Regula Huegli im Spiegel ihrer Kunst, Porträt 1999
Ich muss immer zwei Sachen miteinander vermählen
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez, Katalogtext (auf CD publiziert) für die Basler Künstlerin Regula Huegli
Seit 16 Jahren reist Regula Huegli (geb. 1936) regelmässig nach Nepal. Als sie 1983 zum ersten Mal hinfuhr, konnte sie nicht genau benennen, was sie trieb. Es war einfach klar; darum buchte sie auch gleich eine Reise für drei Monate. Dieses ausgeprägt intuitive Wissen, verbunden mit dem Vertrauen danach zu handeln, kennzeichnet Regula Huegli nicht nur als Person, sondern vor allem auch ihr künstlerisches Schaffen. Intuition ist dabei nichts Vages, sondern eine ganz spezifische Form von Präzision.
Während längerer Zeit waren offene Schalen, vielfach mit kräftigen Aquarellfarben auf grosse Papiere gemalt, eines der häufigsten Motive in Regula Hueglis Malerei. Schalen sind Gefässe, die auf einem Untergrund ruhen und sich einer Bewegung gleich aus der Horizontalen in die Vertikale erheben. Oft ist das Material, aus denen sie geformt sind, Tonerde. Schalen in mannigfaltiger Form gibt es in der Malerei, so weit das Auge zurück reicht. Regula Hueglis Motive waren darum stets konform mit den Traditionen der Kunst. Wie sehr ihnen immer schon Symbolwert im Sinne der Gleichzeitigkeit von Bodenhaftung und Oeffnung zum Raum hin zukam, zeigt sich jetzt in der Entwicklung ihres Werkes.
In Regula Hueglis Arbeiten der letzten zwei Jahren hat sich die an der Basis geometrische Form des Sechsecks als Motiv in den Vordergrund geschoben. Die Sechs gilt in der Zahlensymbolik zunächst als die Verdoppelung der wachstumsorientierten Drei und ist, je nach philosophisch-religiösem Hintergrund, ein Zeichen für die Leere oder die Vollkommenheit. Im Christentum spiegelt sie sich unter anderem in den sechs Tagen der Schöpfung. Wenn die Einwohner Südindiens die Vorplätze ihrer Wohnstätten mit Zeichen „beschriften“, so wählen sie das Sechseck für hohe Feiertage. Schliesslich entspricht die ein auf- und ein absteigendes Dreieck in Verschränkung umfassende Sechseckform auch der Zellenform des Lebendigen, und bestimmt Aspekte des Kristallinen (zum Beispiel der Schneeflocke).
Wenn Regula Huegli in Nepal weilt, so hat sie Farben, Pinsel, Blei- und Farbstifte bei sich, doch das Schaffen damit zielt nicht auf Arbeiten mit Werkcharakter.Vielmehr hält die Künstlerin in eigentlichen Künstlerbüchern all das bildnerisch fest, was ihr im Schauen, Denken und Erleben vor Ort zufällt. Es ist die Zeit des Recherchierens, des Entwicklung Suchens – im Eigenen wie im Künstlerischen.
Im Buddhismus geht Vieles wortlos vor sich, Energien spüren, fliessen lassen, einatmen und ausatmen, den Bewegungen folgen, ihre Dichte, ihre Frequenz wahrnehmen sind den Geübten Sprache. Die auf- und absteigende Energie in unserem Körper entspricht darin einem immerwährenden Kreislauf.
Eines Tages spielt Regula Huegli zurück in ihrem Atelier in Basel, das für sie expressis verbis das künstlerischen Zentrum ihres Wirkens ist mit zwei langen, schmalen Papierstreifen, die ihr dieses energetische Auf- und Absteigen symbolisieren. Durch Wenden, Falten, Verschränken sucht sie Form und findet dabei … das Sechseck. Es ist ihr als hätte der Energiefluss seine Gestalt gefunden; ein Moment des Glücks. Denn das Hexagon ist der Künstlerin aus der buddhistischen Tradition als Symbol der Leere wohl bekannt. Das Nichts ist in der Meditation so etwas wie das Tor zur anderen Fülle.
So wird das Sechseck für Regula Huegli zum neuen Gefäss für ihre bildnerischen Aeusserungen. In dem ihr eigenschriebenen Bedürfnis, in einer künstlerischen Arbeit stets „zwei Sachen miteinander zu vermählen“, beginnt sie das Sechseck auf seine bildnerische Vielfalt hin zu untersuchen. Ihr Auge ist geschärft, überall und in Allem entdeckt sie Sechseck-Strukturen. Sie bricht ihre regelmässigen Innenformen auf, gliedert sie, setzt die Seitenlängen in Bewegung, um Spannung zu erreichen. Sie zeichnet von der vervielfachten Grundform ausgehend neue „Gefässe“ in den Raum, fächert Fragmente auf, verwebt das Dahinter und das Davor. Die Dynamik, die so von Werk zu Werk entsteht, entspricht ihrer künstlerischen Vision, die stets die Vielfalt des Lebendigen im Auge hat. Bewegung ist ihr dabei so wichtig, wie eine Aesthetik, welche die Sonne einschliesst.
Es geht Regula Huegli in ihrem Schaffen nicht darum, Bild-Forschung im engeren Sinn zu betreiben. Ihr Suchen und Wandeln geht eher an den Lago Maggiore, wo die Künstlerin auf der italienischen Seite des Sees eine einfachste Absteige ihr Eigen nennt. Seit genau 40 Jahren zieht sie sich, vor allem in den warmen Monaten, regelmässig dahin zurück. Die Geheimnisse der Natur, wie sie ihr in den Wellen des Wassers im Wind, in den Wachstums-Ornamenten von Steinen und Pflanzen, im reflektierenden Licht der Sonne begegnen, werden in Wechselwirkung mit der ihr „zu-gefallenen“ Form des Sechsecks zum künstlerischen Inspirationsfeld.
Oft schneidet Regula Huegli eine erste zeichnerische Arbeit in Streifen, unterlegt sie mit vielfarbig bemaltem Papier, mit dem Ausdruck des Lichtes, und fügt die Schichten neu zusammen. So begegnen sich die Welten, die Natur und ihre Symbolik, die Malerei und die Form, das Hier und das Dort, das Aeussere und das Innere, die Farbe und die Struktur, das Oestliche und das Westliche. Einem Fächer gleich löst sich die Dualität in schöpferische Vielfalt auf. Im Unendlichen wird sich der Fluss der Parallelen begegnen. Analog der Ueberschrift für die Doppelausstellung Regula Huegli/Werner Merkofer im Ausstellungsraum Klingental (August/September 1999). Und analog dem Titel des wichtigen, neuen Werkes, das die Künstlerin als Fokus ihres Schaffens für das Kabinett der Ausstellung gewählt hat.