Beatrix Sitter in der Abbatiale de Bellelay 1999

Der Tanz der Sterne im Spiegel der Natur

www.annelisezwez.ch  Annelise Zwez in Solothurner Zeitung vom 20. Juli 1999

Nur ein Jahr nach ihrem Auftritt im Kunstmuseum Thun überrascht die Berner Künstlerin Beatrix Sitter-Liver mit einer spannend inszenierten Ausstellung in der riesigen Abbatiale de Bellelay im Berner Jura. Es ist das Füllhorn der Naturgeheimnisse, das die Berner Künstlerin Beatrix Sitter-Liver zu immer neuen Werken antreibt. Ob sie Reisig als Pinsel für Tuschzeichnungen einsetzt, ob sie Sternkarten in nächtliche Himmelsbilder wandelt, ob sie Naturhaftes, Körperliches in Objekten, Malerei oder Fotografie darstellt, immer lässt sie Präzision und Tanz ineinanderfliessen. Und dies mit einer stupenden, handwerklichen Sicherheit. Das Nüchterne des Wissenschaftlichen ist ihr Inspiration für eine bildnerisch-aesthetische Choreographie ohne Grenzen.

Das Tänzerische, Grosszügige, Raumfüllende ihrer Arbeiten kommt in der immensen Architektur der barocken Abbatiale de Bellelay wie nie zuvor zum Ausdruck. Jeden Sommer findet in der 1956/60 aus dem Dornröschenschlaf erweckten Klosterkirche von 1714 eine Ausstellung statt; räumlich oft unbefriedigend inszeniert. Man erinnere sich zum Beispiel der Stellwand-Retrospektive von Serge Brignoni 1988. Die Ausstellung von Beatrix Sitter setzt da neue Masstäbe. In der Vorbereitungszeit habe sie ganz allein in der Kirche getanzt, sagt die Künstlerin. Diese Raumaneignung spiegelt sich in der Inszenierung. Die Stellwände sind fast alle versorgt, die Durchgänge seitlich des Lettners geöffnet. Die gewölbte Stuck-Decke spiegelt sich in einem grossen, kreuzförmigen Boden-Objekt, das hinter Glas mit „Sternspielen“ auf Papier ausgelegt ist. Himmel, Erde und Raum begegnen sich.

Auch der Altar ist bodennah; ein Podest mit gefundenen und geformten Dingen aus der Wunderwelt der Minerale, der Pflanzen und des Körpers. Ueberhöht von einem im Chor erhalten gebliebenen Himmels-Sgraffito, das sich, der Unterschiedlichkeit der Weltvorstellungen zum Trotz, in die Ausstellung einfügt. Umsomehr als sich der jüngste, in feinsten Pastellfarben gehaltene Bildzyklus der Künstlerin der luftbetonten Atmosphäre der Verkündigungsszene anzupassen scheint.

Die Motive dieser malerischesten Reihe im vielgestaltigen Werk von Beatrix Sitter-Liver sind eine Weiterführung der Körperobjekte aus Ton respektive Wachs. Die Künstlerin hat zunächst Organe in Ton geformt – Hirn, Herz, Lungen usw.- diese dann in hellgrünen Wachs gekleidet und anschliessend die Hüllen wieder vereinzelt. Diese fast transparenten, fragilen Körperfragmente, die schon fast nicht mehr Materie zu sein scheinen, dienen Beatrix Sitter als „Vorlage“ für die jüngsten hellblau-grünen Leinwandbilder. „Vorlage“ ist für sie indes immer nur Inspiration. So erinnern die in Technik und Gestalt einmal mehr überraschenden Werke nur noch entfernt an Körperbilder; viel eher sind sie deren energetische Ausstrahlung, vielleicht sogar deren Aura.

Es verblüfft immer wieder, mit welcher Sicherheit sich Beatrix Sitter von Technik zu Technik bewegt, eines ins andere überführt, Altes neu wieder hervorholt und anpasst. Auch die Malerei ist nicht neu; als Malerin begann sie seinerzeit ihre Künstlerinnenlaufbahn. So spannend virtuose Wandel sind, so sehr beinhalten sie auch die Gefahr der Aesthetisierung. Aehnliches gilt für Beatrix Sitters Themenbereiche, die immer mit etwas Verspätung in die Zeit passen; ihr Werk ist unverwechselbar, aber nicht pionierhaft.