Christoph Rütimann in der Kunsthalle Bern 1999.

Aussichten und Einsichten in luftiger Höhe

www.annelisezwez.ch  Bis 20.06.1999

Das Herzstück der Installation von Christoph Rütimann (geb. 1955) in der Kunsthalle Bern sitzt oben auf dem Dach: Eine komplexe Endlosschlaufe, auf welcher eine Kamera kurvt, und Bern von allen Seiten in die Ausstellung projiziert.

Ende der 80er Jahre stellte Christoph Schenker seinem Text im Pro Helvetia Künstlerheft „Christoph Rütimann“ den Satz von Karl Kraus voraus: „Künstler ist nur einer, der aus der Lösung ein Rätsel machen kann“. Diese These könnte Titel der Berner Raumarbeit des vom Klima „Luzern“ der späten 70er Jahre geprägten Künstlers sein. Denn vordergründig ist alles einfach: Im Foyer der Kunsthalle sehen die Eintretenden eine raumbreite Sitzbank, geformt von einem 9stöckigen Stapel von rund 400 Personenwagen und einem massiven Holzbrett. Man kann sie be-sitzen und hören wie die Zeiger in die Höhe schnellen. Die Türe zum Hauptraum ist perfekt zugemauert. In die Räume links und rechts sind auf den Raum zugeschnittene, schiefe Ebenen eingebaut. Sie schleusen die Neugierigen in den Hauptraum, wo in einer wandfüllenden Projektion Bilder der Stadt gen Süden, Norden, Westen und Osten mal kopf stehen, mal querlaufen, sich kurz in die Oben-Unten-Achse einpendeln, um dann wieder in eine andere Richtung zu kippen. Die Hans-Guck-in-die Luft-Menschen ahnen die Zusammenhänge schnell, den sie haben die „Achterbahn“ auf dem Dach schon auf dem Weg über die Kirchenfeldbrücke hinüber zur Kunsthalle entdeckt. Sie steht für den Künstler, der sich in der Vorbereitungsphase in luftiger Höhe Gedanken über das „besitzen“ einer Kunsthalle machte.

So einfach, so komplex. Christoph Rütimann ist nicht ein schubladisierbarer Konzeptkünstler, sondern ein lustvoll Spielender mit einem scharfen Verstand, der Präzision und Vielgestalt meisterhaft zu kombinieren weiss. Die Medien, die er seit den frühen 80er Jahren für seine Kunst einsetzt, sind vielfältig: Zeichnung, Objekt/Skulptur, Fotografie, Video, Rauminstallation, Performance, Sprachtext, Tonaufführung. Und so wie er zuweilen mit Sprache spielt, um Sinn und Hintersinn zum Klingen zu bringen, so spielt er auch mit seinen „Requisiten“ mit doppelten Böden. Das heisst Real- und Metaebene durchwirken sich kontinuierlich. Die greifbare, von Badezimmern bestens bekannte Waage lässt immer auch das Wägen, das Gewichten, das eigene Gewicht als Körper oder in einer Sache anklingen. Christoph Rütimann hat Waagen in früheren Arbeiten auch schon als schiefe Ebenen oder als Treppen eingesetzt.

Die schiefen Bretterebenen in Bern erinnern zunächst an die vieldeutigen Raumveränderungen Rütimanns in der Kirche San Staë anlässlich der Biennale Venedig 1993; Räume in Schieflage gibt es vielerorten. In Bern sind sie Schleuse und Infragestellung des rechten Winkels und damit Vorbereitung auf die Projektionen im Hauptraum. Durch die Gleichzeitigkeit von Bildaufnahme und Bildprojektion suggerieren die Bern-Bilder einerseits Objektivität – man sieht, was vom Dach aus gesehen werden kann. Durch die „Achterbahn“ stellen sie andererseits aber zugleich die Frage nach der Objektivität unserer Sichtweise. Bedeutsam ist dabei, dass die Endlosschlaufe – das Thema beschäftigt Rütimann seit mehr als 10 Jahren – nicht eine willkürliche Linie beschreibt, sondern einer Konstruktionslinie entspricht, die sich aus der Kombination von Kugel und Tetraeder ergibt. Sie beschreibt somit einen geometrischen Ort, wenn auch einem anderen als den unserem Körper, unserem Sehen primär eingeschriebenen vertikal/horizontalen.

Im übertragenen Sinn gelingt Rütimann mit der Endlosschlaufe, die Nord, Süd, West und Ost verbindet, überdies ein faszinierendes Gleichnis globaler Gleichzeitigkeit, deren unterschiedliche Ausrichtung uns vielfach viel zu wenig bewusst ist.

Martina Klein im Projektionsraum
Obwohl von Bernhard Fibicher und Roman Kurzmeyer unabhängig bespielt, ergeben sich zwischen der Hauptausstellung in der Kunsthalle Bern und dem eingegliederten Projektionsraum im Soussol zuweilen spannende Querverbindungen. Die deutsche Künstlerin Martina Klein (geb. 1962) schafft farbige Bild-Räume. Ihre ähnlich einem Verputz gelb, braun, orange gespachtelten Leinwände beschreiben als Doppelbilder rechtwinklige Ecken. Mal in Körper-, mal nur in Kopfgrösse. Als Besuchende befindet man sich stets in- oder ausserhalb eines Bildraumes. Die Farben strahlen ab, vermischen sich in unserer Wahrnehmung. Und indem wir gehen, verändern sich Masse und Proportionen stetig. Der Ansatz der Künstlerin ist im Zusammenhang mit einer seit den späten 80er Jahren vielbespielten kontextuellen Malerei zu sehen. Vergleicht man ihre Arbeit zum Beispiel mit dem ähnlichen Konzept der Französin Cécile Bart (Installation „Tanzen“, Aargauer Kunsthaus, 1998), so vermag die Deutsche allerdings die Komplexität der etwas älteren Kollegin nicht zu erreichen.