”Zeitpunkte” Galerie René Steiner Erlach 2000

Neun Positionen

www.annelise Zwez    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Juni 2000

Wer eine Galerie für zeitgenössische Kunst professionell führen will, muss Risiken eingehen. Zum Beispiel mit Invesitionen in Neue Medien. ”Zeitpunkte” in der Galerie René Steiner in Erlach wagt’s.

Wer die Kunst der Jahrtausendwende nicht nur zeigen, sondern fördern und schliesslich verkaufen will, muss umdenken. Es reicht nicht mehr, Räume für Bilder zur Verfügung zu stellen und rote Verkaufspunkte zu platzieren. Denn um die Kunst in den Köpfen der Kunstschaffenden zu realisieren, braucht es zunächst Geld – insbesondere im Bereich der elektronischen Technik. Weil die Kraft der jungen Kunst indes stark ist, kommt chronischen Klagen zum Trotz immer wieder Erstaunliches zustande. Und dies nicht nur in Zürich, sondern auch in Erlach. Die Galerie René Steiner zeigt neun vorwiegend junge, beachtenswerte, zeitgenössische Positionen.

Für die Auswahl zeichnet der junge Thuner Kurator Bernhard Bischoff. Diese ist – und das macht ortsbezogen Sinn – bernlastig, mit einer Achse zur F+F Medienschule in Zürich, wo zahlreiche Berner studieren respektive als Lehrkräfte tätig sind. In unserer mobilen Gesellschaft heisst dies nicht, dass die Ausstellung nicht gleichzeitig international ist. Ferner ist aus Region „relax” mit dabei.

Vom Salon bis in die Gruft
Ausgehend von dem Jahrhunderte verkörpernden ”Mayhaus”, in dem sich die Galerie befindet, wurde die Zeit als Thema gewählt. Obwohl einige Arbeiten in diesem Kontext gesehen werden können, ist die Stärke der Ausstellung nicht ihre Thematik. Die die einzelnen Arbeiten bündelnde Qualität liegt vielmehr in der Sorgfalt der Inszenierung in den vielfältigen, historischen Räumen – vom bürgerlichen Salon bis hinunter in die Gruft. Einen ironischen Touch gibt der Ausstellung gleich zu Beginn ein mit einem Digital-Druck beschichteter Stahl/Kunststoff-Tisch. Zu sehen sind darauf eine Vielzahl von Bienen mit einschlägigen Namen wie ”Harald Szeemann”, ”Katharina Fritsch”, ”Stelarc”, ”Albert Anker”, ”Jean Clair” usw. Die Bieler Künstlergruppe ”relax” (Chiarenza/Hauser/Croptier) macht sich mal wieder lustig über das Betriebssystem Kunst. Welche Biene mit welchem Tanz wen über ”reiche Pfründe” orientiert, ist der Fantasie anheim gestellt; der summende Tisch heisst eh ”Gerüchte”.

Handfest
Handfesteren Humor spiegeln die mit der Laubsäge reich verzierten Plumpsklosetts des Thuners Reto Leibundgut. Niemand sonst geht so direkt auf die Zeit als Geschichte ein. Ob allerdings die Landvögte so deftige Sätze ”Meine Dose will” oder ”Spanier haben tolle Schwänze” in ihre Notdurft-Zellen eingeritzt haben, weiss niemand. Harmloser ist da schon der Vermerk ”Komme oft am Mittwoch um 14 Uhr”. Leibundgut hat 1999 ein Eidgenössisches Stipendium erhalten; ob er wirklich mehr ist als ein Laubsäge-Künstler, klärt auch die Erlacher Arbeit nicht.
Eine Entdeckung hingegen ist die junge Bernerin Andrea Loux. Anders und doch in einem vergleichbaren Klima mit der (hier fehlenden) Chantal Michel arbeitet sie mit dem Körper im Raum und seinem Abbild im Video. Einer Schlangenfrau ähnlich nistet sie sich in Schränke und Kisten ein, die als geometrische Formen den Rahmen für das Körper-Bild bestimmen. In Erlach zeigt sie die Vervielfachung des Prinzips in einer ”Wohnwand”.

Engel nehmen sich leicht
Erstaunliche viele Kunstschaffende verbinden Bild und Schrift in ihren Arbeiten. Auch Franticek Klossner in seinen ”Fünf Augenblicken und zehn Gedanken zwischen Napoli und Köln”. Auf Blau reduzierte Stills aus dem Fahrt-Video überschreibt er doppelseitig mit Dingen, die ihn beschäftigen. Naturwissenschaftliches und Träumerisches. Wer sich die Mühe nimmt die Schriftschichten zu differenzieren, erhält als Lohn den schönsten Satz der Ausstellung: ”Engel können fliegen, weil sie sich leicht nehmen”. Auch die oft mit Fotografie arbeitende Simone Zaugg kombiniert Bild und Schrift – als Zusammenarbeit mit dem jungen Schriftsteller Michael Stauffer. Während der Text auf den geheimnisvoll-romantischen Garten-Aufnahmen mit einem ”Geistwesen” aus ferner Zeit fast nur als Schrift-Bild wirkt, setzendie Worte im Nebeneinander von ”Lulu und Foxi” einen Akzent. Da ist von Blumen die Rede, Abbildungen in einem Buch. Und weil der Blumensuchende das Buch nicht findet, erschiesst er das Büchergestell …

Die Ausstellung ist von einem Katalog begleitet; allerdings einem jener überflüssigen, die trotz je vier Seiten ”cartes blanches” für die Kunstschaffenden, schliesslich kaum Informationswert haben; umsomehr als der Text des Kurators nicht über Gemeinplätze hinauskommt.

Galerie René Steiner, Erlach: ”Zeitpunkte”. Mit Roberto de Luca, Erik Dettwiler, Franticek Klossner, Reto Leibundgut, Andrea Loux, Maricruz Penaloza, relax, Verena Schwab, Simone Zaugg. Bis 20. August. Do bis So 14-19 Uhr.