Claudio Moser Museum Allerheiligen Schaffhausen 2000

Fotografie als Malerei im Unterholz

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Schaffhauser Nachrichten 11. März 2000

Claudio Mosers grossformatige Waldaufnahmen im Museum Allerheiligen nehmen die Betrachtenden mit ins Unterholz; dorthin, wo das Licht entscheidet, ob Leben wächst oder verdorrt.

Claudio Moser hat sich mit einer gesunden Portion Ehrgeiz und einem starken Willen zur eigenen Sicht auf die Dinge eine wichtige Position in der aktuellen Schweizer Kunstszene erarbeitet. Formal prägendes Moment seines Schaffens war lange Zeit ein filmischer Verlauf. Er fügte Bild-Reihen zu horizontalen Sequenzen, sodass sich im Abschreiten für die Betrachtenden ein Film-Moment ergab. Er gab ein Buch heraus, das sich trotz unterschiedlichster Motive in gewissem Sinn wie ein Daumen-Kino blättern liess. Oder er arbeitete mit einer Panorama-Kamera, die Weite einfing. Immer waren Claudio Mosers Aufnahmen schwarz/weiss, nicht zuletzt um die Möglichkeiten von Schärfe und Unschärfe auszuloten. Seine Motive fand er fast durchwegs im Alltag; nur wenige inszenierte Aufnahmen (mit seiner Lebenspartnerin zum Beispiel) haben sich in die Erinnerung eingeschrieben.

Von Anfang an zeigte Claudio Moser seine Fotoarbeiten im Kunstkontext, was in der zweiten Hälfte der 80er Jahre noch keineswegs selbstverständlich war und es dem Künstler nicht einfach machte, sich Gehör zu verschaffen. Seine Aufnahmen waren für viele zu wenig verführerisch, zu spröde, ja gar langweilig in ihrer zurückhaltenden, grauen Erscheinung. Erst die Schärfung des Blicks für die spezifischen Eigenschaften des Mediums in den letzten Jahren, die Gewohnheit Fotografie nicht nur auf ihre abbildenden, sondern auch ihre “malerischen” Momente hin wahrzunehmen, haben die Qualität von Claudio Mosers Schaffen ins Licht gerückt.

Prägend für die grosse Entwicklung, die sein Schaffen in den letzten zwei Jahren genommen hat, war zweifellos der einjährige Aufenthalt im Atelier der Eidgenossenschaft in New York, 1996/97. Es kam nicht nur die Farbe hinzu, sondern auch eine verstärkte Konzentration auf kompositorische Momente – Gewichte, Proportionen, Horizontale, Vertikale, Diagonale. Urbane Themen wechselten mit naturnahen. Die erste Ausstellung nach der Rückkehr, 1998 in Neuenburg, zeigte die Entwicklung im Fluss. Die aktuellen Ausstellungen in Schaffhausen – und gleichzeitig in der Kunsthalle Basel – zeigen nun die Ernte. In Basel steht der urbane Raum im Zentrum, in Schaffhausen zeigt Claudio Moser ausschliesslich Waldmotive.

Das entscheidende Moment für die neuen, grossartigen Aufnahmen ist eine Drehung um 90°, das heisst die Blickausrichtung ist nun nicht mehr horizontal von links nach rechts schweifend, sondern geht frontal ins Motiv hinein. Die Eingangsfoto im Foyer, die Wiese als Feld, den Waldrand als Horizontale und die Baumstämme als Vertikale zeigt, markiert den Schnittpunkt. Von hier geht der Künstler in den Wald hinein, taucht quasi ins Unterholz. Wie immer ist sein Blick auf Licht, auf Amtosphäre, auf Form ausgerichtet. Es ist indes nicht primär die Nähe zu den Stämmen, zum Boden, zum Laub, zum Geäst, die im Wechsel mit Sonne und Dämmerung andere Bilder als früher entstehen lässt – schon 1988 gab es eine Reihe mit dem Titel “Blattwerk”. Es ist die erstmalige Vergrösserung der Bilder auf unsere Körperdimensionen, die emotional völlig neue Effekte hervorbringt. Wir sind nicht länger nur Betrachtende, sondern fühlen uns selbst am Standort des Künstlers mitten im Wald. Damit wird die Bildbetrachtung zum körperlichen Erlebnis, das über das Visuelle hinaus zur unmittelbaren Erinnerung an eigene Waldspaziergänge wird.

Ein weiteres, wesentliches Moment ist technischer Art. Claudio Moser präsentiert die Aufnahmen als Ink-Jet Drucke, wissend, dass die Pixel-Struktur durch die Farbschichten und die Rasterung ungewöhnlich räumlich wirkt und Schärfe/Unschärfe geradezu malerisch herausbringt. Somit ist der Effekt doppelter Natur: Zum einen holt uns der Künstler geradezu “real” ins Bild, zum andern rückt er die Fotografie durch die Präsentation in die Nähe der Malerei und appelliert somit gleichzeitig an dieses Wissen in uns.

Warum ist der Künstler nicht früher auf diese wesentlich effektvollere, Art der Fotografie eingestiegen, die ihn eigentlich etwas verspätet in den Kontext mit den marktführenden Fotografen stell?. Vielleicht weil er erst heute die Sicherheit in sich hat, mit den Aufnahmen nicht einfach zu “verführen”, sondern sie in ihrer ganzen Nähe und Kraft in sich zu tragen. Denn nur so kann es gelingen, das Impressionistische in Hintergründigkeit zu wandeln; den Wald als Lebens-Raum zu zeigen.

Auch das Video, das der Künstler im Graphischen Kabinett zeigt, vermittelt dies. Denn was hier zunächst fast zu alltäglich wirkt, wird mit der Länge des Gehens im Wald (sprich: Verweilen vor dem Video) zur gebündelten Erfahrung von Zeit, von Licht, von Leben.

Kleiner, sorgfältig edierter Buch-Katalog mit einem Text von Markus Stegmann.