Alex Hanimann Paul Graf Kunstmuseum Solothurn2000

Nicht nur, vielleicht, mir scheint

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Januar 2000

Der Ostschweizer Künstler Alex Hanimann (geb. 1955) ist ein Meister des Widerspruchs. Dem Ja folgt stets das Nein. Das Medium, das er nutzt, ist die Zeichnung. Im Kunstmuseum Solothurn zeigt er an die 1000 Blätter; eine Ausstellung zum Lesen.

Man weiss es: Schweizer Kunst gibt es nicht. Und doch ist eines einfach nicht zu übersehen: Nirgendwo sonst sind so viele herausragende Werke entstanden, die ganz primär in der Zeichnung wurzeln; von Otto Meyer-Amden über Adolf Wölfli bis André Thomkins. Speziell in den 70er Jahren stand das Zeichnerische im Mittelpunkt – kein anderes Medium eignete sich besser für das Hinterfragen von Bild und Gesellschaft, wie es damals die Kunst bestimmte. Der 1955 in St. Gallen geborene Alex Hanimann kam anfangs der 80er Jahre zur Kunst. Sein Schaffen trägt die zeichnerischen 70er Jahre im Rucksack, ist zugleich aber eindringliche Reaktion auf die Bild- und Informationsflut der Gegenwart. Nichts, bei dem heute nicht das eine und zugleich sein Gegenteil „bewiesen“ werden könnte. Den Künstler ängstigt dies und so wird es zum Inhalt seines Schaffens.

Hanimanns Werk sei zugleich faszinierend wie frustrierend, sagt der Solothurner Museumsleiter Christoph Vögele, denn die zeichnerische Klarheit, mit welcher es daherkomme, sei ein Trugschluss. Einzelne Denkabläufe liessen sich zwar analysieren, doch bleibe immer ein Rest Irrationalität, der einem spüren lasse, dass es keinen festen Grund (mehr) gebe. Gerade diese Ambivalenz gehört aber zu den Stärken des Werkes, das, obwohl weder populär noch spektakulär, heute international zu den wichtigen Schweizer Oeuvres gezählt wird. Der 270 Seiten starke Katalog zur Ausstellung in Solothurn und im Leopold Hoesch Museum in Düren ist ein Indiz dafür. Die rund 1000 Blätter, die in Solothurn zu sehen sind – sie entsprechen etwa einem Drittel des zeichnerischen Werkes der letzten 10 Jahre – werden auf einem langen, sich über mehrere Säle dahinziehenden Tisch präsentiert. Sie zu lesen erfordert Konzentration und trotzdem ist man am Schluss des labryinthischen Parcours durchaus folgerichtig da, wo die Thematik des Werkes selbst auch ist: Am Punkt, da der Versuch, die Fülle der Bilder zu fassen, im eigenen Kopf zum Chaos wird.

Der täglichen Erfahrung mit  dem Leben entsprechend, gilt es darum, beim zweiten Rundgang – oder beim Lesen des Kataloges – Einzelnes zu wählen. Gleich zu Beginn der Ausstellung findet sich zum Beispiel ein Schriftblatt – seit 1992 setzt der Künstler die Wortebene analog zur zeichnerischen ein – auf dem in Grossbuchstaben zu lesen ist: „Menschen werden mit Sicherheit irgendwann mit Tieren reden können“. Neugierig sucht man in den nahe liegenden Zeichnungen mit Tieren – Hunden, Affen, Pferden – nach einer Ergänzung der Aussage, doch man wird nicht fündig. Hanimanns Zeichnungen sind keine Erzählungen und geben schon gar keine Erklärungen, sie breiten nur – oft Lehrbüchern ähnelnd – Möglichkeiten, Stellungen aus. Und schliesslich findet man das zweite Wortblatt: „Menschen werden mit Sicherheit nie mit Tieren reden können“. Der Kreis ist geschlossen, das Resultat ist null. „Was wirklich, was vorstellbar oder was möglich ist“, liest man im Weitergehen auf einem anderen Blatt oder, in anderem Zusammenhang, „Etwas ist so, wie ich es mir vorstelle, und etwas ist nicht genauso, wie ich es mir vorstelle“. Es ist zuweilen die Sprödheit Hanimanns, die einem emotional reagieren lässt.

Hanimann ist nicht im landläufigen Sinn ein Zeichner. Das, was er selbst zeichnet, ist marginal. Vieles paust er aus Büchern oder anderen Druckerzeugnissen. Damit verweist er darauf, dass es sich um ein bestehendes Bild handelt, verrät aber nicht, was er möglicherweise daran geändert hat. Zum Beispiel, ob er die Figuren auf einen Sockel gestellt hat – wahrscheinlich, denn das Motiv des Sockels, mit dem Bedeutung gegeben oder, im Gegenteil, ins Lächerliche gezogen werden kann, kehrt immer wieder. Den abbildenden Zeichnungen mit Menschen und Tieren stehen immer auch zeichenhafte Blätter gegenüber, die als Strukturen die Denkinhalte spiegeln, die Hanimann umtreiben. Labyrinthe zum Beispiel, Endlosschlaufen, aber auch Blätter mit geometrischen Ordnungen, die sich in Reihen im Kreis drehen oder auch nur leere Formulare sind.

Erstmals spürt man in der Solothurner Ausstellung auch, dass Überlegungen zum digitalen Bild, das „Wahrheit“ mehr denn irgend ein anderes Medium in Frage stellt, erscheinen. Typischerweise sind es Ketten, Reihen, Barrieren, die er auf dem Computer generiert; als ahnte er, dass der digitale Raum für ihn den „freien Fall“ bedeuten könnte. Wohl nicht zufällig schreibt er einer Reihe von Blättern mit kleinen, schlotternden Robotern Wörter wie „Nicht nur“, „vielleicht wenn“, „mir scheint“ ein.

Katalog: Verlag für Moderne Kunst Nürnberg.

Paul Graf im Grafischen Kabinett
Erstmals nutzt das Kunstmuseum Solothurn den schwach erleuchteten Raum, der üblicherweise der „art primitif“ aus dem Musée Barbier-Muller vorbehalten ist, für eine Video-Arbeit. Der 30jährige Appenzeller Paul Graf nutzt das konstruktive Moment von Raum und Glasvitrinen für eine „transparente“ Installation mit mehreren Monitoren. Auf allen Bildschirmen ist der Hinterkopf des Künstlers zu sehen, der aus seinem Atelier in Düsseldorf auf die Hinterhof- und DB-Geleise-Landschaft der Stadt schaut. Bei Tag, bei Nacht, im Frühling und im Sommer. Dabei singt er Lieder, die ihm spontan in den Sinn kommen – von Kinderversen bis zu Popsongs. Die Mehrfachpräsentation lässt die Lieder zu einer übergeordneten Raum-Klang-Installation werden, die unter dem Stichwort „Seeing the Elephant“ dem alltäglich-banalen Fensterausblick etwas Romantisch-Verträumtes gibt. Aehnlich sensibel und nüchtern zugleich kommen die Camera-Obscura-Bilder im grafischen Kabinett daher, die sowohl Schachtel (Kamera) wie die damit realisierten Aufnahmen (schlafende Hunde) zeigen. Und durch die Konzentration auf eine Wand auch den Museums-Raum als „Schachtel“ erscheinen lassen. Dass dies alles in den Schichten unseres Hirns Idee wird, zeigt der Défraoui-Schüler schliesslich in einem Planschrank, in dessen Schubladen die Schichten seines eigenen Gehirns in Form von Tomographien lagern. Schade, dass der aufwändige Katalog (Text: Franz Müller) vor allem im Bildteil die konzeptuelle Kraft des Werkes zu wenig herausarbeitet.