Valentin Hauri Galerie Elisabeth Staffelbach Lenzburg 2000

Einer, der an die Malerei glaubt

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Aargauer Zeitung April 2000

Es gebe keine neuen Bilder mehr, wird oft behauptet. Mit scheinbar in den Wind gemalten, hellen „Impromptus” tritt Valentin Hauri in der Galerie Elisabeth Staffelbach in Lenzburg den Gegenbeweis an. Und dies überzeugend.

Wenn sich Valentin Hauri erlaubt zu malen, ist das fast wie ein Glücksmoment. Tage, manchmal wochenlang bereitet er sich darauf vor. Er grundiert Leinwände – jede fünf Mal – er liest, er wandert, er schreibt, er hört Musik. Seltener stöbert er in seinem Fundus an Abbildungen aus der Welt- und der Kunstgeschichte. Von jedem Bild weiss er, wie und wo er es gefunden hat. Sein Blick gilt dabei nicht Inhalten, sondern Bildpotenzialen: Rhythmen, Flächen und Linien. Wählt er, ist die nächste Station das Aquarell, zunächst das beinahe noch abbildende, dann Variationen. Die Farben verändern sich, alles Überflüssige verschwindet. Die Gegenständlichkeit löst sich weitgehend auf. Nur der Akkord bleibt, das Klangmuster. Und dann malt er – vier bis fünf Bilder an einem Tag. Dabei setzt er die Oelfarben ein als wären es Wasserfarben. Leicht, luftig, die Bewegung zeigend, die Farben verschmelzend, hell. Korrigiert wird nichts. Sagt der erfahrene Blick am andern Tag, das war es nicht, wird die Leinwand schonungslos vom Chassis gelöst und weggeworfen; offenbar war das Bild noch nicht reif. Andere halten dem kritischen Blick stand; sie klingen, sie fliessen, sie fliegen.

Valentin Hauris Bilder sind „Impromptus” – Improvisationen im besten Sinne des Wortes. Denn improvisieren kann nur, wer aus Reichtum schöpfen kann. Dichte ensteht dabei aus der Steigerung von Ruhe und Gespanntsein. Valentin Hauris Bilder kontrastieren die Hektik unserer Zeit diametral. Sie wirken – in einem philosophischen Sinn – fernöstlich, ohne das bewusst anzustreben. Dabei ist erstaunlich, dass die Gelassenheit, die Poesie, die unbenennbare Bildlichkeit der Arbeiten dennoch gar nicht so weit weg ist von malerisch-abstrahierenden Videoaufnahmen. Nur ist der Prozess ein innerer und nicht ein softwaregelenkter. Aber hier wie dort ist das Moment des Flüchtigen, des Flusses, zentral.

Valentin Hauri ist kein Didakt. So sind die Basisbilder, von denen er ausgeht, in der Ausstellung nirgendwo zu finden. Trotzdem ist das eine oder andere Beispiel erhellend. Da sind Bildvariationen mit einem, leicht aus der Mitte geschobenen, Quadratfeld, aus dem ein unbestimmbares, Festigkeit zeigendes, horizontales Band Richtung weist. Nach oben und nach unten längen ghirlandenartige Pinsellinien die Bildkomposition. Weit, weit zurück war das Bild einmal ein Entwurf für ein Pferdegeschirr, gezeichnet vom italienischen Künstler Arcimboldi im 16. Jahrhundert. Und das Erstaunliche: In Hauris Bild ist alles da und zugleich nichts. Den Maler hat das Pferdegeschirr nie interessiert, nur die Fläche und die Linien und die Proportionen und die hat er in Malerei umgesetzt. Weitere Bildern führen (theoretisch) zurück zu zwei Schiffen eines Art brut Künstlers, zu den Wildgänsen von Nils Holgerson, zu einer Liege Napoleons auf der Insel Elba.

Die Ausstellung von Valentin Hauri in Lenzburg trägt den Titel „… sie machen einen weiten Gang …”. Das Zitat aus dem Gustav Mahlers „Kindertotenliedern” bezeichnet zugleich den Weg freien Wandels, wie ihn Hauri auf der malerische Ebene vorantreibt, aber auch die Distanz, das Ferne, das Rätselhafte, das er als Ausdruck von etwas Anderem sucht.

Hauri war in den 80er Jahren einer der bekanntesten und beliebtesten Aargauer Künstler – entsprechend viele Nachahmer haben seine sinnlich-pastosen Bilder am Rande organischer Gegenständlichkeit – gerade im Aargau – gefunden. Dann wurde ihm die Leichtigkeit der eigenen Bildproduktion suspekt und er brach mit dem Vorangegangenen, setzte – nun von der Zeichnung ausgehend – neu an; nicht mehr leichtfüssig, sondern widerspenstig, gebrochen, trocken, alles „Süffige” meidend; eine harte Zeit für den einst erfolgs- und verkaufsverwöhnten. Die Konsequenz seines Weges zahlt sich nun aus: Die jüngsten, emotionell weicheren Bilder sind nicht eine Rückkehr in die 80er Jahre, sondern eine neue Öffnung.