Kunst und Körper Vortrag Volkshochschule ZH 1997

In der Zeit von 1960 – 1980

www.annelisezwez. ch  – Vortrag zum Thema, gehalten an der Volkshochschule Zürich, 29. Oktober 1997

Sehr  geehrte Damen und Herren

 

Wenn man sich an das Thema „Kunst und Körper 1960 bis 1980“ herantastet, so ist die erste Frage, was im konkreten Fall „Kunst und Körper“ heisst. Denn der Körper als Figur ist Thema der Kunst seit es diese gibt. Doch im 20. Jahrhundert hat der Körper als Thema von Kunst eine ganz neue Dimension erhalten, indem er über die Psychologie als Ort und als Form von Gefühlen und Befindlichkeiten erkannt wurde. Denken Sie an Egon Schiele, aber auch, als Pioniere des Wandels vom Aussenkörper, vom Du-Körper, zum Ich-Bewusstsein an Paula Modersohn-Becker, an Richard Gerstl. 

In den späten 50er Jahren, und schon sind wir wieder in Wien, formt sich eine Gruppe von Künstlern, die den Körper direkt, unmittelbar und nackt als Instrument von Kunst einsetzt. Die Wiener Aktionisten: Nitsch,Mühl,Rainer u.a. Drei Dias (links,rechts,links) ohne weiteren Kommentar. Sie sind für die folgende Annäherung an Kunst und Körper Grenzfall. 

Für mich persönlich, und das ist nun subjektiv, nicht wissenschaftlich, sind die Wiener Aktionisten mit ihren ritualisierten Metaphern für Foltern und Leiden, Sterben und Töten eine späte Antwort auf die Greuel des 2. Weltkrieges. Sprechen wir ihren torturhaften Aktionen in unserer Wertung einen subjektiv-persönlichen Bewusstseinsprozess, zum Beispiel ein Hinterfragen des eigenen (männlichen) Ich ab, gehören sie nicht zu unserem Thema. 

Charakterisieren wir ihre Aktionen, gerade unter dem Aspekt 2. Weltkrieg, als Versuch, den Körper zu transzendieren, um ihn als erneuertes Bewusstsein wiederzugewinnen, so sind wir plötzlich da, wo ich den Kern von Kunst und Körper in dieser Zeit erkenne: In der Subjektivierung des Erlebens, im Befragen des Körpers auf seine innere und äussere Kongruenz mit dem Bild, dem Bewusstsein, dem Erkennen des Ich. Damit fallen zum Beispiel die Werke der auch von mir verehrten, zeitlich vor und während der hier fraglichen Zeit arbeitenden Louise Bourgeois zunächt ausser Betracht, indem – Dias (rechts,links,rechts) –  ihre Brüste, Ihre Penisse oder beides zusammenz zwar ein sexuelles, und damit körperliches Trauma verarbeiten, aber nicht der Erkundung des eigenen Ich-Bewusstseins gelten. 

Louise Bourgeois ist eigenartigerweise viel eher eine Pionierin der „Bad Girls“ der 90er Jahre als der Kunst der 60er und 70er Jahre. Das gilt übrigens auch für die wenigen, unmittelbar körperlichen Arbeiten von Meret Oppenheim. Ins Zentrum treten hingegen zwei Kunstschaffende, die sehr viel stärker von innen nach aussen arbeiten: Maria Lassnig und Francis Bacon. 2 Dias links: „Die Last des Fleisches“ von Lassnig (73), rechts: Francis Bacon, „Studie nach dem menschlichen Körper“, 1970.  

Maria Lassnig ist als Oesterreicherin und als einstige Lebenspartnerin von Arnulf Rainer unzweifelhaft vom Expressionismus wie von den Aktionisten geprägt, doch indem sie beide Phänomene quasi incorporiert und über das Befragen des Körpers nach seiner Gefühlsform von innen heraus neu ausformuliert, geht sie pionierhaft eigene Wege. Der Titel, der über ihrem Gesamtwerk steht – „Body-Awareness“ – ist in zu differenzierendem Sinn eigentlich Titel dieses Vortrages. Es ist zu ergänzen, dass Maria Lassnig um 1960 nach Paris zog, dort auf die Formenfreiheit der Surrealisten stiess und im Speziellen auf die „Ecriture automatique“ – das Schreiben aus dem Unterbewussten, das von den Surrealisten indes nur angetippt, nicht ausgeformt wurde. Von 1961 stammen zum Beispiel diese zwei Spannungsfigurationen.2 Dias, rechts: Tod und Ohr, links: Spannungsfiguration. Aus diesem Fundus schuf und schafft Maria Lassnig ein Werk, das wie kein zweites den Körper als Ort des subjektiven Empfindens umschreibt. 1 Dia rechts: „Rast der Kriegerin“, 1972.

Es war mir Experiment und Lust, den vom zeichnerischen herkommenden Arbeiten von Maria Lassnig Malerei von Francis Bacon  2 Dias links/rechts (Selbstporträts 1969) gegenüberzustellen, der selten in Kontext von „Kunst und Körper“ rezipiert wird. Er fand den Ausdruck körperlicher Befindlichkeit ganz eindeutig über die Klassische Moderne bis zurück zu Van Gogh, also eigentlich von aussen nach innen (im Kontrast zu Maria Lassnig, die von innen nach aussen arbeitet).Vielleicht vermochte er gerade darum die Verformungen des Körpers als Ausdruck persönlichen Leidens lange nicht dem eigenen Körper einzuschreiben, sondern blieb beim „Du“ indem er, zumindest dem Namen nach, Freunde porträtierte. 

Ich wählte für heute bewusst die frühesten Beispiele, da Francis Bacon sich selbst als Motiv seiner Kunst benennt und sich damit eigentlich sein ganzes Werk einschreibt. Maria Lassnig ist für uns insofern die wichtigere als sie Body-Awareness nicht mit Leiden gleichsetzt, sondern mit dem ganzen Spektrum möglicher Gefühlsformen. 

Wir werden später auf Weiterentwicklungen aus dem Strang „Lassnig“ stossen; im Moment gehe ich aber zurück zu einem Satz, den ich anfänglich im Kontext der Wiener Aktionisten genannt habe: Körperkunst als Versuch fixierte Körperzuordnungen zu transzendieren, um den Körper als Eigenes wiederzugewinnen. Diese Theorie gehört eigentlich zu Valie Export, 2 Dias links/rechts (Tapp- und Tastk. + Strumpfband) die bezeichnenderweise gegen Ende des Wiener Aktionismus partiell an diesem teilhatte. Sie ist im Bereich der bildenden Kunst meines Wissens die erste, die das Durchbrechen und Auflösen des clichierten Frauenbildes forderte, um es neu als Frauen-Bild, als Bild aus der Sicht der Frau, zu formulieren. 

Ihr Aktion „Tapp- und Tastkino“ von 1968 ist, obwohl praktisch nur in dieser Fotografie bildlich dokumentiert, zu einer Ikone des Körperaufbruchs der Frauen geworden. Es sei hier für einmal nicht verdrängt und verschwiegen, dass Valie Export in dieser Zeit mit dem Künstler und Theoretiker Peter Weibel zusammenlebte und dass die ausgereifteste, frühe, feministische Theorie als Dialogprozess zwischen Frau und Mann entstand. Valie Export ging das Thema von Kunst und Körper, Kunst und Frauenkörper von Anfang an konzeptuell an und nutzte dazu die ihr adäquat scheinenden Medien, unabhängig von jeglichem Werkcharakter: Zeichnung, Fotografie, Film, Performance, Video, Installation, Text usw. 

Viele Künstlerinnen (von Valie Export bis Cindy Sherman) näherten sich dem Bild des eigenen Körpers durch Aneignung und Wandlung von bestehenden Frauenbildern in der Kunst, im Film, in der (Werbe)fotografie oder durch Identifizierung mit (unterdrückten) Geschlechtsgenossinnen in aller Welt oder durch das direkte Befragen, zuweilen auch Quälen des eigenen Körperbildes. 

Performance, Aktion, Video und Fotografie sind dabei die zentralen Ausdrucksmedien. Valie Export, Ulrike Rosenbach, Friedrike Pezzold, Marina Abramovic sind hierbei Protagonistinnen. Das Körperhafte ihrer Arbeit manifestiert sich in der eminenten Beteiligung des eigenen Ich-Körpers und dabei insbesondere auch der eigenen Geschlechtlichkeit, die es in dieser Zeit ja überhaupt erst wahrzunehmen galt. 

Frühe Arbeiten dieser Art von Valie Export sind einerseits Nachstellungen und Interpretationen von Körperstellungen in der Malerei 4 Dias, links: Ganze Seite. rechts/links Details (Die Putzfrau, Fotoobjekt nach Tizians Kirschenmadonna 1976/1516 und „Madonna mit Gasschlauch“ nach Raffael, Madonna im Grünen 1973/1506) rechts: Venus-Humanitas, Foto-Objekt nach Botticelli 1976/1483) andererseits der direkte Körperbezug in der bereits gezeigten Strumpfband-Tätowierung, die in mildester Form an das masochistische Moment erinnert, das die Körperkunst der Frauen der frühen 70er Jahren oft begleitete.2 Dias links/rechts (1973)  Als Beispiel: Marina Abramovic, die sich in den frühen 70er Jahren  mit einer Rasierklinge einen Stern in den Körper ritzte mit dem eigenen Bauchnabel als Zentrum;  1 Dia links(72)  oder mit einem Messer haarscharf den Fingern entlang schnitt; 1 Dia rechts (73) oder sich in die Mitte eines brennenden Sterns legt, bis sie von der Hitze in Ohnmacht fällt. 

Die Körpergrenzerfahrungen, die da provoziert werden können selbstverständlich mit den Wiener Aktionisten in Beziehung gebracht werden, sind im feministischen Kontext aber eindeutig Versuche, das bestehende und diskriminierende Frauen-Körper-Bild durch Schmerz  am eigenen Leib aufzuzeigen und letztlich aufzulösen.

Wesentlich lustvoller  2 Dias links/rechts – und man beachte, ab den späten 60er Jahren, das heisst ganz klar als Pionierin –  geht Friedrike Pezzold ans Werk.  2 Dias links/rechts  Durch das Erkunden der Bildhaftigkeit des eigenen Körpers will sie eine weiblich-poetische Aesthetik begründen, die in ihrer Zeichenhaftigkeit  2 Dias links/rechts, unser Bildempfinden neu formulieren soll. In einer Zeichnung 1 Dia rechts sagt sie auch ganz deutlich, warum das Medium Video von so grosser Bedeutung ist, gerade auch für die auf sich selbst konzentriert arbeitenden Künstlerinnen.

In den Arbeiten von Ulrike Rosenbach gibt es nach dem  Madonnen-Marytrium – 2 Dias links/rechts (1975) – , bei dem man sich fragen kann, ob ihr die Schussbild-Aktionen von Niki de St. Phalle aus den 60er Jahren bekannt waren, zwei Stränge, einen sehr poetisch-romantischen 1 Dia links: Ueberblendung nach Botticelli (Weiblicher Energieaustausch, 1976), der auf die spätere, spirtuelle Ausrichtung ihres Werkes hinweist und andererseits eine aggressiv-politische  2 Dias rechts/links. Performance 77: Ins Kabel einwickeln mit Kamera in der Hand, dabei Frauen aus aller Welt aufnehmend und sinnbildlich in sich einwickelnd.

Die Werke dieser vier Frauen hatten eminenten, unmittelbaren Einfluss auf die folgende Körperkunst der Frauen und in einem kleinen Segment auch der Männer. Das Gemeinsame ist den Vier, und Weiteren, ich kann hier ja nicht vollständig sein, ein subjektives Erleben der eigenen Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit, die, im Fall der Frauen, gleichzeitig als Kollektiv „Frau“ erlebt wird.

Valie Exports Werk ist in dieser Zeit das einzige weibliche, das durch seinen konzeptuellen Charakter zugleich ein eminent feministisches ist wie auch eine Brücke schlägt zu gleichzeitigen Annäherungen an den Körper durch, zum Beispiel, Bruce Nauman: der Körper als Mass, als Masstab für die Kommunikation zwischen Kunst und Körper. In den Körperfigurationen  2 Dias links/rechts (72 – 76) nimmt Valie Export sich selbst als Körper-Zeichen, als Körper-Mass, um damit ihre eigene Körperlichkeit in Kommunikation mit der Umwelt zu bringen.2 Dias links/rechts  Die Zeichen, die sie formt, sind nicht zufällige, sondern in verschiedenster Hinsicht existentielle zwischen Geburt, Gebet, Erotik und Tod.  

Ich weiss nur eine Künstlerin,  1 Dia rechts  welche diese Seite Valie Exports später aufgegriffen und für sich in bewegter Form neu interpretiert hat, die Baslerin Anna Winteler zu Beginn der 80er Jahre. Wir kommen später noch auf Basel zurück. Einen konzeptuellen Körper-Ansatz finden wir in der zweiten Hälfte der 60er Jahre wie bereits erwähnt, bei Bruce Naumann. Ausführlich wird dieser Aspekt im Vortrag von Ursula Perruchi nächste Woche ausgeleuchtet. Hier nur ein Antippen über zwei berühmte Beispiele 2 Dias links/rechts: Ein leicht verwinkelter Kubus, der den Raum als Körper definiert, den wir als auf einem Stuhl Sitzende unter uns umfassen. Ebenso der Mund-Abdruck in Verbindung mit dem Arm, der Sprechen und Handeln – zentrale Körperausdrucksformen – in einen skulpturalen Zusammenhang bringt. 

Bruce Naumann begreift den Aussenkörper, den visuell sichtbaren Körper als Formgebenden mit subjektivem Gehalt wobei er zusätzlich zur Form auch das Material miteinbezieht. Naumans Werk ist in die in New York in den späten 60er Jahren heftig diskutierte Subjektivierung der Kunst einzubetten. Die sogenannten 68er Jahre sind ja bezüglich Amerika um ein paar Jahre vorzuverschieben und sind in einem weitgefassten Sinn u.a. Reaktion auf den Vietnamkrieg, der den Amerikanern den Glauben an ihre Unbesiegbarkeit nahm und die Menschen dazu brachte, über sich selbst nachzudenken. Naumann ist dementsprechend nicht allein in der Kunstszene. 

Vito Acconi ist zum Beispiel zu nennen (man könnte auch von Gary Hill sprechen). Acconci ist allerdings nur kurze Zeit von seiner Biographie und seinem Körper ausgegangen und dies vor allem über Video, Performance und installative Aktionen. Während diese heute praktisch vergessen sind – darum habe ich wohl in der mir zur Verfügung stehenden Zeit keine fotografierbaren Abbildungsvorlagen gefunden – hat sich Naumann durch seine skulpturale, seine materielle Präsenz einerseits, sein Oszillieren zwischen Körper- und Konzeptkunst fest in diesem Kontext verankert. Naumann ist beinahe unerschöpflich und so ist denn auch sein Einfluss auf Späteres eklatant. Nur ein kleines Beispiel  2 Dias links/rechts: Diese Handfotos stammen aus einem elfteiligen Fotografie-Zyklus von 1966/67. Körper, Skulptur, Raum, Spiegelung gehören später eng zum Werk der Basler Künstlerin Hannah Villiger, deren früheste Körpervereinzelungen mit Hand“skulpturen“ beginnen (1980).

Versuchen wir den Faden nicht zu verlieren – was unterscheidet Bruce Naumann von einer Friedrike Pezzold, um die formbetonteste der bisher genannten Feministinnen zu nennen. Und damit sind wir auch schon im Zentrum: Während Nauman, und andere Künstler mit ihm, die Verbindung von Kunst und Ich-Körper als neues formales Motiv erkennen und einsetzen ohne sich dabei in einen radikalen Kontrast zum Fluss der Kunstgeschichte zu stellen, sind die Aeusserungen der Frauen in dieser Zeit von einem emotional-existentiellen Druck geprägt, der nicht nur die Kunst, sondern die Gesellschaft als Ganzes verändern will. Kunst und Körper ist für sie Kunst und Gesellschaft. 

Eine schwarz/weiss-Unterscheidung in Mann und Frau ist zwar weitgehend richtig, aber – wie wir bereits geshen haben und noch sehen werden – nie ganz. Es ist auch nicht Amerika/Europa. In den USA formieren sich früh, aber nach Export und Pezzold, Gruppen von Kunstschaffenden mit ganz explizit feministisch/gesellschaftlichen Anliegen, insbesondere in Kalifornien. Und wie in Europa ist ihnen der Körper zentrales „Vehikel“ für die Transportierung ihrer Ideen, allerdings in einem sehr weitgefassten, oft mehr rollen- als körperbetonten Weise. Was sie zuweilen von den Europäerinnen unterscheidet, ist die amerikanische Mentalität, die vieles mit Humor, ja gar mit Kitsch spickt. 

Darum ist auch „The Power of Feminist Art“ in unserem Augen unter qualitativen Kriterien zum Teil problematisch. Es ist nicht möglich an dieser Stelle mit mehr als ein paar Bildern auf die Gleichzeitigkeit von hier und dort hinzuweisen, zumal die Namen in Europa kaum bekannt sind. 2 Dias links/rechts  Meine Beispiele dokumentieren nicht das Andere, sondern das Aehnliche: In dieser Performance, die unweigerlich die Erinnerung an die Wiener Aktionisten wachruft, von 1972 mit Judy Chicago, Suzanne Lacy, Sandra Orgel und Aviva Rahmani wurde eine Frau in rohen Eiern gebadet, mit Erde und Blut bestrichen, dann eingewickelt und mit Strängen an einen Stuhl gefesselt, die ihrerseits mit allem anderen im Raum verbunden waren. Dazu lief ein Band, auf dem Frauen erzählten wie sie vergewaltigt wurden. 

Auch die Performance von Carole Schneemann, erstmals 1975 aufgeführt, die sie als „Reading from the Interior Scroll“ bezeichnet, lässt es unmöglich erscheinen, dass die Amerikanerinnen die Entwicklungen in Oesterreich nicht gekannt haben. Typisch ist hier die weibliche Art und Weise des von innen nach aussen Führens.  2 Dias links/rechts Auch Louise Bourgeois tritt nun in feministischem Kontext auf, hier mit einem Latex-Brüste-Kleid. Eindrücklich ist Ana Mendietas „Firework-Silhouette“ aus der Reihe „Anima“ (1976), welche auf die Verquickung von Spirituellem und Feministischem hinweist (wie etwa bei Ulrike Rosenbach), gleichzeitig aber eine ganz radikale Sprache hiezu anwendet. 

Um Naumann als Mann nicht so allein dastehen zu lassen, möchte ich noch einen Vergleich Amerika/Europa anfügen. Und da gibt es in der Schweiz – und das ist gleichzeitig der Einstieg ins Thema unter dem Aspekt „Schweiz“ – ein sehr interessantes, wenn auch zeitlich um einiges späteres Beispiel, das, wie sie sehen werden, nicht formal, aber strukturell mit Nauman und, so wie ich das hergeleitet habe, auch mit Valie Exports Körperfigurationen verwandt ist. Es ist das Werk des Aargauers Max Matter. 

Entscheidend war für ihn die Ausstellung des Werkes der Pendlerin Emma Kunz im Aargauer Kunsthaus 1973/74. Er beginnt in der Folge Hand-Objekte zu konstruieren  2 Dias links/rechts – hier die „Linke Hand“ und „Objekt für die rechte Hand“ von 1974 – welche die Verquickung von Kunst, Körper und Kosmos, die sein Werk in dieser Zeit mitbestimmt, bereits antönen. 2 Dias, rechts Querformat, links Pendel x 4 Vertieft wird dieser Ansatz im Jahr darauf mit dem 200 x 900 cm grossen Bleistift-Kreide-Werk „Desintegration und Rekonstitution“ – eine Arbeit, die den Körper als Materie in einem komplexen energetischen Umfeld begreift. Körper-Mass – wir kommen ja von Nauman her –  sind im nicht Zentimeter, sondern Schwingungen und Energien in der Zeit. 

Sein Ansatz ist dabei nicht ein esoterischer, sondern ein forschender. Für unser Vortragsthema zentral sind die Arbeiten von 1976/77, bei denen Matter den Körper so unmittelbar, wie ich das sonst nirgends kenne, als Instrument einsetzt. Er wird zum Körper-Pendel. 1 Dia rechts Seine Hände gleichen dabei seinen Handobjekten – sie zeichnen die Körperbewegungen auf riesige Papiere. 2 Dias links/rechts  So entstehen zum Beispiel auf vorbereiteten Koordinaten diese Hängebilder „Geflügelt“ und „Gestrudelt“. Um was es in unserem Kontext hier geht, ist der Einsatz des Körpers als kunstschaffendes Instrument. 1 Dia rechts  Kurz danach geht Matter über zu anderen Energie-Körper-Massen, zum Beispiel indem er im Gänsefüsschenmarsch von seinem Wohnort zu seinem Atelier geht (das sind mehrere Kilometer) und die Anzahl Fusseinheiten zum Bild formiert oder indem er im „Stundenbild“ jede gelebte Stunde punktiert.

Damit bin ich jetzt plötzlich Ende der 70er Jahre und will zurück mit einem Blick auf das, was sich aufgrund der internationalen Strömungen in der Schweiz tut. Da gibt es kleine Zentren wie Zürich, später Basel, und Einzelfiguren. Ich muss hier festhalten, dass die Körperkunst der 70er Jahre in der Schweiz bisher in keinem Gesamtblick aufgearbeitet ist. Was ich hier sage und zeige, ist ein Zusammentragen aus der Erinnerung, aus Gesprächen und etwas Bibliotheksarbeit (was vom Material her aber eher mager ist). 

Es ist durchaus möglich, dass ich auf die eine oder andere, frühe Arbeit von heute anders gestaltenen Künstlern und Künstlerinnen noch gar nicht gestossen bin. Die früheste „Body-Awareness“ – Kunst in der Schweiz sind vermutlich die frühen Fotoarbeiten von Urs Lüthi.  2 Dias  Einzel links/ Doppel rechts 1970 zeigt der 23jährige im Rahmen der „Visualisierten Denkprozesse“ im Kunstmuseum Luzern eine Installation, in welcher er Kleider an der Grenze zwischen Männer- und Frauenkleidung boutiqueähnlich an die Wand hängt. Die Sehnsucht, den Körper durch Verkleidung zu transformieren, wird ihm in unzähligen Variationen zum Thema. Narzissmus, Travestie oder Body Awareness? 

Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten; rückblickend, das Werk in die Zeit stellend und bedenkend, dass Identitätssuche über Verschiebungen des Eigen-Bildes oder Incorporationen anderer Ichformen – das gilt für Lassnig, für Bacon wie, im Fotografischen und Zeichnerischen, für Export, Rosenbach u.v.a.m. –  ein Main-Stream der Zeit ist, so neige ich heute dazu, Urs Lüthis Selbstspiegelungen als ersten Ausdruck von Kunst und Körper in den 70er Jahren in der Schweiz zu bejahen, mit dem Vorbehalt, dass bei Urs Lüthi weniger oft mehr gewesen wäre. 

Eines der berühmtesten Beispiele hiezu: „Urs Lüthi weint auch für sie“ (1970). Und dann in Varianten  1 Dia links: Urs Lüthi als das, Urs Lüthi als dies. Typisch im Gesamtkontext ist auch das sich Messen am Bild der Kunst  2 Dias links/rechts: Picasso, Modigliani, Giacometti, Larry Rivers (1970). Nicht zu vergessen ist im Kontext Urs Lüthi, dass die St.Galler Fotografin Manon in dieser Zeit seine Lebenspartnerin ist. Manon selbst tritt indes erst 1975 mit selbstinszenierenden Fotografien, in denen sie deutlich nach dem Eigenen im Bild des Körpers fragt, auf.  2 Dias links Manon, rechts Castelli  Der Titel „Das Ende der Lola Montez“ (1975), die Manon im Sado-Look hinter Gittern zeigt, drückt dies klar aus. 

Ich will nun hier aber die Chronologie nicht verlassen, komme später noch einmal auf Manon zurück. Zweifellos beeinflusst von Urs Lüthi, sucht der junge Luciano Castelli das Andere im Ich, das Weibliche im Männlichen.2 Dias links/rechts  Im Gegensatz zu Urs Lüthi – ich denke, das muss nicht immer „political correctness“ folgend, verschwiegen werden, entstehen Castellis Arbeiten aus dem Blickwinkel eines Homosexuellen und haben damit vielleicht eine existentiellere Dimension als bei Lüthi, dessen Arbeiten doch immer sehr viel Schauspielerisches begleitet. Als Malerei, als Zeichnung – alle von 1973 –  sind sie überdies von einer gelebten Körperlichkeit, welche die Fotografie trotz allem nie erreicht.

Nun ein happiger, formaler Bruch  2 Dias links/rechts: Es ist eigenartig, dass die ersten, feministischen Arbeiten in der Schweiz völlig kontextlos entstehen und bisher nie in einem grösseren Zusammenhang rezipiert wurden. Es sind die 1972/73 entstehenden, pop art verarbeitenden Polyester-Skulpturen von Erica Leuba. Mit viel Farbe und Radikalität gestaltet sie den weiblichen Körper als auf Sexualität und Gebärauftrag reduzierten. Gleichzeitig entstehende Zeichnungen sind von heftigen Spaltlinien durchzogen. Die Künstlerin selbst hat den Ausdruck ihrer eigenen Aggressionen auf die Länge nicht ausgehalten und Form und Inhalt über viele Stationen weg sublimiert; ihr Werk ist heute ein rein geometrisches, das nur über Rundungen und Ecken an die frühe Zeit erinnert.

Nun können wir wieder nach Zürich zurückkehren, wo sich an der Universität, in und um den Frauenbuchladen und in  gewissen Künstlerinnenateliers eine feministische Zelle bildet, die uns allerdings nur in Bezug auf unser Thema interessiert. Und deswegen müssen wir gleich einen Abstecher nach Berlin machen, wo die Zürcher Künstlerin Bigna Corradini seit 1972 lebt und arbeitet,ihre Werke aber primär in Zürich zeigt. 2 Dias links/rechts  Es sind frühe und wichtige Arbeiten, die über den Körper die eigene Weiblichkeit im Innen wie im Aussen befragen, beklagen und nach Veränderung schreien: Grenzüberschreitung (Pastell, 1974), Aus dem Zyklus „Frauen“ (Mischtechnik, 1975 und 76). 2 Dias links/rechts  

Das zweite Dia stammt von Ulrike Rosenbach, die zweifellos viele jüngere Künstlerinnen, zunächst insbesondere in Deutschland, beeinflusst hat. Dennoch: Kunst und Körper als Kunst und weibliches Ich als Teil einer zu verändernden Gesellschaft sind bei Corradini eindrücklich eingefangen. In dieser Zeit kehrt auch Heidi Bucher aus Amerika nach Zürich zurück, wo sie schon in den späten 60er Jahren romantisierende Kunst und Körper-Skulpturen geschaffen hat.2 Dias links/rechts Sie weiss um die Entwicklungen rund um Judy Chicago und Miriam Shapiro, steckt damit u.a Rosina Kuhn an und es kommt in der Folge zur Strauhof-Ausstellung „Frauen sehen Frauen, eine gefühlvolle, gescheite, gefährliche Schau“. 

Es ist eine Body Awareness verschiedenster Richtung synthetisierende Manifestation, zu der u.a. auch Hexenkurse gehören. Uns interessiert hier nur das Körper-Bild. 2 Dias Kuhn/Fessler. Bezeichnend ist, dass die Ausstellung geradesogut „Frauen zeigen sich selber“ hätte heissen können. Rosina Kuhn, damals in einer eher depressiven Phase, zeigte ihren Körper als stumme Anklage, verdammt dazu auf dem Bett zu liegen, belastet und (noch) unfähig, sich zu befreien. Heiterer und kritischer präsentierte sich Cristina Fessler im Vergleich mit Marylin Monoroe – eine der vielen rollen- und körpervergleichenden Arbeiten also. 2 Dias links/rechts (Curiger) Im selben Jahr entsteht auch Bice Curigers Fotoroman „Das geheime Leben der Ministerin Brenda Schloss“, den sie in Zusammenarbeit mit der  Zürcher Fotografin Ruth Vögtlin realisierte. Auch wenn die Begleittexte fehlen und Sie hier nur punktuelle Ausschnitte sehen, ist dieser Rollentausch doch ausgesprochen frisch, köstlich und für 1975 ganz schön frech. 1 Dia links (vielteiliges) Jedenfalls sollen die Männer am Ende der Arbeit gesagt haben, sie seien froh, nicht als Frau geboren zu sein. 

Im Hintergrund steht natürlich die ganze Brisanz der Reduzierung der Frau auf den nackten, geschlechtlichen Körper, dem Künstlerinnen mit körperbild-verändernden Arbeiten nun entgegentreten.  1 Dia rechts (Manon) Wie sehr das Thema knisterte zeigt sich ein Jahr später in Manons Performance „Manon presents men“.  1 Dia links Auch in anderen Aktionen und Performances arbeitet Manon unmittelbar mit dem Körper, z.B. in „A Walk on the wild side“ – hier fotografisch verdoppelt – bei dem es galt durch einen Körpertunnel hindurchzugehen. Ab 1977 beginnt Manon damit, ihre eigene Befindlichkeit in Selbstporträts zu inszenieren. 1 Dia links  Wir sind in den Jahren 76/77 und müssen daher das Feld ausweiten, nach Luzern, nach Dulliken, nach Basel. Es ist mir erst kürzlich aufgefallen, dass es da ein interessantes, bisher so nicht thematisiertes Dreieck zu Kunst und Körper gibt: 2 Dias, links Eigenheer, rechts DislerMarianne Eigenheer, Martin Disler, Miriam Cahn.

Was den Dreien gemeinsam ist, ist, dass sie den Körper nicht mehr, oder nur andeutungsweise oder fragmentarisch, als Form einsetzen, den Aspekt der unmittelbaren Körperregung, oft der geschlechtlichen, zum Teil verbunden mit Körper bedeutenden Symbolen, aber ausgesprochen direkt einsetzen, Befindlichkeit aus dem Innern ungefiltert ausstossen. Die meisten Beispiele bis anhin, gingen von der Anwesenheit des Körpers in der uns gewohnten Bildhaftigkeit aus, was zu einem wesentlichen Teil medial bedingt ist, durch die Fotografie, das neue Medium des Videos, die Performance und die entsprechende Dokumentation. Immer und immer wieder ging es um „Spiegelungen“ und „Spiegelveränderungen“. 

Das Bedürfnis der Kunstschaffenden war es, sich selbst als Subjekt sichtbar einzusetzen und sei es, um den äusserten Punkt zu markieren, auch nur als Form unter dem eigenen Stuhl. Kunst und Körper und Rollenspiel sind in dieser Zeit eng verknüpft, spiegeln die Identitätssuche in der Folge der 68er Jahre.Selbstverständlich mit Variationen indirekter und/oder konzeptueller Ausrichtung. Die Frauen spielen dabei erstmals in der Kunstgeschichte eine zentrale Rolle. Dieser Trend ist bis weit in die 80er Jahren verfolgbar. Gleichzeitig drückt sich nun „Kunst und Körper“ aber auch reduziert auf Körperbefindlichkeit aus und erobert gleichzeitig die Zeichnung, die Malerei.Das ist der früh in meinem Vortrag erwähnte Strang, der, nach meinem Empfinden, von Maria Lassnig als absoluter Pionierin, in die 80er Jahre hineinweist, auch wenn die Körperform bei den Jüngeren stärker zurücktritt zugunsten eines expressiven Ausdrucks. Keine der drei hier zusammen vorgestellten kennt indes Maria Lassnig zu dieser Zeit.  1 Dia rechts

Marianne Eigenheer arbeitet in Luzern, ist da aber absolute Einzelfigur. Sie setzt sich an den Tisch und versucht laufen zu lassen; weil ihr der Körper und seine Regungen am nächsten sind, nähert sie sich ihm formal immer wieder. Der feministische Aspekt wird nicht mehr direkt thematisiert, sondern als geschlechtliche Haltung im Sinne Simone de Beauvoirs vorangetrieben. Die Werke der Dias entstanden um 1976.  2 Dias links/rechts Martin Disler, dem „Feuerkopf“, gelingt es sehr viel schneller, sich da und dort in Szene zu setzen, während die frühen Arbeiten von Marianne Eigenheer eigentlich nur wenigen bekannt sind. Die Gouachen von Martin Disler im Format 70 x 90 stammen bereits aus den Jahren 1974/75. 

Dass Marianne Eigenheer sie kannte, ist anzunehmen, stellte Disler doch 1974 bei Pablo Stähli in Luzern aus. 2 Dias links/rechts, 1978  Dass Miriam Cahn sie kannte, ist weniger sicher. Für sie und die ganze Basler Entwicklung vor und nach 1980 ist das grosse Engagement der Galerie Stampa mitbestimmend, die in den späten 70er Jahren Ausstellungen von Valie Export, Ulrike Rosenbach etc. veranstaltet und so heftige Reaktionen auslöst, die für Miriam Cahn entscheidend waren für das Erforschen der eigenen Körperbefindlichkeit als Frau in Kontrast zum Mann. Dias von 1978. 

Miriam Cahn ist in Basel indes nicht allein. Zentrum ist das sogenannte „Frauenzimmer“, wo 1979 1 Dias links  von Künstlerinnen und zugewandten Orten das Theaterstück „Die Damengöttinnen am Aequator“ erarbeitet wird, ein nicht nur friedliches Aufbruchstück ausgehend von Trobadora Beatrice de Dia im Austausch mit Demeter und Persephone. 2 Dias links/rechts  Die Abbildungen stammen aus dem Skizzenbuch dazu von Monika Dillier, eine der ganz aktiven Künstlerinnen in Basel in dieser Zeit. Sie gibt auch den Impuls zur Ausstellung über Pornographie im „Frauenzimmer“  2  Dia links/rechts  . Hier eine Zusammenarbeit von  Dillier, Cahn, Wiesendanger und Kirchhofer (links) und eine Arbeit von Anna Barbara Wiesendanger (rechts). 

In Basel bildet sich um 1980 eine eigentliche Zelle von starken Frauen mit starken Werken, die sich alle direkt mit ihrem Körper auseinandersetzen: 2 Dias links (Monika Dillier) und rechts (Anna Barbara Wiesendanger) Die Aggression als wichtiges Element betrachtende Monika Dillier bearbeitet das Thema des Tisches weiter, suggeriert durch das Rot eine mögliche Vergewaltigungsszene. (Disler nimmt das Motiv des Tisches schon 1974/75 auf, Marlène Dumas setzt es in den 80er Jahren fort). Anna Barbara Wiesendanger gibt sich in dieser Arbeit von 1980 noch durchlässig – später bearbeitet sie dann das Thema Holofernes.  2 Dias links/rechts  1980 findet auch Hannah Villiger zur Körperfotografie und – wie bereits einmal gezeigt – Anna Winteler zu Performances zwischen Kunst und Körper. In der Rezeption dominant wird aber Miriam Cahn. 4 Dias links/rechts x 2.

Damit sind wir um 1980 angelangt – Kunst und Körper bewegt sich, wie bereits sichtbar – in Richtung Neo-Expressionismus. Video, Performance, Fotografie rücken im Kontext unseres Themas mehr und mehr in den Hintergrund, um sich erst gut 10 Jahre später wieder ins Zentrum zu stellen. Sicher haben sie gespürt, dass sich die 80er Jahre aus heutiger Sicht wie ein Art Entreact erkennen lassen oder anders ausgedrückt: Vieles, was wir eben als geschichtlichen Rückblick gesehen haben, ist heute wieder aktuell, wenn auch die Auseinandersetzung mit dem Körper, die nun sehr stark auch die Künstler beschäftigt, vermehrt „nonchalant“ und weniger dramatisch betrieben wird.

Ich danke fürs Zuhören und bin gerne bereit, auf Ihre kritischen Fragen einzugehen.