Silvie Defraoui Helmhaus Zürich 2000

Der Ort der Verdichtung zwischen Emotion und Analyse

www.annelisezwez.ch         Annelise Zwez in Aargauer Zeitung  August 2000

Als Mitbegründerin des Ateliers „Mixed Media” an der Kunstakademie Genf, als Teil des Autorenpaares Silvie& Chérif Defraoui ist die St.Galler Wahlgenferin international bekannt. Nun zeigt das Helmhaus Zürich erstmals eine Einzelausstellung Silvie Defraoui.

Als Silvie Defraoui 1997 – zwei Jahre nach dem Tod ihres Partners – im Rahmen der Ausstellung „Die Schärfe der Unschärfe” (Solothurn) die eindrückliche und einzigartige Videoinstallation „Bruit de surfaces” zeigte, war der kraftvolle Weg, den die Künstlerin allein beschreiten würde, vorgezeichnet. Gespannt war man dementsprechend auf die erste, grosse Einzelausstellung der Künstlerin. Dass Marie-Louise Lienhard, die wenige Jahre jüngere Aargauer Leiterin des Zürcher Helmhauses, hiefür den „Zuschlag” erhielt, ist vielleicht eine Frauen-Connection.

„Bruit de surfaces” – eine Arbeit, welche die Wärme von Erinnerungsbildern mit der Radikalität ihres Auslöschens konfrontiert – ist nun der Auftakt zu einer Ausstellung, die man als Verdichtung von Emotion und Analyse bezeichnen könnte. Harte, klare Formen in Skulptur, Video, Fotografie und Raum-Installation sind untrennbar verbunden mit den Träumen, die sie bergen; sinnliche, poetische Träume ebenso wie Albträume.

Parallel zu ihrer für die Kunst in der Schweiz wegweisenden Lehrtätigkeit in Genf traten die ursprünglich in St. Gallen zur Keramikerin ausgebildete Silvie und der aegyptische Historiker Chérif Defraoui seit 1975 als Künstlerpaar im Bereich „Mixed Media” in Erscheinung. Komplexe, konzeptuelle Ansätze verbanden sich mit lebendigen, oft der Natur entnommenen Bildern. Einen ihrer letzten grossen, gemeinsamen Auftritte hatte das Duo mit einer Präsenz und Tiefe eindrücklich verbindenen Brunnen-Arbeit an der Documenta IX in Kassel.

Die Ausstellung im Helmhaus zeigt eine breite Palette an Denk- und Arbeitsweisen. Das macht sie ausgesprochen spannend und zeigt das enorme Potential, das die 65jährige Künstlerin nach dem Rücktritt in Genf und der schicksalshaften Aufforderung, das Alterswerk allein zu schaffen, in sich trägt. Chérif & Silvie Defraoui arbeiteten stets so vernetzt, dass es müssig war von ihrem und seinem Anteil zu sprechen. In 20 Jahren formte sich eine Sprache. Dennoch ist die Vernetzung zwischen analytisch-reduzierter Aussenform und emotionaler Innensicht nun fassbarer als früher. Die fast beiläufig erwähnte Bemerkung der Künstlerin zu den „Passages” (eine raumgreifende, vielteilige Fotoarbeit), es gehe darum den Traumapunkt zu finden, zeigt werkübergreifend, wonach die Künstlerin sucht: Den Ort, da sich Bild, Form und Material mit der Inhaltlichkeit ihres Ausdrucks treffen und als Verdichtung neu öffnen. Die Künstlerin spricht von Verlust und Gewinn im Laufe des Arbeitsprozesses.

Die Schnittstelle ist nicht überall am selben Ort. In den „Passages” könnte man sie vielleicht in die Mitte stellen, – die Fotos zeigen schwarz/weisse Zeitungsbilder – „Cyclone”, „Les singes”, „La bataille”, „Les chevaux” usw. – die durch die Reihung von Ausschnittvergrösserungen vom Abbild zur Interpretation geführt werden. Eingestanzte Löcher kennzeichnen dabei die Ebene der Reflektion. Fast an den äussersten Punkt gedrängt ist die Schnittstelle hingegen in der Skulptur „Nacht und Tag und Nacht”, die der Ausstellung den Titel gab. Zu sehen ist zunächst eine schwarze, vieleckig angelegte Plattform aus Eisen, belegt mit einer dachpappenähnlichen Matte. Konstruktion und Funktionalität (begehen, überbrücken) scheinen zu dominieren. Doch die das Auge später treffenden Balken-Inschriften – „Die 54. Nacht”, „La 274e Nuit”, „The 957 Noche” usw. – wandeln die Radikalität von Form und Material fast explosionshaft in starke Emotion. Die abstrakte Struktur lässt dabei die inhaltliche Definition offen.

Es gibt auch spielerischere Ansätze – etwa wenn die Künstlerin die Fensterleibungen im Obergeschoss mit verblüffend einfachen Mitteln verspiegelt und damit die Stadt in den Raum holt oder wenn sie – umgekehrt – im ersten Stock die Fenster zu Dreivierteln verhüllt und nur „Splitter” in Form von abgekanteten, blauen Neonröhren sichtbar belässt. Weitere, durchwegs überzeugende Video- und Fotoarbeiten weiten das Bild des Schaffens von Silvie Defraoui, deren Werk in seiner Ausseordentlickeit noch zu entdecken ist.