Mariann Grunder Salle Poma CentrePasquArt Biel 2000

Der innere Aufbruch zur äusseren Freiheit

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt August 2000

 

Die Einzelausstellung von Mariann Grunder im CentrePasquArt ist die Überraschung im aktuellen Rückblick auf die Schweizer Plastikausstellungen in Biel. Das plastische Ensemble „Intérieur” zeigt die 74jährige so jung wie nie zuvor.

Seit 1992 arbeitete die Berner Bildhauerin Mariann Grunder an einer Werkgruppe, der sie von Anfang den Titel „Intérieur” gab. Und dies auch so meinte: In der Salle Poma, dem Oberlichtsaal des Centre PasquArt, sind ein Cheminée, ein Sessel, ein Bett, ein Tisch, ein Teppich, ein Fenster und eine Topfpflanze zu sehen. Aber auch ein Kopf, eine Fremde Figur und ein Schmetterling. Die Dinge sind in ihrer Funktion und Art erkennbar. Ein Designer könnte sich inspirieren lassen. Doch in ihrer künstlerischen Präsenz sind die Marmor-, Bitumen, und Plexiglas-Arbeiten durch und durch Skulptur. Sie spannen einen Bogen von der traditionellen Steinbearbeitung bis zur aktuellen, plastischen Gestaltung mit unterschiedlichsten Materialien. Sie spiegeln in ihrer Weite die Schaffenszeit der Künstlerin, die seit den 50er Jahren tätig ist.

Dass Mariann Grunder sich den Ort für die Ausstellung des „Intérieurs” selbst gesucht hat, Andreas Meier schon aufgrund der Pläne für das neue Kunstmuseum sagte, dass sie diese, ihre grösste bisherige Werkgruppe im Oberlichtsaal zeigen möchte, hat nichts mit Arroganz zu tun. Es zeigt nur sehr eindrücklich, dass Mariann Grunder als weiblichem Bildhauer in ihrem Künstlerleben nur ganz selten etwas in den Schoss gefallen ist. Kämpfen und „ihren Mann stellen” war jahrzehntelang Notwendigkeit und vielleicht manchmal auch ein Stück weit Blockade. Meret Oppenheim war ihr als Frau Vorbild, doch zu verschieden sind ihre Werke, um sie wirklich in einem Atemzug zu nennen. Doch dann, nach dem Tod der Älteren (1985), einer sich langsam weitenden Anerkennung der Arbeit von Künstlerinnen und einer ersten Museumsausstellung im Kunstmuseum Bern (1986), findet Mariann Grunder mehr und mehr zu innerer Freiheit. Die 60jährige bricht plötzlich auf in die Welt und glaubt an das, was ihr „zufällt”. „Müssen” und „Sollen” streicht sie aus ihrem Vokabular ohne indes ihren mit viel Erfahrung und Können gefüllten Rucksack auszukippen. Den „Ikarus”, den sie 1986 in New York aus Abbruch-Holz fügt, lässt sie, der Sage entsprechend, zerschellen, doch nur um für sich selbst neue Kraft zu gewinnen.

Sechs Jahre später beginnt Mariann Grunder mit der Arbeit an „Intérieur”. Erste Skizzen entstehen 1992 in Paris in der ehemaligen Wohnung von Meret Oppenheim, die sie seit 1983 zeitweilig nutzen durfte. Ein fotografischer Vergleich zeigt, dass das Cheminée, die Topfpflanze und das Fenster da Mass nahmen. Auch der Sessel hat eine Pariser Reminiszenz: Den Schaukel-Sessel in der Wohnung von Olga Picabia, der Witwe des Künstlers, bei der Mariann Grunder von 1959 bis 1983 wohnte, wenn sie in Paris war. „Die Verwandtschaft der erinnerten Stücke mit den neu geschaffenen”, so schreibt Marie Theres Bätschmann im reichhaltigen Katalogbuch zur Ausstellung, “ zeigt aber auch die Distanz, die geleistete Abstraktion und Umsetzung”. Die Verortung einzelner Stücke lässt dennoch die Symbolik des Begriffs „Intérieur” als Leben-Innen-Raum zu. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass Mariann Grunder die Schläge des Meissels auf dem Stein nicht auspoliert, sondern als sichtbare Zeichnung und als Zeichen ihres Schaffens belässt. Eindrücklich ist ferner wie das milchig-weisse Fenster keinen Blick nach aussen gewährt, sondern, im Gegenteil, die Aussenwelt abschirmt, um das Innen – im Zentrum, direkt unter den Oberlichtern – zu betonen. Desgleichen ist der organisch geformte, aus dem Innern leuchtende Tisch eine Hommage an innere Kräfte – vielleicht auch ein Dank an das, was am Tisch des Lebens entstehen kann.

Es steht ausser Zweifel, Mariann Grunder ist mit „Intérieur” der Höhepunkt ihres bisherigen Schaffens gelungen. Dabei stellt die Installation in keiner Weise einen Bruch mit Früherem dar. Zwar nutzt sie zum Teil neue Materialien und neue Techniken, doch in den Marmorskulpturen finden sich viele Formen, die schon in früheren Arbeiten anklangen. Doch nie zuvor hat Marianne Grunder so viel Intimität zugelassen, so viel von sich selbst sichtbar gemacht. Die Fremde Figur – erstaunlich, eine Skulptur aus Dachpappe – und der schwarze, am Boden liegende Kopf (ebenfalls aus Bitumen) zeigen auf, dass dieser In-Sicht auch dunkle Zonen zugehören und der in Stein gehauene, helle Schmetterling, der auf das Zentrum hinweist, auch so etwas wie Wunschtraum ist.

Persönlich heisst im Fall von „Intérieur” in keiner Weise „privat”. Die Umsetzungen machen die Skulpturen zu Gefässen, die über die Person und die funktionale Form hinausweisen. Und einen schöneren Saal als die Salle Poma hätte sich die Künstlerin für ihre Installation nicht wünschen können. Den Werk-Kontext, in welchen „Intérieur” gehört, zeigt ab Mitte August eine grosse Ausstellung im Kunsthaus Langenthal, die Marianne Grunders Schaffen der letzten 10 Jahre anhand von kleinen und mittleren Formaten, Modellen, Zeichnungen und Polaroid-Fotos aufzeigen wird.

Katalogbuch