich nicht im Wandel von gegenständlich in ungegenständlich, sondern macht in diesem Prozess erfahrbar, dass hinter allem Abbildhaften Gesetzmässigkeiten und Strukturen wirken, die in ihrer Bildhaftigkeit faszinieren, weil sie auf Dimensionen weisen, die hinter den Dingen liegen. Und das ist seit Jahrhunderten, nein, seit Jahrtausenden die wohl wichtigste Triebkraft der bildenden Kunst.

Nun liegt die Frage auf der Hand, wohin uns denn die Strukturen der offenen Säulen, des offenen Hauses von Rosmarie Vogt führen. Und da will ich einen ganz anderen Ansatzpunkt nehmen als jenen vom Grat zwischen angewandter und freier Kunst, obwohl auch hier die Antwort in beiden Arbeiten ruht.

Beobachtet man die Tendenzen der zeitgenössischen Kunst – oder zumindest einige von ihnen – so kann man feststellen, dass die Vorstellung von der Kunst als etwas materiell Gefestigtes, die Zeit Ueberdauerndes immer stärker ins Wanken gerät. Damit meine ich nicht nur die Vielzahl von raum- oder ortsbezogenen Installationen, die in den letzten Jahren in Museen und vor allem auch im Rahmen von grossen Freilichtausstellungen geschaffen worden sind und jeweils nach einer bestimmten Dauer wieder abgebrochen wurden.

Ich meine auch die ganze Richtung des Videos und der digitalisierten Bilder, die unter Zufuhr von Strom als Bilder sichtbar sind, sich nach einem Energiestop aber sofort wieder in ihre abstrakte Ruheform zurückziehen, als Bilder also nur temporär und unter künstlicher Energiezufuhr funktionieren. Nun hat es meist sehr komplexe Hintergründe, warum sich etwas in einer ganz bestimmten Zeit entwickelt. Mit Technik, oder im Fall der Installationen mit Oekologie, hat das zweifellos zu tun aber eben nicht nur. Die Naturwissenschaft, die Erkenntnisse von der Welt, haben sich in den letzten Jahren im rasantem Tempo entwickelt. Was wir einst auf dem Emmersberg beim legendären „Bubu“ von den Atomen als Bausteinen der Materie lernten, ist heute faktisch überholt. Die Riesenröhre, die beim Cern in Genf zur Zeit gebaut wird, wird als letzte Chance für den Beweis bezeichnet, dass es im mikrokosmischen Bereich überhaupt Materie gibt und nicht nur energetische Impulse.

So weit müssen wir hier nicht gehen. Fazit ist aber doch, dass uns aufgrund dieser Entwicklungen der Glaube an Festes, an Bleibendes in einem objektiven und materiellen Sinn im Innersten abhanden gekommen ist. So sieht die Kunst, die immer schon früh auf Veränderungen von Weltbildern reagiert hat, nurmehr bedingt einen Sinn darin, an Festem zu arbeiten, wo doch das Ganze Wandel ist. Die Arbeiten von Rosmarie Vogt, die wir hier sehen, sind ein gutes und vor allem auch mehrschichtiges Beispiel dafür. Die Künstlerin ist eine der Pionierinnen einer Kunst, die – einem Theater gleich – aufscheint, sich manifestiert, und sich dann auf die Ebene der Dokumentation zurücknimmt, sofern sich nicht eine Möglichkeit ergibt, eine Arbeit für längere Zeit an einem Ort zu installieren.  Rosmarie Vogt war schon 1979 bei „Kunst auf dem Wasser“ in Zug, einer der allerersten Freilichtausstellungen, die nicht mehr Atelier-Kunst ins Freie stellten, sondern für den  Ort geschaffene Werke präsentierten, mit dabei. Das Gestalten des Ortes, des Raumes, ausgehend von seinen Bedingungen und gespiegelt in den eigenen Empfindungen ist seit jeher zentrales Moment im Kunstschaffen von Rosmarie Vogt.

Gerade darum ist sie wohl auch eine der seltenen Künstlerinnen, die in ihrem Palmares eine reiche Kunst am Bau Tätigkeit aufzuweisen haben. Ihr Studium seinerzeit war von seiner Struktur her eine gute Voraussetzung dazu. Die Aeusserungsformen waren indes im Laufe der Jahre sehr verschieden: Erinnern Sie sich an die „Mäntel“, die Rosmarie Vogt in ihrer wohl persönlichsten Ausstellung 1985 im Museum Allerheiligen zeigte? Oder sehen Sie hier im Vebikus vor dem inneren Auge noch die Türme, welche die Künstlerin 1988 aufgebaut hat? “ Und heute – sind das auch Türme, die wir hier sehen? Oder eher Säulen? Gut, dass das nicht so klar ist, denn damit können wir die Arbeiten nicht einfach „anschreiben“ und „ablegen“. „Der grundlegende Unterschied“, so sagte mir Rosmarie Vogt vorgestern, „ist der, dass jene Türme individuell, also je ganz verschieden waren und damit auch verschiedene Befindlichkeiten zum Ausdruck brachten, während die Gitterröhren hier – wie sagte doch Max Bill so schön – „Gegenstände zum geistigen Gebrauch“ sind ohne direkte biographische Vernetzung.

Sie sind vor allem auch aus fast identischen Teilen, nämlich kleinen, schmalen Latten, 20 respektive 24 mal abgewinkelt. Rosmarie Vogt arbeitet schon seit einigen Jahren mit diesen kleinen, industriell gefertigten Holzstückchen. Was sie daran fasziniert und motiviert immer neue Möglichkeiten dafür zu suchen, ist mehrschichtig. Zum einen ist es die Freude am Aufbauen, wieder Abbauen, neu konzipieren und eventuell in neuer Form wieder erscheinen lassen. Oekologische Gedanken spielen da zweifellos eine Rolle – Raum und Material recyclieren und wenn’s schliesslich nicht mehr brauchbar ist, einfeuern und sich wärmen daran. Doch das ist nur eine Schicht. Da war während längerer Zeit auch das Moment des gemeinsamen Schaffens – bei grossen Arbeiten war es unmöglich, die kleinen Latten tausenderweise allein zu vernageln oder umgekehrt zu „entnageln“. Und eine gemeinsam erbaute Mauer ist etwas anderes als eine allein gebaute Mauer. Vielleicht war das schliesslich aber doch zu kompliziert, jedenfalls kündigten sich mit dem Verdrahten der Schnittstellen neue Form-Modellierungen an und hier nun haben die Schnittstellen einen gemeinsamen Nylon-Faden.

Der ermöglicht zum Beispiel die unregelmässige, wandelbare Formgebung und vor allem auch das alleine transportieren. (Ein Stück Emanzipationsgeschichte – diese allein tragen wollen/können!) Damit haben wir die Substanz aber immer noch nicht. Rosmarie Vogt sagt: „Es ist so spannend, dass kleine technische Aenderungen ganz andere Möglichkeiten eröffnen; was man mit Nageln machen kann, kann man nicht mit Draht erreichen und mit Draht nicht, was der Faden ermöglicht. Spiel – Spiel um Möglichkeiten. Billard-Spiel, wo man schon den dritten Abprall nicht mehr berechnen kann, weil er sich „chaotisch“ verhält. Das Unbekannte. Wie wird es sein? Auf dem Blatt Papier entwickelt Rosmarie Vogt ihre Konzepte. Da bauchen sich die Formen, verkleinern sich zum Spitz, assoziieren Zelte, Gefässe, Waben, Bäume, Trichter, Schranken und werden letztlich in der Umsetzung doch noch einmal neu. Interpretiert man die tagebuchartigen Gedanken, so geht es um die Suche nach dem Grat zwischen bekannt und unbekannt, vertraut und unvertraut.

Ich denke, gerade das hat die Künstlerin hier erreicht, weil wir denken, es sei so leicht die Arbeiten zu benennen, und doch daran scheitern. Es sind die ersten, die so durchlässig sind. Wie genau sich das auswirken würde, wusste Rosmarie Vogt nicht, aber sie ahnte, dass da was drin liegt, das übers Umwandern, Hinein- und Hindurchschauen geht. Vielleicht war der Gedanke auf Regula Guhl ausgerichtet – der anderen Arbeit Platz, Raum geben – das entspräche dem Denken der Künstlerin. Doch ist mehr geworden, es ist das Gefühl da vom luftigen Raum, von der Form, die nicht ist, nur umgrenzt wird und auch da mehr aus Durchblicken, denn aus Materie besteht. Ich habe vorgestern lachend gesagt, ich würde in meiner Ansprache fordern, dass Sie alle 10 Kniebeuge machen und dabei die Türme beobachten und sehen, wie sie sich vielfältig wandeln. Wenn Sie Lust haben…. es lohnt sich, vor allem weil einen da schlagartig bewusst wird, was ich eingangs sagte. Dass nichts ist, ausser dem Wandel und dass die Materie vor allem Raum ist.

Regula Guhl und Rosmarie Vogt zeigen uns Arbeiten, über die wir uns freuen können, ob denen wir lachen können und die uns doch auch zum Staunen bringen, jenem Staunen, das uns, wenn wir es spüren, glücklich macht, weil es uns miteinschliesst.

Ich danke fürs Zuhören.