Zum Tod der Malerin Gertrud Debrunner (1902-2000)

Den Schichten des Bewusstseins auf der Spur

www.annelisezwez. ch   Annelise Zwez in Aargauer Zeitung vom 28. Februar (ca.) 2000

Am 24. Februar 2000 ist die Doyenne der Kunst im Aargau, die Malerin Gertrud Debrunner „friedlich eingeschlafen“. 1990 war ihr Werk als Retrospektive im Aargauer Kunsthaus zu sehen.

Bis vor wenigen Jahren gehörte es zum Besonderen der Weihnachtsausstellungen im Aargauer Kunsthaus, die Aquarelle von Gertrud Debrunner zu entdecken. Die sphärischen Blätter der 1902 geborenen Malerin fügten sich unauffällig ins Umfeld der jungen Kunst. Nun fehlen sie, für immer.

Gertrud Debrunner war von den 1910er und 20er Jahren geprägt, und zwar in gegenläufigem Sinn. Einerseits war sie die Wohlerzogene, Bescheidene, welche die der Frau zugedachte Rolle ohne Aufruhr lebte. Andererseits orientierte sie sich schon in den 20er Jahren an C.G.Jung. Als junge Mutter ans Haus gebunden, war sie froh, dass ihr Mann – der Psychologe und Kunsthistoriker Hugo Debrunner – Erkenntnisse und Anregungen von draussen mitbrachte. Mit dem Wissen einer C.G. Jung-Schülerin begann sie Gehörtes, Geträumtes und innerlich Erkanntes in Bilder zu fassen. Malstunden hatte ihr schon in den 20er Jahren der Maler Ernst Wehrli erteilt.

1942 brachte Hugo Debrunner den Künstler Jean Arp als Gast ins Haus. Das Interesse, das er ihrem bildnerischen Schaffen entgegenbrachte, beflügelte sie. Durch ihn wurde man in Zürich auf die Künstlerin aufmerksam und lud sie zu den Ausstellungen der progressiven Künstlervereinigung „Allianz“ ein. Da Gertrud Debrunner selbst nicht aktiv auftrat, war das Echo indes minimal. So zog sie sich nach Auflösung der „Allianz“ 1954 zurück, um ihr Werk für sich selbst weiterzuentwickeln. Ihr künstlerisches Verständnis formulierte sie 1942 in einem (nie abgeschickten) Brief an Arp: Mir scheint, „man müsste auf das Gebiet des seelischen Impulses die gleiche Hingabe und Arbeit verwenden wie auf das Formal-Aesthetische, indem man den seelischen Motiven mit derselben Beharrlichkeit nachgeht, auch dort, wo es zu sehr „lebendigen“ und schwierigen Konsequenzen führt.“

Um 1945 gelang es Gertrud Debrunner, die Synthese von Form und Impuls zu visualisieren. Der 2. Weltkrieg hatte sie aufgewühlt und drängte in Bildern von innen nach aussen. Es entstanden die „Metamorphosen“ – ungegenständliche Bilder steten Wandels. Immer war sie auf der Suche nach der Konzentration, die es erlaubte, Bilder aus tieferen Schichten des Bewusstseins ausfliessen zu lassen. 1947 kam sie auf die Idee, die Bild-Grundstruktur mit einem Faden zu legen und daraufhin malerisch zu interpretieren. Die sogenannten „Fadenbilder“ gehören zum Eigenwilligsten und Stärksten, das Gertrud Debrunner geschaffen hat.

In den frühen 70er Jahren, nachdem die Familie im „Fuchsloch“ Biberstein Fuss gefasst hatte, fand Gertrud Debrunner in teils malerisch bearbeiteten, teils reinen Blindzeichnungen zu einer weiteren Vertiefung ihres Schaffens; die Linie als Sprache, die Schraffur oder die Farbe als interpretierendes Umfeld. 1985 starb Hugo Debrunner nach jahrelanger Krankheit. Sie lebte fortan allein in einer Wohnung ihres mittlerweile vier Generationen beherbergenden Hauses in Biberstein. Hier entstanden seit Ende der 80er Jahre die nicht mehr nach Erkenntnis suchenden, sondern frei im Raum schwebenden Aquarelle der letzten Schaffensjahre. Oeffentlich wurde ihr Werk nur vereinzelt – 1972 zum Beispiel fand eine Einzelausstellung im Gluri-Suter-Huus in Wettingen statt, doch das Echo war bescheiden, wohl nicht zuletzt weil Gertrud Debrunner sich intellektuell stets von ihrem Mann vertreten liess und damit als Persönlichkeit nie ganz greifbar wurde. Dabei hätte ihr Werk sehr wohl in die Zeit der „Innerlichkeit“ zu Beginn der 70er Jahre gepasst.

Ein Glück, dass Gertrud Debrunner 1989 (wegen der Ausleihe einer Klee-Zeichnung) den Direktor des Aargauer Kunsthauses, Beat Wismer, kennenlernte, der – wie schon sein Vorgänger Heiny Widmer – die Bedeutung ihres Werkes erkannte und nun auch handelte: 1990 fand im Aargauer Kunsthaus eine Einzelausstellung statt, welche ihr Werk – endlich – im Zusammenhang zeigte. Es folgten Ausstellungen zum 90. Geburtstag in der Galerie 6 in Aarau und ein letztes Mal 1996 – zur Freude der anwesenden Künstlerin – im Rathaus in Aarau. Aehnlich wie im Fall von Karl Ballmer ist ihr Werk indes immer ein „Outside“ – Oeuvre geblieben – „Outside“ im Sinne eines stets nur auf sich selbst ausgerichteten Lebenswerkes. Als solches wird es auch in Zukunft wieder befragt werden müssen.