Interview mit Georges Düblin 1999
Ich wollte nicht Künstler sein, sondern Kunst machen
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Im Rahmen des Solothurner Jahresportrait (Ausstellung/Katalog Kunstverein Solothurn) geführtes Gespräch mit Georges Düblin, in seinem geräumigen Atelier in einer ausgedienten Zimmerei im solothurnischen Kleinlützel, 14.05.1999
Sie haben nach Gymnasialjahren in Basel eine Schreinerlehre absolviert und sind dann sogleich in die freie Kunst eingestiegen, ohne klassische Ausbildung an einer Gestalterschule. Das ist ungewöhnlich. Ist es typisch für Ihre Denk- und Arbeitsweise?
Nach der Schule war die Frage nicht, Kunst oder nicht Kunst, sondern auf welchem Weg komme ich dorthin, über das Handwerk oder über die „Kunstschiene“. Da Kunst letztlich viel mit Handwerk zu tun hat, habe ich die Lehre gewählt. Sie hat mir bezüglich Arbeitsformen und Materialkenntnisse viel vermittelt. Und ich habe anschliessend an die Lehre auch noch zwei Jahre auf meinem Beruf gearbeitet, allerdings längst parallel zu künstlerischer Tätigkeit. Dass ich nach Lehrabschluss nicht an die Schule für Gestaltung wechselte, hat nicht mit einer Ablehnung zu tun; ich hatte vermutlich einfach bereits zu verbohrte Ideen und keine Lust auf Schule.
Da war also schon sehr früh, eine künstlerische Vision da. Wie sah diese aus, worauf fusste sie, wo kamen die Anregungen her?
Der Einstieg in die Kunst kam über das Machen. Ich wollte nicht Künstler sein, sondern Kunst machen. Wichtig schien mir nicht, was ich mache, sondern dass ich es mache. Die Antwort auf die Frage, warum man es macht oder eben nicht macht, ist schwierig zu formulieren. Das scheint mir auch heute so. Was zählt ist doch eigentlich nur, dass die Zeitschiene läuft und dass wir darin tun, denken und sind.
Natürlich orientierte ich mich in der Szene, besuchte Ausstellungen, wo immer sich die Gelegenheit bot und schaute genau hin. Die Amerikaner waren sehr wichtig für mich, Motherwell, Newman, dann am Anfang auch Tapiès. Doch während mir die Malerei als Raumdimension, als Ort körperlich-gestischer Ausbreitung nach wie vor nahe ist, habe ich Tapiès aus den Augen verloren, da mir die Symbolträchtigkeit seines Werkes nicht entspricht. Anziehungspunkte waren aber nicht nur die Kunstorte, sondern auch, zum Beispiel, die Solothurner Literatur- und Filmtage.
Wie muss ich mir denn diese frühen Arbeiten vorstellen? Materialbetont, grossformatig, expressiv?
Es waren ganz klar Bilder, grossformatige auf normale Chassis aufgespannte Bilder, bemalt mit Lack, Tusche, Acryl, Asphalt, dann auch Isolierfarbe, Rostschutzfarbe, Eisenchlorid. Träger war ein festes Kunstfasergewebe mit eingewobener Horizontalstruktur. Zuweilen integrierte ich auch Collageelemente. Die Vielfalt der Materialien interessierte mich. Wie verhalten sie sich, wenn man sie so einsetzt, wie das gängig gemacht wird, und wie, wenn man sie anders kombiniert. Was hält, was trägt, was nicht? Welche Oberflächenwirkungen ergeben sich? Für mich war das Experimentieren, das Atelier eine Art Labor.
Da kommt mir die Arte Povera in den Sinn, auch Joseph Beuys und in der Reduktion auf körperlich-zeichnerische Andeutungen Twombly. Wo bewegen Sie sich inhaltlich? Hat der Einsatz der Materialien auch eine Metaebene oder konzentrieren sich die Bilder darauf, die Materialien zum Ausdruck zu bringen? Und wo sind Sie darin?
Die Arte Povera und damit die Möglichkeit, mit unkünstlerischen Materialien zu arbeiten, ist mir wichtig. Aber es ist nicht das Bild, das Material darstellt, das Material selbst hat Darstellung. Es zeigt sich. Ich selbst löse den Prozess aus, indem ich die Materialien bewusst wähle und mit dem Arm den Pinsel führe.
Schon zu Beginn der 90er Jahre verschwindet die Materialvielfalt zugunsten der Dominanz von Asphalt. Wie kam es dazu und was bedeutet ihnen dieses Material?
Entdeckt habe ich Reichtum von Asphalt als Mal- und Gestaltungsmaterial beim Radieren. Da wird Asphaltlack als Säureschutz eingesetzt. Durch ausprobieren habe ich dann die Vielfalt der Möglichkeiten realisiert. Asphalt kann man mit Terpentinersatz verdünnen, fast transparent auftragen oder, im Gegenteil, zähflüssig einsetzen. Man kann ihn durch erhitzen giessen. Man kann Asphalt als Paste verwenden oder lasierend auftragen, schnell oder langsam trocknen lassen, auf Glas, Leinwand, Papier, Polyester malen; oder auch zum Drucken von Grafiken einsetzen. Die Möglichkeiten sind beinahe unerschöpflich und das finde ich spannend.
Asphalt ist ein Erdölderivat; man kann also die ganze assoziative Breite von Erdöl als Naturprodukt an der Basis und breitester Verwendung in der Industrie ­p; Teer, Plastik etc. ­p; in die Auseinandersetzung mit Ihrem Schaffen einbeziehen. Nesa Gschwend ­p; eine Aargauer Künstlerin ­p; arbeitet seit Jahren auf der Grundlage der Rückerinnerung, der Zeitdimension, die Erdölprodukte in sich tragen. Gilt das auch hier?
Nein, das ist nicht der Punkt, wo ich ansetze. Ich bin nicht angestellt von der Asphaltindustrie, um ihr Produkt in die Galerien zu tragen. Mich interessieren die Eigenschaften, die Erscheinung, das Malen damit, das verhaltenen Verhalten. Vielfach könnte ich auch schwarze Farbe nehmen, aber ich ziehe Asphalt vor, weil ich kein anderes Material weiss, das mir so viele Möglichkeiten bietet. Man muss im Auge behalten, dass Vieles an der Kunst Tätigkeit ist, Farbe mit Pinsel oder Spachtel auf einen Träger bringen. Alles andere ist oft zuviel.
Sind sie ein Theoriemuffel, gar ein Kunstmuffel, der Kunst macht?
Nein, gar nicht, mich interessiert das alles sehr. Aber so Vieles ist im Laufe der Jahre mystifiziert worden und nur hat es selten jemand wieder auseinandergenommen. Holz kann wenig dafür, ob es für Fenster, für Möbel oder für Kunst eingesetzt wird. Das gilt auch für den Asphalt. Eine Fläche spritzen ist zunächst einmal eine Fläche spritzen und nichts mehr.
Das ist eine pointierte Haltung, das gefällt mir, auch wenn die Nähe zur Theorie der Minimal Art offensichtlich ist: Die Kunst ist, was sie ist. Nur, von Kunst haben wir noch gar nicht gesprochen. Ist Handwerk Kunst?
Es wurde schon manches in eine Schublade gelegt und falsch angeschrieben. Doch dann wurde die Schublade aufgeladen und das Hineingelegte gehört dann plötzlich dazu. Begriffe sind wandelbar.
Kürzlich sagte mir jemand, als wir über die verlorene Spiritualität der Moderne sprachen, das Bauhaus sei eine „Entspiritualisierungsanstalt“ gewesen. Sind auch Sie ein solcher Demystifizierer?
Ja, bis zu einem gewissen Grad, ohne damit allerdings irgendetwas anderes abwerten zu wollen. Wenn jemand kommt und mir sagt, das, was du hier tust, ist keine Kunst, dann hat er im Prinzip recht. Trotzdem nennen Sie sich Künstler und stellen ihre Werke im Kunstkontext aus. Es gibt falsch parkierte Autos und richtig parkierte Autos. Beide sind parkiert. Wenn man in zehn Museen darüber diskutiert hat, stellt sich die Frage nicht mehr. Ich meine das nicht kokett, auch nicht belehrend. Auch ich kann nicht alles auflösen, aber ich kann versuchen, hier weiterzuarbeiten.
Wie muss ich mir Sie eigentlich vorstellen, wenn Sie am Arbeiten sind? Still? In Musik eingehüllt? Bewusst hier in Kleinlützel, um weit weg von der Stadt zu sein?
Von allem ein bisschen. Die Ruhe ist mir wichtig einfach arbeiten, malen, spritzen, giessen. Vielleicht läuft Musik Bach oder DRS 3 oder auch Experimentelles. Bezogen auf die ältesten und die jüngeren Ihrer Arbeiten ist es falsch, nur von Asphalt zu sprechen ­p; da gibt es ja auch rot und gelb als Farbkontraste, nicht nur Leinwand oder Stoff als Träger, sondern auch Well-Polyester. Erstere scheinen mir eine materielle, aber nicht grundsätzliche Erweiterung nach einer Monophase. Zweiteres ist jedoch im Ansatz eine grundlegendere Erneuerung. Wie, zunächst, kam es zu den Farben und was sind sie?
In ältere Arbeiten habe ich unter anderem Eisenchlorid das ist die Basis einer Aetzflüssigkeit einbezogen; sie erscheint im Bild gelbbraun in einer fast transparenten Form. Das Gelb der neueren Arbeiten ist Eisensulfat, wie es in Spanien für die Aussenbemalung von Häusern verwendet wird. Aber die Zuordnung ist mir nicht wichtig; ich habe die Farbe einfach in Spanien entdeckt. Genauso wie ich den roten Krapplack aus Kiew zurückgebracht habe. Und dieses Reisen und Farben von weit her zurück ins Atelier tragen ist wirklich nicht relevant? Mir kommt da spontan ein Video von Renée Levi in den Sinn, in dem sie mit ihrer kleinen Tochter durch einen Do-it-yourself-Supermarkt in Frankreich geht und darin das Schauen, das Spiegeln, aber auch ihr Interesse an den hier verkauften Materialien thematisiert.
Es ist tatsächlich so, dass auch ich im Ausland mit Vergnügen solche Do-it-yourself-Center besuche, manchmal auch mit meiner Tochter. Aber daraus ein Reisethema zu konstruieren, wäre verfehlt. Ich bin kein grosser Reiser. Ich setze sowohl das Eisenchlorid wie den Krapplack im selben Sinn ein wie den Asphalt. Wenn damit Ansätze von „Reise-Landschaft“ entstehen, so kann ich das nicht verhindern.
Wenn Sie nun aber das Trägermaterial dahingehend verändern, dass es sich den bisher auf Leinwand und Chassis eingesetzten Materialien angleicht, das heisst, auch Fragen nach der Verwendbarkeit, der Erscheinungsweise stellt und überdies Farbe bereits in sich trägt, dann geschieht da ein Wandel vom Bild zum Objekt. Ist das konzeptuell zu verstehen?
Das Chassis finde ich nach wie vor eine gute Basis als Ausgangspunkt für ein Bild, doch man beschreitet einen Weg in der Zeit. Polyester als Träger interessiert mich, aber das ist nicht als Bruch mit Vorhergehendem zu verstehen. Es kommt ein Moment des Wiedererkennens dazu ohne dass dies für die Kunst indes letztlich relevant wäre. Aber der Gedankensprung vom grünen Wellpolyester zum Schrebergarten ist unausweichlich; und doch ist das Material nur, was es ist. Der Rest ist „aufgeladen“. Die grüne oder auch braune oder transparente Farbe ist nicht materialspezifisch wie Eisenchlorid etc., sondern lediglich eine Anpassung seitens der Industrie an die Wünsche der Konsumenten.
Wo entstand die Idee dazu?
Im Migros oder im Coop, ich weiss es nicht mehr genau. Indem sie Teile des Wellpolyesters mit bemalten, geometrischen Flächen unterteilen, entsteht ein konstruktives Moment, das zur Gesamtfläche und zum Raum in Proportion tritt. Überdies ist nicht mehr klar, ob weiterhin von Bild zu sprechen ist, von Objekt, von Relief oder von Wandverkleidung.
Sind Ihnen solche Überlegungen wichtig?
Da sind wir schon wieder bei den Schubladen. Bild? Objekt? Wandrelief? Das Benennen ist schwierig. Mir ist das einerseits egal, aber gleichzeitig finde ich es spannend, mit so wenig bereits Grenzbereiche anzutippen. Die Proportionen lasse ich mir von der Industrie geben; sie nimmt mir den Entscheid ab. Dasselbe gilt für die schwarze Dachpappe, mit der ich zur Zeit auch experimentiere. Soll man sie überhaupt noch bemalen oder gleich aufkleben? Für Solothurn, so sagen Sie, ist eine Wellpolyester-Wandverkleidung geplant. Ist das räumliche Moment in so deutlicher Ausformung ein neuer Aspekt?
Im Moment plane ich, die Wand in der einen Ecke des Solothurner Kabinetts durch asphaltbemalten Wellpolyester quasi zu ersetzen. Das ist eine Herausforderung. Ob das schliesslich funktioniert, wird sich erst vor Ort zeigen. Die Baunähe möchte ich aber in diesem Fall beibehalten.
Sie vertreten eine klare, sogar radikale Position. Ist diese im Kunstkontext bereits so wahrgenommen worden? Wo sehen Sie sich in Bezug auf die aktuelle Szene?
Heute, hier. Mal passieren meine Werke die Juries der Jahresausstellungen, manchmal auch nicht. Doch das ist Alltag. Spannung gehört dazu.
Wer reagierte als Erstes im Sinne von Unterstützung, Förderung?
Reaktionen gab es früh, doch die ersten, die mich fragten, ob ich bei ihnen ausstellen wolle, waren der Basler Galerist Franz Mäder und Daniel Gaemperle als Mitorganisator der Ausstellungen im Brauereikeller Laufen. Das war damals sehr wichtig für mich. Gefallen hat mir auch die Atmosphäre in der Galerie du Soleil in Saignelégier, fern ab von der Stadt, in sich stimmig. An den eidgenössischen Stipendienausschreibungen habe ich mich einmal beteiligt, doch ohne Preis. Gefreut hat mich 1997 der Werkjahrbeitrag des Kantons Solothurn. Auch die Wahl ins Solothurnische Kuratorium bringt neue, andere Herausforderungen, die ich als spannend erlebe, vor allem auch bezüglich Diskussion mit anderen künstlerischen Positionen und Strategien.
Für mich ist es indes wichtig, in einer existentiell freien Situation arbeiten zu können. Darum bin ich teilweise berufstätig. Ich unterrichte Oberstufen-Kleinklassen in Basel in diversen Fächern. Das ist nicht einfach, zuweilen energieraubend, aber auch herausfordernd und wertvolle Erfahrungen vermittelnd.
Ich kann mir vorstellen, dass diese geradezu kontrapunktische Tätigkeit Ihre Kunst indirekt mitbeeinflusst, im Sinne von laut und leise, Komplexität und Reduktion. Gerade auch die neuesten Graphiken, die Abdrucke von Holzpalletten zeigen, scheinen mir in diese Richtung zu gehen. Gleichzeitig sind sie auch Oeffnung. Haben Sie nie installativ gearbeitet?
Doch, doch, 1996 zum Beispiel, habe ich in Binningen zusammen mit meiner Frau, der Künstlerin Judith Eckert, und Bruno Leus die Installation „Landung“ realisiert. Dabei habe ich den Asphalt für einmal als dem Stein ähnliche Masse eingesetzt, daneben „Häuser“ gegossen und damit eine landschaftliche Komponente eingebracht. Da liegt sicher noch vieles brach, auch Kunst am Bau würde mich interessieren.