„Weltuntergang“ Harald Szeemann Kunsthaus Zürich 1999

Wenn die Apokalypse die Kunst ergreift

annelisezwez.ch Aargauer Tagblatt, Oktober 1999

Die Angst vor dem Tod ist eine Ur-Angst. Zu allen Zeiten hat sie im Wechsel von aussen und innen Bilder generiert. Bilder vom Untergang. In keiner anderen Kultur so dramatisch und expressiv wie im Christentum. Wer Aengste zu nutzen weiss, hat Macht. Um Strategien der Angst, um religiöse und weltliche Macht, um „Weltuntergang“ im Persönlichen wie im Kollektiven geht es in der jüngsten Ausstellung des grossen Kunst-Inszenators Harald Szeemann im Kunsthaus Zürich.

Eigentlich heisst die Ausstellung „Weltuntergang & Prinzip Hoffnung“. Doch es ist wie im Leben – mit Katastrophen ist mehr Aufmerksamkeit zu erreichen. So dominiert die Apokalypse – die über Jahrhunderte in Bildern gemalte, in tausendjährigen und gestrigen Objekten, Skulpturen und Installationen visualisierte, in Video und Film gedrehte, in Musik und Sprache übersetzte.

Nur einer Arbeit in der Ausstellung gelingt es, die Spannung, die sich in Geist und Körper angesichts von Sintfluten und Weltbränden mehr und mehr festkrallt, für ein paar erlösende Atemzüge aufzuheben. Der „Hunger“ nach Ruhe lässt die berühmten, mit Olivenöl durchsickerten Steinwannen, die „Olivestones“ von Joseph Beuys so ergreifend schön erscheinen wie nie zuvor. In einem fahl erleuchteten, lachsfarbenen Kabinett polen sie die negativen Kräfte der Weltuntergangsszenarien um.

Die Olivestones sind ein Teil der Referenz an die vorangegangene Ausstellung mit Werken von Rudolf Steiner, Joseph Beuys und Emma Kunz, die, so Harald Szeemann, das ‚Prinzip Hoffnung‘ bereits vorweggenommen habe. Eine etwas einfache Gleichung, Maestro. Oder ist vor lauter Untergangs-Visionen der Sarkasmus mit Ihnen durchgegangen, der nur ein life-style Werk ohne Tiefgang, wie das des engelhaften Performance-Paares ‚Eve und Adele‘ als ‚Prinzip Hoffnung‘ erlaubte? Jedenfalls sind die 156 farbenfroh gemalten Gerhard Richter-Plagiate mit der Aufschrift ‚Futuring‘ als Hoffnungsträger zum Heulen lächerlich.

Auch eine Ausstellung sei ein Medium, sagte Harald Szeemann an der Pressekonferenz. Damit gestand er indirekt, dass er sich immer weniger als vermittelnder Kurator sieht, sondern vielmehr als Künstler, der mit Kunst thematische Bilder schafft; subjektive, eigenwillige, obsessive. Installationen, die sich nicht um „man sollte“ und „man sollte nicht“ kümmern. Dass es ein Sakrileg sein könnte, „Eve & Adele“ und die „Olivestones“, Thomas Hirschhorns medienhörige Wandzeitungen zu den „Brandherden“ der Welt und Marc Chagalls grossformatiges Bild vom „Krieg“ aufeinander zu beziehen, weiss Szeemann wohl, aber es ist ihm egal. „Weltuntergang“ soll Provokation sein, soll Emotionen auslösen. Bruce Naumanns durchdringendes „Help me“, „feed me“ aus der Video-Installation ‚Antroh/Socio‘ von 1991 soll einem – wie einst an der Documenta 92 in Kassel – fast zum Wahnsinn treiben. Und Katharina Sieverdings riesenhafte, glühende Welten sollen uns klein machen. Und wenn es einem schliesslich in der Collage filmischer Katastrophenszenen schwindlig wird, so hat Szeemann sein Ziel wohl erreicht.

Manchmal gelingt es Szeemann, über Konfrontationen von Stilen, Zeiten und Darstellungsweisen unerwartete Intensität zu erreichen. Etwa wenn er das als Diaprojektion gezeigte ‚Jüngste Gericht‘ von Luca Signorell (1445-1523) aus dem Dom von Orvieto zum einen mit den zum Teil angebrannten, Verdammnis spiegelnden Objektreliefs der Schweizer Künstlerin Eva Wipf (1929-1978) in Beziehung bringt und die Vision noch einmal steigert durch die räumliche Nähe der die Welt verzehrenden Videoprojektion „Exit“ von Magnus Wollin (1965).

Nicht immer gelingt es dem intuitiven ‚Geistesarbeiter‘ indes den Ideen im Kopf emotional-bildliche Gestalt zu geben. So ist zwar die Idee, die Weltuntergangszenarien aus dem 19. Jahrhundert mit der verspiegelten, ’narzisstischen Raumkugel Nr.4′ von US-Stars Jason Rhodes (der zur Zeit in keiner Szeemann-Ausstellung fehlt) zu kombinieren, theoretisch eine zündende: Weltuntergangsvisionen als Kopfgeburten der Fantasie. Aber in der Umsetzung will die Gegenüberstellung der biblische Geschichten und Prophezeihungen illustrierenden Historien-Malerei und dem von Astronauten als Fitnessgerät für den schwerelosen Raum genutzen Objekt einfach nicht spielen.

Visuell unbefriedigend gelöst ist auch die an sich wichtige Einbindung von ideologischen ‚Weltuntergangs-Auslösern‘ wie Marx, Hitler, Stalin etc. über Bilder und Büsten. Eindrücklicher ist da Salvador Dalis Bild ‚Enigma‘ von 1939, das unter anderem eine Hitler-Foto in einem Suppenteller zeigt. In der Ausfächerung der Themen zeigt Szeemann aber eindrücklich, dass Weltuntergang nicht zwingend etwas Erdball-Umspannendes sein muss, sondern dass aus Machtansprüchen und der Unfähigkeit, Begrenzungen zu sehen, meist Lokales oder Individuelles zur globalen Vision wuchs respektive wächst.

Kaum jemand wird die sich schlangenhaft durch fast die ganze Ausstellung zwängende Plakatwand-Installation des Schweizers Thomas Hirschhorn (1957) nicht als lästig, einengend, anmassend empfinden. Die Vielzahl von Medienberichten zu ökologischen, politischen, sozialen, kriegerischen Themen unter Plastikfolie, die über Alufolienstränge mit plastikband-umwickelten Skulpturen auf der einen und Büchern von Dalai Lama auf der anderen vernetzt sind, stehen überall im Wege. Dass Szeemann den masslosen Künstler machen liess, entspricht indes dem Thema der Ausstellung, das nirgendwo differenziert, abwägend in Erscheinung tritt, sondern immer absolut. Das zeigt sich auch im Computer-Raum, wo Heils- und Untergangsvorstellungen zahlreicher Sekten abgerufen werden können.

„Weltuntergang & Prinzip Hoffnung“ ist nicht nur eine Ausstellung, sondern auch ein Buch, das sich dem Thema „Weltuntergang“ von der literarischen Seite widmet. Es ist der Autor Ernst Halter, der überhaupt den Stein ins Rollen brachte, mit seinem Buchprojekt ins Kunsthaus ging und damit die Zusammenarbeit zwischen Offizin Verlag und Museum lancierte. Auch das Buch spannt Jahrtausende aus, von der Offenbarung Johannes über das Gilgamesch Epos bis zu zeitgenössischen Visionen. Im Gegensatz zur Ausstellung ist es konzeptueller aufgebaut, unterteilt in Themenbereiche wie „Angst und Panik“, „Höllenvorstellungen“, „Sintflut“, usw.

Kunsthaus Zürich: „Weltuntergang & Prinzip Hoffnung“, eine Ausstellung, inszeniert von Harald Szeemann. Bis 7. November. Das Buch zur Ausstellung: „Weltuntergang“, herausgegeben von Ernst Halter und Martin Müller. Offizin Verlag, Zürich.