When pleasures become form

Die Bieler Künstlergruppe „relax“

Eben sind sie aus Amerika zurück; im November fliegen sie für die nächste Installation nach New York. Der Bieler Künstlergruppe „relax“ ist der Sprung in die internationale Szene geglückt. Doch ist nicht alles Gold was glänzt.

Fast jeden Abend macht die „Zürich“-Versicherung ungewollt Fernseh-Werbung für „relax“. Ist das Freude oder Ärger?
Wir sagen täglich: Dankeschön. Ein bisschen anders ist es, wenn wir Telefonanrufe erhalten, die dem gleichnamigen Massage-Studio in Nidau gelten.

Von 1983 bis 1994 war es das Künstlerduo „chiarenza und hauser“, das in Kunstkreisen ein Begriff war; nicht nur in Biel, sondern in der ganzen Schweiz. Ich denke zum Beispiel an das Echo, das der berühmter Satz „allein denken ist kriminell“ ausgelöst hat. Seit 1995 arbeiten Sie zusammen mit Daniel Croptier als Trio unter dem Namen „relax“. Was ist der Unterschied zwischen zwei und drei?
Im Duo gibt es zwei Möglichkeiten, im Trio drei; das ist sehr viel dynamischer. Es gibt keine Demokratie, nur Mehrheit und Minderheit. Um Tyrannei zu vermeiden, gibt es nur eines: Verhandlungen. Eine Idee entwickeln heisst ja lancieren, spielen, zurückfallen lassen, wiederaufnehmen, weitertreiben bis schliesslich die Konstruktion stimmt.

Sie arbeiten mit Aktion, Performance, Sprache, Schrift, Video, Fotografie, Installation, Internet, Objekten … wie kann man die inhaltliche Ebene dieser medialen Vielfalt definieren?
Einerseits bewegen wir uns innerhalb des Betriebssystems Kunst, andererseits suchen wir mit unseren Interventionen gerade nicht den Kunstbereich, sondern den öffentlichen Raum. In diesem Spannungsfeld agieren wir; nicht nur auf den Ort, sondern primär auf den Kontext bezogen. Wenn wir im Rahmen des Kapitels „economic spaces“ am Paradeplatz in Zürich, inmitten des Grossbanken-Viertels, 10 Franken Noten für 9 Franken verkaufen, so ist das für uns nicht eine Performance, sondern ein szenisches Infragestellen von Werten und gesellschaftlichen Reaktionen. Wir bewegen uns zwischen den Begriffen „arritez“ und „continuez“, wie sie die beiden Daniels seinerzeit als Demonstrationstafeln durch Biels Strassen getragen haben. Vielleicht kann man den unauflösbaren Widerspruch als Maxime definieren.

Bis hin zum Video, das kürzlich bei Bandstetter&Wyss in Zürich zu sehen war, wo Sie das Nichthaben einer Idee zum Thema einer künstlerischen Arbeit machen … Relax gilt in der Kunstszene als pointiert, profiliert und provokativ, zugleich aber auch als sehr intellektuell. Wie sehen Sie ihre Position?
Für uns stimmt dieser zuweilen als Vorwurf formulierte, einseitig intellektuelle Ansatz nicht, im Gegenteil, wir machen aus dem Denken eine Lust und suchen gleichzeitig nach dem sinnlichen, emotionalen Bild dafür. Wenn wir etwa im Rahmen der Ausstellung „I never promised you a rose garden“ in der Kunsthalle Bern ein Foto edierten, das uns zeigt, wie wir – alle drei(!) – in grossem Bogen in ein Gartenbeet urinieren, dann sind da ganz viele Spannungen drin; Moral und Unmoral, Schein und Sein, Versprechnungen und Lügen usw. Eines der aktuellen Kapitel unserer Arbeit heisst ganz bewusst: „when pleasures become forms“.

Mit diesem Bonmot knüpfen Sie natürlich mit der List der Wissenden an Harald Szeemanns berühmte Berner Ausstellung „when attitudes become form“ von 1969 an. Sie spielen damit weiter, wenn sie Werke unter den Titel „form follows finance“ stellen …
Wir haben schon 1997 ein Konzept für ein monetäres System entwickelt, das die Wertsymbolik von Franken, Euro, Dollar etc. entwertet und zugleich neu bewertet. An der diesjährigen Kunstmesse in Basel zum Beispiel – Geld ist da ja ein wichtiger Faktor – haben wir gratis 9, 19 und 49 Franken-Noten zum Mitnehmen aufgelegt, in denen wir in die Rolle der Originalporträts geschlüpft sind; Daniel Croptier wurde zu Le Corbusier, Daniel Hauser zu Arthur Honegger und Marie-Antoinette Chiarenza zu Sophie Täuber.

Warum je einen Franken weniger als die Orginal-Note?
Man soll die Wertmasstäbe nicht aus den Augen verlieren.Gleichzeitig ist damit aber auch das Stichwort „Ausverkauf“ gegeben; auch der „Ausverkauf“ der Künstler, der finanzielle Kontext, in dem die Kunstschaffenden agieren. Wir haben die drei Noten auch als Edition unter Glas präsentiert; so hat sie aber niemand gekauft.

Da schwingt eine ganz wichtiger Aspekt mit hinein. Kunstschaffende, die sich im soziologischen, politischen Raum – im weitesten Sinn des Wortes – bewegen, werden zwar rezipiert und diskutiert, aber die Produkte, zum Beispiel in Form von Fotografien, werden nur von einer kleinen Sammlerschaft als kaufwürdig taxiert. Es entsteht ein Widerspruch zwischen dem Bekanntheitsgrad einerseits, den existentiellen Strukturen andererseits. Wie gehen sie damit um?
Schlecht, aber nichstdestotrotz. Wir erlebten das in der bereits genannten Ausstellung in Zürich. Da zeigten wir Orginalfotos von Aktionen – der Bieler Milchbeutel/Trolleybus-Inszenierung zum Beispiel, aber auch der urbanistischen Arbeit von Marie-Antoinette Chiarenza, die in der Metro in Rom mit einem Masstab Distanzen verifiziert. Die meisten dieser Fotos konnten wir schon international publizieren; es wurde auch darüber geschrieben, aber als künstlerische Arbeiten verkäuflich sind sie offenbar kaum.

Sie waren an zahlreichen Ausstellungen im Ausland beteiligt, kommen eben aus Hanover/New Hampshire (USA) zurück, wo sie eine in den öffentlichen Raum ausgreifende Museumsausstellung realisiert haben, gehen demnächst nach New York, um im Swiss Institut eine Arbeit zu präsentieren, die diesen Sommer in Genf lanciert wurde … Mit anderen Worten „relax“ steht am Beginn einer internationalen Karriere. Werden Sie unter finanziellen Gesichtspunkten vom Betriebssystem nicht ganz einfach als „Show-Men“ benutzt?
Vielleicht sind wir tatsächlich selbst einer der Widersprüche wie wir sie in unserer Arbeit thematisieren. Für die Ausstellung in Hanover, in welcher wir lokale Mythen, die sich daselbst um eine Parkanlage ranken, sichtbar gemacht haben, arbeiteten wir rund ein Jahr. Für unsere gesamte Investition an Zeit, zum Teil auch Material etc. haben wir total 14’500 Dollars als Entschädigung erhalten. Es war nichtsdestotrotz eine Chance, denn uns geht es ja darum, unsere Ideen zu realisieren, Verhaltensweisen zu hinterfragen und zu inszenieren, emotionale Widersprüche aufzuzeigen.
Die Arbeit, die wir im Sommer für „Mire art contemporain etc.“ machten, beruhte zum Beispiel auf einer Umfrage, die wir mit Hilfe der Zeitung „Le temps“ durchführten. Dabei fragten wir die Leute nach ihren Vorlieben und Abneigungen bezüglich zeitgenössischer Kunst und setzten die Antworten um in Statistiken mit Bild- und Objektcharakter, zum Beispiel Hocker mit Farbsegmenten entsprechend den Lieblingsfarben der Antwortenden. Dieses Projekt erweitern wir nun für New York. Es geht hier darum, Mittel, wie sie die Politik und Wirtschaft ad infinitum einsetzen, spielerisch in den Kunstkontext zu übersetzen und damit strukturell transparent zu machen. Humor und Ironie bis hin zum Absurden sind bei unseren Projekten oft Transportmittel, Mehrdeutigkeiten medial sichtbar zu machen.

„relax“ hat zahlreiche „Kunst am Bau“ – Werke realisiert, wobei „Kunst am Bau“ für Sie der falsche Begriff ist, handelt es sich doch oft um Interventionen, die mittels Schrift einem Gebäude, einem Ort einen kontextuellen Denkanstoss geben. Ich denke da konkret an die Kaserne St.Luzisteig in Graubünden, wo zur Zeit auf ein 65 Meter langes Glasband im Refektorium die Worte „MANGEZENPAIXESSTINFRIEDEN MANGIATEINPACEMAGLIEIENPASCH“ eingraviert werden. Welchen Stellenwert haben Kunst am Bau-Wettbewerbe für Sie?
Oh, einen sehr grossen.Inhaltlich, weil der öffentliche Raum unser Aktionsfeld ist. Finanziell, weil da Geld auf dem Spiel steht. Wir beteiligen uns an fast allen Wettbewerben, zu denen wir eingeladen werden. Aber natürlich können wir nicht alle Ideen ausführen. Gewonnen haben wir dieses Jahr den Wettbewerb für den Hauptsitz der Winterthur Versicherungen. (Nicht der „Zürich“! Siehe oben. Red.) Diese Arbeit ist zur Zeit in Realisation. Installiert werden zwei Fotografien von je 3 x 3 Meter, die uns zeigen, wie wir mit grafischen Kurven „spielen“. Zum Projekt gehören auch Möbel in den Firmenfarben, geformt nach statistischen Bogenlinien aus dem Betrieb. Nicht gewonnen haben wir unter anderem den Wettbewerb für das neue Bundesamt für Flüchtlinge in Bern (1998) und die Ausgestaltung eines neuen Gebäudes für das Kantonsspital Aarau (1999).

Ist es letztlich so, dass eine internationale Ausstellungs-Karriere wichtig ist, um sich für grosse Wettbewerbe „salonfähig“ zu machen?
Das können wir nicht beurteilen, für uns sind beide Aktionsfelder spannend.

Zur Ausstellung im Hood Museum in Hanover/New Hampshire erscheint dieser Tage eine CD Rom unter dem Titel „for sale“. Sie thematisiert einerseits Projekt und Ausstellung,enthält aber – „relax“ entsprechend – auch Spiele, Screensaver und andere Amusements. Realisert hat sie der Schweizer Künstler Laurent Schmid. Sie ist über „kontakt@activerat.com“ oder über „activrat“, Postfach 515, 3000 Bern 9 erhältlich.

Wer „relax“ im Internet sucht, findet ein köstliches Web-Art-Projekt auf www.xcult.ch/x/relax.
Die Ausstellung in Hanover ist über http://hermes.dartmouth.edu/~forsale einsehbar.