10. Schweizer Plastikausstellung in Biel: Junge Kunst im Bann von TV, Leben, Sport, und Musik 2000

Wer provoziert muss sich um Reaktionen nicht sorgen

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez im Bieler Tagblatt vom 19. Juni 2000

Ein Strauss vielfältigster Ansprachen im PasquArt und vor dem Kongresshaus erklärte Biel am 17. Juni zur Kunst-Stadt : Mit einer Motorrad-Burnout-Choreographie wurde die 10. Bieler Plastikausstellung eröffnet.

Was ihm eigentlich einfalle – er könne sich sicher sein, die kommen nun mit Bussen angefahren, nur um in Biel gratis zu baden. Nik Thönen, Hofgrafiker von ”Transfert – Kunst im urbanen Raum” erlebte schon beim Montieren der vom dänischen Künstler Jens Haaning konzipierten Tafel ”Ausländer haben während der Ausstellung freien Eintritt ins Bieler Hallenbad”, was es heisst Kunst einzurichten, die von der Bevölkerung nicht mit dem gängigen Kunstbegriff vereinbar ist. Biel steht wohl ein heisser Kunst-Sommer bevor. Bereits ”verschlungen” – so Stéphane de Montmollin in seiner Vernissage-Ansprache – wurde die ganz andere Gratis- ”Provokation” des Thailänders Surasi Kusolwong. Sein ”Free For All Project” – ein bunter Plastik-Strassenmarkt entlang der Schüss, bei dem man sich sein Lieblingsstück auswählen und mitnehmen darf, überlebte nur gerade einige Stunden. Dann war alles ratzekahl – es blieben nur die Plastikschnüre, mit denen die bunten Sachen befestigt waren. Wie weit der Künstler angesichts des Ersterlebnisses, wie vorausgesehen für Nachschub sorgen wird, ist zur Zeit offen.

Zu fürchten, dass die im Stadtfeld Bahnhof – Guisanplatz – Zentralplatz – Kongresshaus plus Umfeld Centre PasquArt situierte 10. Schweizer Plastikausstellung nun schon gescheitert sei, ist allerdings falsch. Denn beide Reaktionen waren grundsätzlich geplant. Jens Haaning ist kein Softie, der einfach etwas tun will für die ”armen Ausländer” – er geht weiter: Niemand muss an der Kasse des Hallenbades einen Pass zeigen – jeder entscheidet für sich ob er den vollen Preis oder jenen für Bieler/-innen bezahlen will oder sich – ob zu Recht oder nicht – als Ausländer/-in ausgibt und gratis schwimmen geht. Da wird Kunst mit Absicht politisch. Und auch Kurasi Kusolwongs ”Free for all Project” ist nicht naiv – auch es spielt klar mit dem Verhalten der Menschen – denn was geht jetzt in jenen vor, welche die bunten Haushalt-Dinge bei sich zuhause haben und sich (vielleicht) plötzlich bewusst werden, dass es sich dabei um ”Kunst” handelt?

Eines wird aber dennoch klar: Dass die jungen Kunstschaffenden heute keine Skulpturen im gängigen Sinn im öffentlichen Raum aufstellen, sondern sich unter anderem in den Schutz von Schächten und Ladengeschäften begeben, hat nicht nur ”künstlerische” Hintergründe, sondern auch ganz praktische. Ein zähnefletschendes Knurren aus einem Hausschacht (Abilgale Lane/Zentralplatz) kann nicht demoliert werden. Und das Autowrack des Genfers Gianni Motti, das auf Parkplätzen da und dort steht (zur Zeit am Zentralplatz), ist eh schon kaputt. Der Künstler, der den Bieler Lauf-Marathon vom 17. Juni um drei Meter verlängern liess, um die ”Gianni Motti-Zeit” zu stoppen, ist bekannt dafür, dass er Kunst und Biografie verknüpft; so sass er tatsächlich im Auto, als der Crash geschah. Aber statt das Auto zu entsorgen, macht er es zur ”Trophäe”, um sich vom Schock zu erholen. Wer sich auch davon provozieren lässt, übersieht, dass es mit Humor besser geht. Denn die aktuelle Künstler/-innen-Generation liebt subversiven Humor. Er bestimmt auch die unübersehbare Aktion des Baslers Christoph Büchel, der – beeindruckt vom Um- und Aufbruch in Biels Innenstadt – mit Vermietungs- und Verkausannoncen auf seine Art zur ”Attraktivierung” beitragen will. Wer telefoniert, ist mit London verbunden und hört da unter anderem ab Band, dass Biel eine ”nice town in Switzerland” sei.

Witzig, ja, aber Kunst? Immer wieder drehte sich das Gespräch an der Vernissage um diesen Punkt. Das zeigt wie schwierig es ist, sich von festgefahrenen Begriffen zu lösen. Die jungen Kunstschaffenden, die in Biel mit dabei sind – es gibt parallel jede Menge andere Kunstrichtungen – orientieren sich nur sehr partiell an dem, was Kunst bisher war. Was sie interessiert, ist das urbane Leben in all seinen Facetten, die Welt des Films, des Sportes, der Musik – daraus beziehen sie ihre Inspirationen und verschieben die Inhalte so, dass sie zu Denkfeldern werden. ”Der Gedanke ist Skulptur” sagte Joseph Beuys einmal. Und Marc Olivier Wahler, Direktor der 10. Bieler Plastikausstellung, spricht von der Kunst als einem Vektor, der die Gedanken im Kopf beschleunige.

Vielleicht meinte der begeisterte Scooter-Fahrer damit auch die Aktion des letztjährigen Schweizer Biennale-Venedig-Teilnehmers Lori Hersberger: Dieser bestellte nämlich zur Transfert-Eröffnung drei Motorradfahrer nach Biel, die mit viel Rauch, Gestank und Motorengeheul eine ”Gummipneu-Zeichnung” auf die Strasse applizierten; ”Burnout-Choreographie” nennt sich das. Die Lust an der feurigen Kraft – schon immer eine Faszination, auch für die Kunst. Spannend wird’s wenn man Hersbergers Aktion mit der Arbeit von Nika Spalinger hinter dem Kongresshaus in Verbindung bringt – dahin, wo das Bieler Verkehrsproblem scheinbar gelöst ist, denn da brausen die Autos unterirdisch durch die Stadt (zumindest tönt es so).

Nicht weniger als 39 Künstlerinnen und Künstler sind an ”Transfert” beteiligt – eine reiche Manifestation, der man mit wachen Augen vielerorten in Biel begegnet, sei’s auf der Strasse, am Bahnhof, in der City-Apotheke, in der Migros, bei Radio TV Steiner, dem Do-it-yourself-Geschäft Schaffner, im Verkehrsbüro, auf Plakatwänden, auf der Strassenbank. Einzig um Renaud August Dormeuils blumige Code-Zeichen für die Luftfahrt zu sehen, muss man im Kongresshaus bis in den 16. Stock hinauf, wobei man besser den Lift nimmt, als sich mit Hilfe von Ulrike Grubers orangefarbenen Klettergriffen hinaufzuhangeln.

Eine ausserordentliche Leistung von ”Transfert” ist der 460 Seiten starke Katalog, der sämtliche Bieler Arbeiten im Bild festhält, mit theoretischen Texten das Konzept begründet und viele weitere Informationen enthält (für 55 Franken im CentrePasquArt und im Verkehrsbüro am Bahnhof erhältlich). Für das Wie, Wann und Wo dient die Programmzeitschrift, die am Freitag dem Bieler Tagblatt beigelegt war und vielerorten in der Stadt aufliegt .