Felix Stampfli

Erstveröffentlichung in den „Lenzburger Neujahrsblättern 1998“

1. Das Atelier als Forschungslabor für Vernetzungsstrukturen
2. Schnittstellen zwischen Fragen und Antworten (Interview)
3. Biographie
4. Homepage: http://www.echo.ch/-arts

1.) Das Atelier als Forschungslabor für Vernetzungsstrukturen

War es Intuition, dass Felix Stampfli, als ihm der Weg an die Kunstgewerbeschule zunächst verwehrt wurde, den Beruf des Elektromechanikers erlernte, dessen Aufgabe es ist, Systeme zu vernetzen, Energieflüsse zu lenken, um Kräfte in Gang zu setzen? Oder ist es umgekehrt so, dass die berufliche Ausbildung dem Künstler letztlich zur Metapher für seine Lebensvision wurde? Vielleicht beides.

Oft wirken Kräfte in uns und mit uns, die vernetzter sind als wir ahnen; die Nervenschnittstellen in unserem Körper sind unendlich, ebenso die Strukturen unseres Denkens, die wiederum im Austausch stehen mit den Energien um uns. Je höher die Frequenz wird, in der sich die Technologie, die wir im Alltag – ohne sie zu verstehen – nutzen, desto problematischer wird die Diskrepanz zwischen unserem Tun und dem, was wir bewirken. Seine Aufgabe sei es darum nicht, Waren, für welchen Kunstmarkt auch immer, zu produzieren, sondern Fragen in den Raum zu stellen, sagt der Lenzburger Multimedia-Künstler Felix Stampfli im nachfolgenden Gespräch. Er vertritt damit eine künstlerische Haltung, die im Kern der Vision von Joseph Beuys entspricht, der sich von einer Gesellschaft denkender Menschen eine kreativere Welt versprach. Dieses Denken steht heute im Zeichen sich rasant entwickelnder, neuer Medien. Die Lesefähigkeit multimedialer Zeichensysteme, so schreibt Felix Stampfli in einem eMail von der Sägestrasse über den Provider-Knoten „echo.ch“ an den Bleicherain, werde zwangsläufig zunehmen. Diese Systeme jedoch auch verknüpfen zu können, was dann die „bildnerische Intelligenz“ ausmache, bleibe oft auf der Ebene des „An-Denkens“ ohne fundiertes „Durch-Denken“. Die Podien des Kunstgeschäftes seien darum oft An-denken-Sammlungen am Ein- und Ausgang eines gelobten Landes; Ansammlungen von Zeichen-Hülsen, geformt aus der Unfähigkeit in den Denk- und Kunsträumen auszuharren.

Künstlerateliers müssten darum Forschungslaboratorien für gegenwärtige und künftige Vernetzungsstrukturen sein, Nischen, in denen ziel-, wert- und zweckfrei Angedachtes in Ruhe weitergedacht werde, um als Denken und Handeln in der Gesellschaft aktiv zu werden. Dies zu leben, umzusetzen, so schloss jenes Mail, sei vielleicht die unmöglichste Sache der Welt, ihm aber zumindest Vision.

Da, wo Felix Stampfli heute steht, war er selbstverständlich nicht von Anfang an, doch kann sein zunächst konventionell greifbares, später stetig immaterielleres Werk im Rückblick als sich wandelnder Orientierungsversuch zu Wasser, zu Lande und in der Luft bezeichnet werden.

2.) Schnittstellen zwischen Fragen und Antworten
Annelise Zwez im Gespräch mit Felix Stampfli

Deine Ausstellung in Brugg 1991 löste viel Kopfschütteln aus. Statt Bilder und Objekte von „Lebens-Schiffen“ zeigtest Du monochrome Tafeln. Was war eigentlich geschehen?
Während meines Aufenthaltes in Paris hatte ich mir geschworen, nie mehr ein Bild mit einem Pinsel zu malen. Um die bekannten Kunstordnungen zu verlassen, musste ich mich vom Gestalten abwenden, mich gewissermassen aufs „Nichtgestalten“ konzentrieren. Mir wurde bewusst, dass ich, je genauer ich malte, desto ungenauer wurde in der Aussage, weil alles nur Teil war. Und andererseits spürte ich, dass, je offener – je unpersönlicher auch – Bilder waren, desto präziser drückten sie aus, was ich suchte. Ich begann maschinell zu arbeiten, mit einer Farbpumpe zum Beispiel, die anstelle von mir das Bild malte, gemäss ihrer eigenen Struktur. In den zufälligen Abweichungen entstanden Irritationen und damit ein Bild. Was war nun Maschine, und was war Kunst? Aehnlich ging ich um mit Schwamm, Spachtel und anderen „Malmaschinen“. Ihre Eigengesetzlichkeiten malten das Bild im Verbund mit den Eigenschaften des Materials Farbe. Dennoch musste ich erkennen, dass Malen ohne Gestaltung nicht möglich war, denn die Bewegung war immer mein Anteil und damit auch mein Impetus.

Du hast in dieser Zeit stets von der Oberfläche als der Essenz des Bildes gesprochen, von der Oberfläche der Wahrnehmung, die unser Denken, Assoziieren und Empfinden bestimmt. Kannst Du das näher erklären?
Ich nannte die Ausstellung in Brugg und im Jahr darauf die Ausstellung in Lausanne „Prétexte I und II“. Prétexte hat, gemäss Lexikon, in der deutschen Sprache – das stand damals in der Einladungskarte – Bedeutungsschattierungen von Vorwand über Ausflucht bis Deckmantel und Anstrich. Prétexte ist gewissermassen ein Vorwand ein Bild zu malen, das ein Anstrich von Farbe ist. In Brugg war das konzeptuelle Feld noch sehr stark von Kommunkation zwischen Bild und Betrachter geprägt. Die Oberflächen waren durchlässig, weich, abstossend, warfen zurück, spiegelten usw. Es ging noch um Ich und Welt, um Welt und Du, also im Kern immer noch um dasselbe wie beim Schiffsmodell, nur abstrakt; es ging um mögliche Sehfelder. In Lausanne ging ich dann bereits einen Schritt weiter, indem ich, meine Persönlichkeit noch mehr in den Hintergrund drängend, nichts als verschiedene Gelbtöne nebeinandersetzte und Aehnlichkeit und Differenz hinterfragte, ein Thema, das später mit der Frage nach dem Orginal immer zentraler und auch immer konzeptueller wurde. Einmal habe ich hierbei zum Beispiel sämtliche unter „Gelb“ laufenden Farben wie „Cadmiumhell“, „Indischgelb“, „Cadmium Citron“, „Echtgelb“ usw. gekauft, um die Palette sichtbar zu machen.

Du hattest dann 1994 eine Einzelausstellung im Rathaus in Aarau, die mir unter anderem durch ihre Einladungskarte in Erinnerung ist. Du hattest in einer Fotomontage alle Fenster des Rathauses zu farbigen Feldern gemacht und damit die Farbe als Masstab der Wahrnehmung illustriert. Die Ausstellung selbst thematisierte im Grunde die Wende von der Darstellung zur Präsentation von Farbe an sich, von Farbe als Oberfläche der Wahrnehmung. Es war indes relativ schwierig, Deinen Prozess nachzuvollziehen ohne von radikalem Bruch zu sprechen. Es war eine Art Endpunkt der „Malerei“ in Deinem Werk. Und wie schon Paris, brachte auch diesmal ein Aufenthalt im Ausland, im Artest-Atelier der Pro Helvetia in Budapest, Klärung und Zukunftsvision.
Ich malte damals in Budapest mit einer, mir sonst nicht unbedingt eingeschriebenen, Disziplin jeden Tag eine Reihe von Farbbildern auf Sperrholzplatten im Format 20 x 40 Zentimeter, eine Art Eichmass für die Möglichkeiten von Farbauftrag in Relation zum eingesetzten Material, das ich nun losgelöst von jeglichem Bildcharakter betrachtete. Das Kapitel „Bild“ in den letzten Resten des klassischen Verständnisses von „Bild“ war damit eigentlich abgeschlossen. Es öffneten sich für mich neue, brennend interessante Fragen. Mich interessierte die Farbe, die Oberfläche als Erscheinung in Bezug auf unsere Welt, unser Wahrnehmen heute.

Man kann also sagen, dass Du Dich von Paris bis Budapest Schritt um Schritt vom Inhaltlichkeitsanspruch der Kunst gelöst hast, über die Abstraktion schliesslich zur Farbe als Wahrnehmungsphänomen an sich vorangeschritten bist.
Ja, wobei Farbe, die visuelle Erscheinung, als Material, als „Körper“ zu verstehen ist.

Mit der definitiven Abkehr vom klassischen Bild hast Du Dich gleichzeitig vom klassischen Künstlerbild entfernt, das im Zusammenhang mit dem Herstellen von Kunstprodukten, in welcher bildnerischer Technik auch immer, gesehen wird. Wie würdest Du denn Dein Selbstverständnis als Künstler heute definieren?
Das ist eine grosse Frage, für welche ich etwas ausholen muss. Die Kunst ist vielfältig. Es gibt das Wort Kunst, es gibt Kunst-Hersteller, es gibt die Kunstmesse, Kunstgalerien, den Kunstmarkt usw. Kunst ist ein riesiger Kosmos. Kunst und Kunstmarkt haben nichts miteinander zu tun. Im Grunde handelt der Kunstmarkt mit Abfallprodukten künstlerischer Auseinandersetzungen und ist daher eine riesige Müllhalde. Oft bürgt der kleinste, gemeinsame Nenner zwischen Künstler und Betrachter für Erfolg; darum ist „Erfolg“ in gewissem Sinn selbsttätig; alle wollen das, was erkannt und bestätigt ist, auch „besitzen“. Ich habe ein Bild – eigentlich einen Bildausschnitt – mit einem Geheimcode geschaffen, den nur wenige kennen und diese unterstehen dem Kunstgeheimnis. Ohne das Wissen um diesen Geheimcode wirkt das Bild aber banal und es würde darum auch bei allen Jurierungen durchfallen. Weil ich dies letztlich aber nicht will, habe ich es noch nie irgendwo eingegeben. Die Energie ist zwar in meinem Bild drin, aber in einem höchst unkommunikativen Sinn. Als konzeptuelle Arbeit ist das Bild für mich jedoch wichtig, illustiert quasi, dass der Wesenscharakter der Kunst in dem, was gängig „Kunst“ genannt wird, oft gar nicht sichtbar ist.

Was meinst Du mit „Wesenscharakter“?
Das ist nicht so einfach zu definieren. Vielleicht eine scharfe Fragestellung, eine These, ein Dialog, die Schnittstelle zwischen Frage und Antwort.

Das gefällt mir, der Wesenscharakter der Kunst als Schnittstelle zwischen Frage und Antwort. Kannst Du ein Beispiel nennen?

Ich war letzte Woche zusammen mit Arlette an der „documenta“ in Kassel. Entgegen Zeitungsberichten da und dort ist für mich das Konzept von Catherine David, der künstlerischen Leiterin der documenta, über weite Strecken hervorragend. Ihr Versuch, retroperspektiv zu agieren, die vergangenen 30 Jahre zu überblicken und zu schauen, was sich von einer heutigen Warte aus von der Vergangenheit in die Gegenwart katapultiert, ist spannend, umsomehr als es vor allem um Denkmodelle geht und sehr viel weniger um Kunst-Ware. Da fühlte ich mich gewissermassen zuhause. Ein Erlebnis war für mich zum Beispiel die Präsentation von Modellen, Lebensumfeld und Lebensentwurf des Brasilianers Hélio Oiticia (1937-1980), der sein Leben weitgehend in den Favelas (den Hüttendörfern) an den Hängen Rio de Janeiros verbrachte. Ich hatte nie zuvor von ihm gehört. Ich kam in den Raum, schaute mich um und ging direkt auf das architekturverwandte Modell aus gelben und roten, geraden und schiefen, geordnet-ungeordneten haus-,wandartigen Holzobjekten zu. Da gestaltete einer Utopien für seine eigene Lebenswelt und zwar nicht im Sinne von Antworten, sondern im Sinne von Fragestellungen, von Thesen. Das wirkte auf mich ungemein schöpferisch, umsomehr als er dies nicht in den 90er Jahren, wo das sogar trendig sein könnte, realisierte, sondern schon vor 30 Jahren.

Nach diesem Exkurs zurück nach Budapest, zum Wandel in Deinem Selbstverständnis als Künstler. Hast Du diese Entwicklung auch durch Lesen vorangetrieben? Was für Bücher hattest Du bei Dir?
Ich bin kein sehr grosser Leser, aber Bücher wie „Die Agonie des Realen“ des französischen Philosophen Jean Baudrillard oder „Das Lob der Oberflächlichkeit; zur Phänomenologie der Medien“ von Vilèm Flusser sind für mich schon ganz wichtige Grundlagen. Zu nennen wären auch die Farbstudien von Goethe. Wobei alles Gelesene natürlich längst zu einer „Gesamtsauce“ geworden ist, zu meiner, von vielen Seiten beeinflussten, Welt im Kopf.

Und was hat die neue Haltung als Künstler, der nun nicht mehr einseitig Kunst produzieren muss, sondern als Kommunikator, als Fragesteller, als Utopist, als Phänomenologe in Erscheinung tritt, was hat diese neue Haltung bewirkt und ausgelöst?
Zuächst einmal Erleichterung. Es machte sich ein grosses Feld auf mit der Erkenntnis, dass Kunst als Arbeit im Elfenbeinturm, Kunst als elitäre Lebensposition nur dann gerechtfertigt ist, wenn man sie links und rechts, oben und unten, hinten und vorne über die Ränder hinaus betreibt.

Ist das, was Du da definierst, nicht ganz allgemein eine 90er Jahr Position, in welcher soziale Strukturen in viele künstlerische Haltungen eindringen? Denk zum Beispiel an Rikrit Tiravanija, der in Ausstellungsräumen jeweils am Abend Tee serviert und die dabei entstehende Atmosphäre der Kommunikation als Kunst versteht.
Eigentlich hat das, was ich zu leben versuche, schon Joseph Beuys mit seiner „sozialen Plastik“ formuliert und vorgelebt. Er hat selten eigentliche „Werke“ geschaffen, vielmehr Boden bereitet für kreative Energien. Das ist mir schon seit ich Beuys 1977 kennengelernt habe wichtig, heute aber noch viel expliziter, konzeptueller auch. Kunst bietet Raum für Vieles, Kunst ist eine Lebensposition, die alles umfasst, was innerhalb und ausserhalb des Ateliers geschieht. So muss ich nicht trennen, zwischen meinem Engagement als Lehrer, meiner kulturpolitischen, meiner kunstvermittelnden Tätigkeit und, ab 1994, mit der zentralen Bedeutung, welche die Feldforschung im Bereich von Farbe und Medien in meinem Leben einnimmt. Farbe ist in der Natur genuin vorhanden, überall sonst ist sie als Gestaltungsmoment eingesetzt. Wie kann das bewusst gemacht werden und zugleich ausgeweitet, um einer entsprechenden Sensibilität Raum zu schaffen? Ein Beispiel: Ich bin in einer Arbeit am Computer von den horizontal gestreiften Hintergrundfarben des Bildschirmes ausgegangen, habe (mit der entsprechenden Software) eine analoge Streifenschicht darübergelegt und dabei eine Farbe ausgestanzt, das heisst transparent gemacht, und eine weitere Streifenbreite animiert (so dass sie sich bewegt). Das erzeugt einen Moiréeffekt, einen neue Farbwahrnehmung und verweist zugleich auf die Struktur der digitalen Anlage, die horizontal ausgerichtet ist.

Nach diesen Ueberlegungen scheint es mir nun wichtig, auf Deine Aktivitäten im Bereich Internet hinzuweisen. Wie begann das eigentlich alles?
Am Anfang stand – dem damaligen Level der Technik entsprechend – die Idee einer Art internationaler Künstler-Mail-Box, einer Kommunikationsplattform, mit welcher Schweizer Kunst- und Kulturschaffende in den internationalen Kunstdiskurs eingreifen könnten. Das präsentierte ich dem GSMBA-Zentralvorstand und erhielt, zusammen mit dem Badener Künstler Henning Timcke, den ich für das Projekt begeistern konnte, den Auftrag ein entsprechendes Pilotprojekt zu realisieren. Doch die Dinge, respektive die Techniken, überstürzten sich. Eben trat die Plattform des World Wide Web, die heute das Internet bestimmt, erstmals in Erscheinung. Die notwendige Computertechnik konnte noch nicht allüberall in Kursen erlernt werden, da hiess es über Büchern brüten und im System „try and error“ nächtelang herauszufinden, was wie funktioniert und zu welchen Resultaten führt. Wer damals vom Internetvirus befallen war, stiess im Umfeld noch auf viel Ablehnung, auf Unwissen, Halbwissen, Vorurteile und nur ein kleiner Club von Insidern zog mit in die digitale Kommunikations-Zukunft, die – nur zwei Jahre später – heute schon weitgehend zum Leben gehört, wenn auch bei uns noch nicht im selben Mass wie in Amerika und sich Vision und Ernüchertung die Hand reichen.

Es gelang Euch damals, das Pilotprojekt, das es Schweizer Kulturschaffenden erlaubt hätte, Informationen und Projekte weltweit zu lancieren, zur Nutzungsreife voranzutreiben und im Internet zu präsentieren. Doch erstaunlicherweise hatte kaum jemand Lust dazu, und wenn schon, dann nur, wenn ihr bereit gewesen wäret, die Ideen für die anderen computertechnisch umzusetzen. Selber Know-How zu erarbeiten schien den meisten unerreichbar und viel zu kompliziert. In Kombination mit einer Vielzahl von Querelen, scheiterte das Projekt „Chart“ (Ch-art) letztlich, wie übrigens auch andere, ähnlich gelagerte Projekte. Man denke zum Beispiel an das hochtrabende, „erste interaktive Schweizer Kulturprojekt“ des forumclaque in Baden, oder, eben erst, das von der Schweizerischen Akademie der Geisteswissenschaften über Jahre vorangetriebene Projekt einer Vernetzung der Schweizer Museen. Wie bist Du persönlich mit dem Scheitern von Chart umgegangen?
Jede Totgeburt ist schmerzhaft. Im konkreten Fall musste ich erkennen, dass Kunstprojekte – und als solches habe ich Chart immer gesehen – nicht in einem institutionellen Rahmen realisiert werden können, weil Institution und Innovation nicht miteinander funktionieren. Das ist auch der Grund, warum ich nur noch in Gruppen von direkt Betroffenen, die gemeinsam etwas wollen, tätig bin, z.B. im Rahmen des Kunstraum Aarau im Kiff, den ich 1990 gründen half und seither mitbetreue. Hier sind Kunstschaffende zusammen, die alle selbst ein vitales Interesse daran haben, nicht etablierte, experimentelle, meist installative Kunst nicht nur zu zeigen, sondern durch Einladungen an Künstler und Künstlerinnen überhaupt erst zu ermöglichen.

Der Kunstraum Aarau hat dank Dir eine hervorragende Präsenz im World Wide Web. Ich denke gerade in der Gestaltung der Web-Sites des Kunstraums spiegelt sich, was Du aus der ganzen Chart-Arbeit trotz allem für Dich erarbeiten konntest.
Es ist schon so, bis zu Chart wusste ich wenig bezüglich Gestaltungsmöglichkeiten mit dem Computer. Ich hatte, im Zusammenhang mit dem medienpädagogischen Unterricht, den ich erteile, einen Amiga-Spielcomputer. Als ich dessen gestalterische Möglichkeiten auszuloten begann, fing ich erstmals Feuer. Erst als ich über Chart aber die Konsequenzen des Hypertext realisierte, wurde mir die Revolution, die im Internet steckt, bewusst. Der Hypertext, der es über sogenannte „Links“ ermöglicht, beliebige Seiten über die ganze Welt miteinander zu verbinden, schafft globales Denken, weltweit vernetzte Räume. Dass es hierbei theoretisch keine Hierarchien gibt, sich jedermann, ob in Alaska oder in Neuseeland, daran beteiligen kann, das finde ich als Vision grossartig, das treibt mich an, hier dabei zu sein: das Internet als Lebensplattform, im Sinne des Künstlerpaars Chiarenza/Hauser „We won’t party alone“.

Das Internet als Vision ist eines, die Realität zumindest teilweise etwas Anderes. Wie siehst Du als Maxi-Surfer Internet von der realistischen Seite her?
Grundsätzlich sehe ich in Internet verwirklicht, was Bertold Brecht schon in den 30 Jahren in seiner Radiotheorie, forderte, nämlich, dass der Rezipient des Volksempfängers gleichzeitig auch sein Produzent sein sollte. Aber man muss feststellen, dass die Möglichkeiten der Interaktion, die Internet grundsätzlich bietet, noch viel zu wenig genutzt werden. Es gibt im Kulturbereich kaum geglückte, interaktive Projekte und ein Einbezug von unterprivilegierten Randzonen der Welt ist bisher Wunschtraum geblieben. Die Kräfte, die Internet monopolisieren und verkommerzialisieren wollen, sind sehr stark; die Milliardenverdienste haben sich indes bisher noch nicht eingestellt und ich kann nur hoffen, dass die Struktur so offen ist, dass sie immer wieder geknackt wird. So steht zum Beispiel den Bestrebungen, immer mehr Passwörter einzuführen, bereits eine Web Site gegenüber, welche die da und dort notwendigen Passwörter anbietet und damit hoffen lässt, dass Zensur im Netz letztlich nicht möglich ist, auch wenn klar ist, dass jede interaktive Struktur positiv und negativ genutzt werden kann.

Du bist sehr viel im digitalen Raum unterwegs und suchst dabei auch nach Nutzungen von Internet als künstlerisches Medium, wovon Chart seinerzeit träumte. Findest Du Projekte, die Dich überzeugen?
Vieles, was man im Netz an Kunstprojekten findet, ist nicht im strengen Sinn netzspezifisch, sondern gehört in einem weiteren Sinn in den Bereich Multimedia, das heisst, es könnte ebenso gut auf einer CD-Rom realisiert werden. Was ich im Netz an künstlerisch Packendem finde, intergriere ich über Hypertext-Links in die Seiten des Kunstraum Aarau. Vielleicht muss man im Sinne Beuys, der sagt, der Gedanke ist Skulptur, das Verknüpfen eines Themas quer durch den digitalen Raum, indem man über Links von einer Web Site zur anderen „hüpft“ und dabei unter Umständen rund um den Globus „reist“, als digitale Skulptur an sich bezeichnen. Als erste haben, noch auf der Fernsehebene, Beuys, Paik und Bill Davis den Gedanken umgesetzt, als sie im Rahmen der „documenta VI“ (1977) eine an drei verschiedenen Orten der Welt realisierte Performance über Intelsat in eine einzige Bildschirmarbeit verknüpften.

In welcher Form, nun ganz konkret, bringst Du Dich eigentlich in diese Struktur ein?
Meine Aufgabe als Künstler im Zusammenhang mit Internet, besser noch Multi Media ganz allgemein, ist es nicht, Zulieferer eines wie auch immer strukturierten Marktes zu sein, sondern Fragen zu stellen, sich bildende Sedimente anzukratzen, Beobachtungen umzusetzen in Projekte, Plattformen, welche eine Sensibilisierung gegenüber dieser „neuen“ Welt auslösen können. Diese Haltung ist meine Identität als Künstler, auch wenn dies unablässig bedeutet, mit einem absoluten Minimum an materiellen Gütern (sprich: Geld) auszukommen.

Ein Beispiel einer solchen „Schnittstelle zwischen Frage und Antwort“ ist zweifellos die mehrteilige „Gelb“-Arbeit, für welche Du 1996 einen Werkbeitrag des Aargauischen Kuratoriums erhalten hast. Ich finde diese Arbeit spannend: Erstens zeigt sich über Aehnlichkeit und Differenz, dass jedes Medium eine veränderte Oberfläche hat und damit auch eine andere Wahrnehmung erzeugt. Zweitens: Durch die Präsentation der Siebener-Reihe in einem Rollkorpus weisest Du einerseits auf die Gleichzeitigkeit der Medienebenen, die heute im Bildbereich zur Gestaltung von Oberfläche zur Verfügung stehen, andererseits implizierst Du auch ihre beliebige Verfügbarkeit, indem Du eine Reihe von Bildern für die Präsentation herausgenommen und an die Wand gehängt hast. Welche Medien hast Du exakt genutzt?
Das erste Bild war ein Original im gängigen Sinn, das heisst mit Oelfarbe gemalt; jedoch möglichst ohne sichtbare Gestik. Während des Malprozesses nahm eine Videokamera meine Tätigkeit in zeitlichen Abständen auf. Aus kleinen Stills dieses Videos habe ich das zweite Bild zusammengesetzt. Das dritte ist eine Farbfotografie des Originals, das vierte ein Siebdruck, das fünfte eine Farbfotokopie, das sechste ein Farbplot und das letzte ein aus mehreren Teilen zusammengesetztes „GIF“, direkt von meiner Internet-Homepage ausgedruckt. Zu ergänzen ist, dass mir, übrigens bei allen Arbeiten, die technische Qualität der verwendeten Medien äussert wichtig war. Es geht nicht um Simulation, sondern um „Original“.
Es war für mich natürlich ein sehr schönes Erlebnis, von der Jury des Kuratoriums in meinen Intentionen verstanden worden zu sein. Ich bin da nicht verwöhnt; sehr oft werden meine Arbeiten ausjuriert, weil sich die Jurierenden zu wenig präzise mit den Arbeiten auseinandersetzen, nicht begreifen, dass ich mit meinen Arbeiten die Frage nach der Realität von Farbe in unserer Lebensumgebung stelle. So wurde die vom Kuratorium ausgezeichnete Arbeit wenige Monate darauf von der Jury der Jahresausstellung im Kunsthaus mit der Begründung „zu didaktisch“ ausjuriert. Schon im Jahr davor hatte ich – ohne Erfolg – eine Reihe von 90 x 120 cm grossen, gelben Leinwandbildern eingereicht, die – als Konzept – einen Versuch darstellten, mit den traditionellen Mitteln, die im Verlaufe der Kunstgeschichte für so vieles gebraucht wurden, Originale zu malen, die so unspektakulär wie möglich sind und damit die Frage nach dem Original, die Frage nach der Wahrnehmung der Oberfläche an den äussersten Rändern zur Diskussion stellt. Ich musste dann feststellen, dass die Jury die mit Plastik geschützten Bilder nicht einmal alle geöffnet hat, sie vermutlich als die tausendste Fassung des Themas „monochrom“ abhakte und umkehrte.

Glücklicherweise gibt es zwischendurch sowohl Erfreuliches wie Konkretes, so stiess zum Beispiel Deine Installation im Rahmen der Lenzburger Ausstellung von 1997 auf positives Echo. Um was ging es?
Bei meiner Arbeit ging es erneut darum, Wahrnehmungsstrukturen, die bestimmt sind durch die mediale Gegenwart, aufzuzeigen und bezüglich ihrer Wirkung auf unser Lebensumfeld zur Diskussion zu stellen, wobei ich diesmal die materiellen, respektive immateriellen Erscheinungsformen von Farbe ins Zentrum gestellt habe, oder, anders ausgedrückt, additive und subtraktive Farbmischungen. Es war mein Anliegen, Fakten von professioneller Qualität zu präsentieren, um damit im Kontext Fragen zu erzeugen.

Felix Stampfli: Biographie

1948 in Zürich geboren
1961-1964 Klosterschule Disentis
1964-1968 Lehre als Elektromechaniker in Zürich
1968-1974 Berufstätigkeit im Bereich Elektronik im In- und Ausland
seit 1972 wohnhaft im Kanton Aargau, seit 1986 in Niederlenz,seit 1991 in Lenzburg
1975-1979 Schule für Gestaltung, Zürich
1979-1990 Tätigkeit als Zeichenlehrer an Aargauer Bezirksschulen
1982-1988 Vorstandsmitglied der GSMBA,Sektion Aargau
1983-1986 Atelier im Künstlerhaus Boswil
1984 Förderungsbeitrag des Aargauischen Kuratoriums
1988-1996 Mitglied des GSMBA-Zentralvorstandes
1989 und 1996 Werkbeitrag des Aargauischen Kuratoriums
1990 Aufenthalt im Atelier des Kantons Aargau in der Cité Internationale des Arts, Paris
ab 1990 Gründungsmitglied und Vorstandstätigkeit Kunstraum Aarau im Kiff
ab 1991 Lehrauftrag für Medienpädgagogik am Didaktikum in Aarau
ab 1992 Teilpensum als Fachlehrer Farbe + Form und Medien im gestalterischen Vorkurs an der Grafischen Fachschule Aarau
1994 Artest-Atelier der Pro Helvetia in Budapest
ab 1996 Realisation von diversen Internet-Projekten sowie entsprechende Kursleiter-Tätigkeit

Ausstellungen, Projekte, Aktionen, Performances, Installationen, Video

seit 1982 unregelmässige Teilnahme an der Jahresausstellung „Aargauer Künstler“ im Aargauer Kunsthaus und „Zürcher Künstler“ in Zürich.
1983 „Blackliner“, Performance und Ausstellung, Stadtbibliothek Lenzburg
„Blackliner“ 01/02, Installation, Psychiatrische Klinik Königsfelden
1984 „Die Bergung des Schatzes der MS Colombia, fand nicht statt“, Performance, Baden
1986 „Der Tempel der Margila“, Performance, Steinbruch Holderbank
1989 „Videoinstallation für ein rechtes Auge“, Kunsthaus Aarau
1991 Einzelausstellung Galerie im Zimmermannshaus, Brugg
1993 Einzelausstellung „Espace d’Art Contemporain“, Lausanne
1994 Rathaus Aarau
1994-1996 Entwicklung der Internet-Plattform „Chart“
1996 Kuratoriums-Ausstellung im Zeiler-Areal in Lenzburg
1997 Ausstellung im „Müller-Haus“ in Lenzburg (zusammen mit Arlette Ochsner, Audrey Fosbrooke und Gabriel Rosenberg)