Franz Anatol Wyss Zimmermannshaus Brugg .2000

Wenn’s in Berlin brennt, bin ich da

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Aargauer Zeitung 12. Januar 2000

Noch bevor die Mauer gebaut wurde, war er erstmals in Berlin. In den 80er Jahren stellte er im Osten aus und als es in Rostock brannte, zeichnete er. Berlin ist Franz Anatol Wyss‘ Wahlheimat. Er ist Gast im Zimmermannshaus in Brugg.

Kaum jemand, der sich an eine Zeit erinnern kann, da Franz Anatol Wyss nicht Teil der Schweizer Kunstszene war. Seit 1966 ist er eine ihrer Konstanten, sowohl was die Präsenz seines graphischen, zeichnerischen und – seltener – malerischen Werkes in Galerien und kleineren Museen anbetrifft, wie bezüglich der Erscheinungsform seines Werkes selbst. Zwar gibt es von den apokalyptischen Landschaften der 70er Jahre zu den Spaziergängen auf dem Todesstreifen zwischen Ost- und Westberlin durchaus Entwicklung – sein Schaffen ist in den 90er Jahren wesentlich expressiver geworden – doch das „Alphabeth“ ist im Kern dasselbe. Wer freilich vom immer selben spricht, hat nicht genau hingeschaut.

Schon als 15-Jähriger habe ihn Berlin – die besiegte Stadt im Spannungsfeld des Machtpokers zwischen Ost und West – fasziniert, sagt der Künstler, der am 1. Mai 60 Jahre alt wird. Auch wenn jugendliche Vorstellungen nicht überschätzt werden dürfen, so ist in den Machtstrukturen zwischen Aufbau und Zerstörung doch der rote Faden zu finden, der Franz Anatol Wyss‘ ganzes Werk durchzieht.

„Ich bin einen Ruinenfetischist“, sagt er und verweist damit auf das zentralste Motiv in seinem Schaffen. Auf die Frage, was denn der Begriff „Ruine“ für ihn bedeute, meint er: „Ruinen sind vom Menschen gebaute Architekturen, die durch Machteinwirkung – welcher Art auch immer – nur noch Spuren ihrer selbst sind und über kurz oder lang von der Natur zurückerobert werden“. In dieser (Kunst)-Welt lebt Franz Anatol Wyss und was immer ihm das Leben an Neuem bringt, es wird in diese Symbolwelt von Aufbau, Zerstörung und Erneuerung zwischen Urzeit, Mensch und Natur integriert.

Kein Wunder also, dass Berlin im Wechsel zwischen Niederlage, Wiederaufbau, Abgrenzung und Wende wie ein Spiegel ist für seine eigene Welt. Seit er regelmässig zwei Monate pro Jahr in Berlin verbringt, nimmt die Stadt in seinem Werk einen zentralen Platz ein. Nicht in einem illustrativen Sinn – es gibt wenig direkt Erkennbares – sondern in einem inhaltlichen wie in einem künstlerischen Sinn. Nirgendwo sonst haben expressive Tendenzen eine solche Tradition wie in Berlin. Wenn Wyss‘ Werk in den letzten Jahren deutlich lebendiger, farbiger, emotionaler und sinnlicher geworden ist, so ist das ein direkter Einfluss Berlins und zwar nicht nur Westberlins, sondern auch Ostberlins. Figuren belebten die wyssschen Szenerien schon immer, doch waren sie früher fiktional, so scheinen sie nun aus Fleisch und Blut zu sein.

Ob der wiederkehrende Spaziergänger mit den grossen Füssen letztlich er selbst sei, wollten wir wissen. Die Erdverbundenheit dieser neugierig durch die Welt ziehenden Figur, sei sicher ein Stück von ihm, bestätigt der Künstler. Doch da sind neuerdings auch weibliche Figuren – sinnliche Zeichen. Und „das Tier“, das sich mit dem Menschen verbündet und doch anders ist. Der Gaukler auf dem Rad hingegen, den gab es eigentlich schon immer, aber er ist flitziger geworden, stürzt auch öfter mal ab.

Dienten dem Künstler früher oft die Berge als Orte des Geschehens, ist es nun die Stadt mit ihrem pulsierenden Leben zwischen Lust, Freude, Gewalt und Bedrohung. Je genauer man hinschaut, desto mehr entdeckt man die Präsenz des Unheilvollen. Der Enthauptete, der da immer wieder auftaucht, ist so real gemeint wie gezeichnet. Ob in den „Berliner Spuren“, dem „Stadtleben“, dem „Stundenbuch“ oder dem Schwarz-Weiss-Zyklus – die vier Kapitel der Brugger Ausstellung – immer ist Franz Anatol Wyss zeichnerische Fantasie ein Wechselbad zwischen Leben und Tod.