Mythos Frau im Kunsthaus Zug 1999

Werken aus der Sammlung

www.annelisezwez.ch     März 1999

Mit der 1998 erstmals präsentierten „Sammlung Kamm“ ist das Kunsthaus Zug zu einem bedeutenden Schweizer Museum geworden. Mit dem Sammlungs-Schwergewicht Expressionismus/Surrealismus drängte sich „Mythos Frau“ als Thema geradezu auf.

„Mythos Frau“ im Kunsthaus Zug ist keine wissenschaftlich aufgearbeitete Themenausstellung. Aber sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Kunstsammlung eines Museums inhaltlich spannend präsentiert werden kann. „Mythos Frau“ spannt einen Bogen von Toulouse Lautrecs „Femmes fatales“ (1896) über libidinöse Zeichnungen von Klimt, Kokoschka und Schiele bis zu Kurt Fahrners fantastischer „Vogelfrau“ (1975) und Martin Dislers wilden Geschlechterkämpfen aus den 80er Jahren. Diesen männlichen Visionen gegenübergestellt ist eine starker Saal mit themenbezogenen Arbeiten von Ilse Weber, Miriam Cahn, Hannah Villiger und Rut Himmelsbach.

Der Zuger Konservator Matthias Haldemann umschreibt Zeitepoche und Inhalt der Ausstellung treffend als „Emanzipation der Dissonanz“. Mit dem Aufkommen eines emotionellen „Ich-Bewusstseins“ um die Jahrhundertwende ging einerseits das Erkennen von Dissonanz einher, andererseits eine Rehabilitierung des Mythos als Projektionsfläche für die eigenen emotionalen Strukturen. Erstmals erscheinen Ende des 19. Jahrhunderts Körper und Geist, Fleischlichkeit und Spiritualität nicht mehr streng getrennt, sondern verbinden sich in der Vorstellung der Wesenhaftigkeit der Frau als Inbegriff von Gefühl, Natur und Körperlichkeit. Madonna und Eva werden eins. Lust und Leid, Leben und Tod, Angst und Begierde verschmelzen. Das Bild der Frau erscheint als Objekt der Verehrung und der Verdammung zugleich, je nach Individualität der gesellschaflichen und individuellen Umfelder der in der Ausstellung vertretenen Maler.

Mit der Erstarkung der Frauenbewegung anfangs der 70er Jahre wurden die männlichen Projektionen auf das Wesen Frau zum Streitobjekt. Es war Frauen nicht mehr länger möglich, auszuklammern, wie – als Beispiele aus der Zuger Ausstellung – Edvard Munch die „Sünde“ als hässliche Frau interpretierte, Gustav Klimt seine Modelle als sinnliche Objekte ausnutzte, Egon Schiele das Leiden an sich selbst in Bilder libidinöser Begierde transformierte. 25 Jahre später ist dieses Empfinden aus weiblicher Sicht zwar immer noch da, aber bereits sehr viel historischer, sehr viel näher an der Dramatik des männlichen Unvermögens, das eigene Empfinden anders denn als Projektion darzustellen.

Nicht zufällig beginnt Matthias Haldemann die Ausstellung mit drei Bildern, die Leben und Tod eng verknüpfen: Hodlers Skulptur der sterbenden Valentine Darel (1914), Richard Gerstls Bildnis von Mathilde Schönberg, 1908, ein Jahr vor dem Selbstmord gemalt, und „Vesna“ von Tomas Kratky, das der mit 28 Jahren verstorbene kurz vor seinem Tod, schuf. Die Frau erscheint als Entfliehendes, nicht Greifbares in einem sehr subtilen, emotionalen Sinn. Aufgewühlter und ambivalenter dann der zweite Raum mit Friedrich Kuhns „Ballerina“ (1965), Martin Dislers Vision eines Geschlechtertanzes und Gustav Klimts aufreizendem Rückenhalbakt. Hier drehen sich die Themen von Lust und Kampf und Traum im Kreis. Beide Aspekte – der des Lebens und der des Todes – begleiten durch die Ausstellung, in welcher die Wiener Expressionisten, aber auch Schweizer Künstler wie Fiedrich Kuhn, Max von Moos und Kurt Fahrner die Höhepunkte markieren.

Spannend ist zum Abschluss die Einsicht wie das Thema des „Mythos Frau“ von Gegenwartskünstlerinnen aufgenommen wird. Sei es – erneut – in der Einheit mit der Natur in „L.I.S“ von Miriam Cahn, in der Nichtgreifbarkeit des Körpers als Ganzes in den Foto-Skulpturen von Hannah Villiger, in der neuen Göttlichkeit der Mutterschaft in den Stein-Foto-Arbeiten von Rut Himmelsbach. Gleichzeitig wird durch die Abwesenheit jüngerer Künstler auch bewusst, dass das Thema für sie heute keine Relevanz mehr hat.